Abel, Othenio (1875–1946), Paläontologe

Abel Othenio, Paläontologe. Geb. Wien, 20. 6. 1875; gest. Pichl am See (Innerschwand am Mondsee, Oberösterreich), 4. 7. 1946; röm.-kath. Enkel des Baron Hügelʼschen Obergärtners, Handelsgärtners und Gemeinderats Gottlieb Ludwig Abel (1811–1871), Sohn von →Lothar Abel und Mathilde Schneider (1854–1936), Vater des Anthropologen und nationalsozialistischen Rassentheoretikers Wolfgang Abel (geb. Wien, 13. 5. 1905; gest. Mondsee, Oberösterreich, 1. 11. 1997). – Nach Besuch des Akademischen Gymnasiums in Wien ab 1894 zunächst an der juridischen Fakultät der Universität Wien inskribiert, zeigte A. jedoch bald Interesse an den Naturwissenschaften und studierte auch an der philosophischen Fakultät; 1896 rechtshistorische Staatsprüfung, 1899 judizielle Staatsprüfung und Dr. phil. 1898–99 Assistent am Geologischen Institut der Universität Wien bei Eduard Sueß, war A. ab 1898 zudem Volontär, ab 1900 Praktikant und ab 1901 Assistent an der Geologischen Reichsanstalt in Wien; 1902 Priv.Doz. für allgemeine Paläontologie; 1907 Extraordinarius der Paläontologie und Phylogenie der Wirbeltiere an der Universität Wien. Nachdem A. im Frühjahr 1912 im Auftrag der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Wien die Ausgrabungen im griechischen Pikermi geleitet hatte, wurde er 1912 zum o. Prof. für Paläontologie ernannt. Das Sammlungsmaterial wurde im neugegründeten Paläobiologischen Lehrapparat, einer paläontologischen Spezialsammlung an der Universität Wien, aufbewahrt. 1917 o. Prof. für Paläobiologie. 1924 erfolgte die Umwandlung des Lehrapparats in ein Paläobiologisches Institut, das 1928 nach dem Tod →Carl Dieners mit dem Paläontologischen Institut zum Paläontologischen und Paläobiologischen Institut vereinigt wurde. Damit wurde A. 1928 zum o. Prof. für Paläontologie und Paläobiologie ernannt; 1927/28 Dekan der philosophischen Fakultät, 1932/33 Rektor der Universität Wien. 1934 wurde A. wegen seiner nationalsozialistischen Gesinnung pensioniert. Einer Gastprofessur in Cambridge 1935 folgte der Wechsel an die Universität Göttingen, wo A. 1935 Ordinarius für Paläontologie wurde. Am 1. Mai 1938 trat er der NSDAP bei; 1940 emeritierte A. Im selben Jahr wechselte er als Leiter des Instituts für Lebensgeschichte, einer neugegründeten Einrichtung in Kooperation mit dem Haus der Natur (im Rahmen des „Ahnenerbe“-Projekts), nach Salzburg. A.s Lebenswerk ist die Herauslösung der Paläontologie aus dem stratigraphischen Korsett der Geologie und die Schaffung einer Paläobiologie unter konsequentem Einbezug aktualistischer Ansätze sowie ökologischer, ethologischer und phylogenetischer Ideen aus der Biologie. Erste und prägende Eindrücke dazu erhielt er durch eigene Arbeiten an fossilen Walen des Wiener Beckens sowie 1900, anlässlich der Untersuchung jungtertiärer Wale aus Antwerpen, von Louis Dollo in Brüssel und dessen 1909 als „La Paléontologie éthologique“ publizierter Arbeitsrichtung. Der Herausbildung paläobiologischer Ideen folgte eine Phase der Konsolidierung des neuen Wissenschaftszweigs durch intensive Publikationstätigkeit, Gründung einer Sektion für Paläozoologie der Zoologisch-Botanischen Gesellschaft in Wien (1907) und Abhaltung von Fachvorträgen an der Wiener Urania (1909–19). 