Ambrosi, Gustinus (August Arthur) (1893–1975), Bildhauer, Graphiker und Schriftsteller

Ambrosi Gustinus (August Arthur), Bildhauer, Graphiker und Schriftsteller. Geb. Eisenstadt, Ungarn (Burgenland), 24. 2. 1893; gest. Wien, 1. 7. 1975 (Selbstmord; Ehrengrab: St. Leonhardfriedhof, Graz); röm.-kath. Sohn von Friedrich Ambrosi (geb. Graz, Steiermark, 28. 3. 1851; gest. Prag, Böhmen / Praha, CZ, 4. 11. oder 8. 9. 1908), der Zeichenlehrer an Militärschulen in Eisenstadt und St. Pölten, ab 1899 Kanzlist in Prag war und auch als Maler und Musiker wirkte. – A., der 1900 infolge einer Hirnhautentzündung das Gehör verlor, besuchte 1901–06 die Prager Privat-Taubstummenanstalt und war 1906 Praktikant, ab 1907 Lehrling in der Bildhauerwerkstatt von Jakob Kozourek. Zusätzlich belegte er einen Abendkurs in Modellieren und Porträtieren an der Kunstgewerbeschule und nahm Privatunterricht bei →Josef Václav Myslbek. Nach dem Tod des Vaters übersiedelte er 1909 mit seiner Mutter nach Graz, setzte seine Lehre in der Dekorationsbildhauerfirma Suppan, Haushofer & Nikisch fort (1911 Gesellenbrief) und besuchte 1910–12 die Staatsgewerbeschule (1912 Staatspreis). A., der auch Privatunterricht bei Kaspar von Zumbusch nahm, studierte 1912–14 (mit Unterbrechung) als Gasthörer an der Wiener Akademie der bildenden Künste bei →Edmund von Hellmer. Bereits 1913 verlieh ihm →Kaiser Franz Joseph I. ein Staatsatelier auf Lebenszeit im Wiener Prater (1945 durch Bomben zerstört), 1923 bekam er auf Empfehlung von Hellmer ein zweites Staatsatelier. In der Zwischenkriegszeit führten ihn Aufträge u. a. nach Amsterdam, Antwerpen, Basel, Brüssel und Zürich. 1929–31 hielt er sich in Paris auf; dort – sowie in Köln und Rom – unterhielt er weitere Ateliers. 1957 bezog A. einen vom österreichischen Staat eigens für ihn errichteten Wohn- und Atelierbau im Wiener Augarten und schenkte dafür der Republik Österreich über 200 Arbeiten. Den Einzug in seinen ab 1975 im steirischen Stallhofen errichteten Alterssitz (seit 1988 Museum) erlebte er nicht mehr. A. ist einer der weltweit bedeutendsten Porträtbildhauer des 20. Jahrhunderts. Sein immenses, von ihm selbst ab 1911 verzeichnetes Werk umfasst rund 2.500 skulpturale Arbeiten. Seine außergewöhnliche und frühzeitige Karriere eröffnete die Büste „Der Mann mit dem gebrochenen Genick“ (1909), die A. nach dem Erlebnis des tödlichen Absturzes eines Dachdeckers modellierte. Frühe öffentliche Resonanz fand auch die bereits meisterlich vollendete Büste von Friedrich Nietzsche (1910). In der Folge porträtierte A. Literaten (August Strindberg, 1911; Gerhart Hauptmann, 1914; Peter Altenberg, 1916; Rainer Maria Rilke, 1923), Bühnen- und bildende Künstler (Arnold Böcklin, 1907; Otto Wagner, 1917; Cuno Amiet, 1951), Musiker (Richard Strauss, 1912/13), Wissenschaftler (August Fournier, 1917; Ludwig Pastor, 1927), Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Politik (Benito Mussolini, 1924; Engelbert Dollfuß, 1935; Karl Renner, 1949; Karl Seitz, 1950; Leopold Figl, 1958) und Kirche sowie zahlreiche Frauen- und Kinderbildnisse. Die zunächst an Rodin orientierten, teils genialischen Büsten (zu fast allen fertigte A. Zweitstücke für ein von ihm schon 1916 angedachtes Museum) zeichnen sich durch hohe Individualität, oft zugespitzte Betonung der Charakteristika und einen zuweilen heiteren Ausdruck aus. Die Lebhaftigkeit in Mimik und Ausdruck wird durch Drehung oder Neigung des Kopfes sowie durch eine bewegte Oberflächenmodellierung betont. Eine ab den 1930er-Jahren mitunter zu beobachtende Formberuhigung setzte sich in den 1950er-Jahren durch. Abbildhafte und detailgenaue Büsten dominierten das späte Porträtschaffen. An Hellmer, Michelangelo und besonders an Rodin knüpfte A. mit dem figürlichen Werk (Marmor, Bronze) an, entwickelte aber bald eine eigene, mitunter übersteigerte Dramatisierung und eine idealisierende, wuchtige Monumentalität, die sich in großem bis kolossalem Format, Körperhaltung und -drehung sowie im Muskelspiel artikulierte. Jahrzehntelang beschäftigte ihn besonders der vom Schicksal geschlagene Mensch („Der Verstoßene“, 1909; „Der verlorene Sohn“, 1910; „Der Mensch und das Schicksal“, 1920), der ihn auch bei biblischen („Erschaffung Adams“, 1913/19; „Kain“, 1916) und mythologischen Themen („Ikaros“, 1923) interessierte. Nach dem 2. Weltkrieg konzentrierte sich sein figürliches Schaffen auf die Konsolidierung und Vollendung des Vorkriegswerks, zuletzt mit einer Beruhigung des Dramatischen. Im Spätwerk finden sich u. a. visionäre allegorische Darstellungen der Seele und des Göttlichen für Grabmale. Als Schriftsteller veröffentlichte A. zu Lebzeiten fünf Gedichtbände; posthum erschien „Das Buch der kleinen Lieder“, 1995, das A. noch vorbereitet hatte und das Gedichte aus dem Zeitraum 1909–19 enthält. Das lyrische Werk – vorwiegend Sonette – mit Themen wie Einsamkeit, Tod, Liebe und Kunst als Sinn seines Lebens stand in der öffentlichen Wahrnehmung allerdings hinter dem bildhauerischen. A. war bereits ab 1909 Mitglied des Vereins der bildenden Künstler Steiermarks (1935 Ehrenmitglied), ab 1932 der Genossenschaft der bildenden Künstler Wiens (Künstlerhaus), 1947 Prof. h. c., 1952 Ritter der französischen Ehrenlegion und erhielt 1958 das Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst 1. Klasse. 1978 konstituierte sich die G. A.-Gesellschaft und ein Museum in A.s Atelierbau im Wiener Augarten wurde eingerichtet.

Weitere W.: s. Zerlauth; Renisch.
L.: AKL; Czeike; Hall–Renner; Killy; Kosch; Mitteilungen der G. A. Gesellschaft, 1978ff.; E. Zerlauth, Das dichterische Schaffen von G. A., phil. Diss. Innsbruck, 1982 (m. W. u. L.); F. Renisch, G. A. 1–2, 1990 (m. W.); A. M. Hufnagl, G. A. Porträtist seiner Zeit, geisteswiss. DA Graz, 1991; H. Zohn, G. A. The sculptor, the poet and the man, in: ders., Austriaca and Judaica, 1995, S. 101–110; Festschrift der G. A. Gesellschaft, 2001, 2005 (m. B.).
(D. Trier)   
Zuletzt aktualisiert: 1.3.2011  
PUBLIKATION: ÖBL Online-Edition, Lfg. 1 (01.03.2011)