1911 legte A. sein Hauptwerk „Grundzüge der Palaeobiologie der Wirbeltiere“ vor; insgesamt verfasste er 22 Monographien (teilweise in zwei Aufl.), begründete die 1928–48 erschienene Zeitschrift „Palaeobiologica“ und leitete ab 1922 volkstümliche Universitätskurse in Wien. Studien- und Vortragsreisen führten ihn nach Amerika (1925), ins Baltikum (1926), nach Südafrika (1929), Frankreich (1931) und Holland (1936); 1933 hielt er einen Vortragszyklus über „Palaeobiology and Evolution“ am Imperial College in London. 1932 überlebte er unverletzt ein Schussattentat von →Karl Camillo Schneider auf dem Wiener Zentralfriedhof. A. war u. a. korrespondierendes Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien (1921), Korrespondent der Geologischen Bundesanstalt Wien (1925), ordentliches Mitglied der Regia Societas Scientiarum Upsaliensis (1931) und der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (1935), Mitglied der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina (1935), Dr. h. c. der Universitäten Kapstadt (1929) und Athen (1937), Ehrensenator der Universität Wien (ab 1938, 1945 aberkannt). 1911 erhielt er die Bigsby Medal der Geological Society of London, 1921 die Rainer-Medaille der Zoologisch-Botanischen Gesellschaft in Wien, 1922 die Daniel Giraud Elliot Medal der National Academy of Sciences in Washington D. C. 1933 wurde er Großoffizier des griechischen Phönix-Ordens mit dem Stern des Großkreuzes.

Weitere W.: s. Ehrenberg, 1978.
N.: WZ, 17. 7. 1946; Oberösterreichische Nachrichten, 25. 7. 1946; E. Fischer, in: Die Naturwissenschaften 33, 1946, S. 192; Almanach Wien 97, 1947, S. 320–325.
L.: NFP, 25. 6. 1932, 1. 7. 1932; NWT, 28. 6. 1932, 29. 1. 1941 (beide m. B.); Göttinger Nachrichten, 20. 6. 1940; Salzburger Landeszeitung, 31. 8./1. 9. 1940; Czeike (m. B.); Jb. der Wr. Ges.; NDB; Nordisk familjebok 34, 1922, S. 11f.; L. S. Davitašvili, Istorija ėvoljucionnoj paleontologii ot Darvina do našich dnej, 1948; K. Ehrenberg, O. A. †, sein Werden und Wirken, in: Neues Jahrbuch für Mineralogie, Geologie und Paläontologie, Monatshefte, Abteilung B, 1949, S. 325–328; ders., O. A. Der Schöpfer der Paläobiologie, in: Österreichische Naturforscher und Techniker, 1950, S. 75–77; ders., O. A.s Lebensweg, 1975 (m. B.); ders., O. A.s Werden und Wirken, in: Mitteilungen der Gesellschaft der Geologie- und Bergbaustudenten in Österreich 25, 1978, S. 271–295 (m. B. u. W.); R. Kohring, O. A. (1875–1946) und die Begründung der Paläobiologie …, in: Terra nostra 2000/3, S. 61; O. H. Walliser, O. A. 1875–1946, in: Göttinger Gelehrte 2, ed. K. Arndt, 2001 (m. B.); V. Hofer, „Jurassic Boom“ in Österreich, in: Spurensuche 12, 2001, S. 40–71; Lexikon der bedeutenden Naturwissenschaftler 1, 2003 (m. B.); S. R. F. Khittel, Von der „Paläobiologie“ zum „biologischen Trägheitsgesetz“, 2005; U. Kutschera, Palaeobiology: the origin and evolution of a scientific discipline, in: Trends in Ecology and Evolution 22, 2007, S. 172f.; ders., Tatsache Evolution, 2009, S. 202–206; UA, Wien.
(M. Svojtka)   
Zuletzt aktualisiert: 1.3.2011  
PUBLIKATION: ÖBL Online-Edition, Lfg. 1 (01.03.2011)
1. AUFLAGE: ÖBL 1815-1950, Bd. 1 (Lfg. 1, 1954), S. 1
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