Ampferer, Otto (1875–1947), Geologe

Ampferer Otto, Geologe. Geb. Hötting (Innsbruck, Tirol), 1. 12. 1875; gest. Innsbruck (Tirol), 9. 7. 1947; röm.-kath. Von bäuerlicher Abstammung, Sohn eines Postbeamten, ab 1902 verheiratet mit Olga Sander (gest. 1952). – Nach Besuch des Gymnasiums studierte A. ab 1894 Geologie und Mineralogie sowie Physik als Nebenfach an der Universität Innsbruck; 1899 Dr. phil. Danach Einjährig- Freiwilliger bei den Kaiserjägern, stand A. ab 1901 im Dienst der Geologischen Reichs- bzw. Bundesanstalt in Wien: 1901 Volontär, 1902 Praktikant und Assistent, 1908 Adjunkt und Definitivstellung, 1918 Geologe, 1919 Chefgeologe und Bergrat, 1921 Oberbergrat, 1925 Vizedirektor, 1935–37 Direktor, Ende 1937 Ruhestand. A.s geologische Verdienste beruhen auf umfangreicher Feldarbeit auf dem Gebiet der Gebirgsbildung (Tektonik), insbesondere im Bereich der westlichen Nördlichen Kalkalpen, der Geomorphologie, der Quartärgeologie sowie zahlreichen Fragestellungen der angewandten Geowissenschaften (Baugeologie, Rohstofffragen). In den vier Jahrzehnten seiner geologischen Geländetätigkeit bearbeitete er u. a. die gesamten Kalkalpen Vorarlbergs und Tirols (vom Rheintal bis zur Salzburger Grenze) sowie das Blatt Admont-Hieflau. Das Ergebnis sind zehn Blätter der Geologischen Karte 1:75.000, die entweder ganz oder zum überwiegenden Teil von ihm stammen. Für die detailgenauen Karten des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins (1:25.000) bearbeitete A. die Lechtaler Alpen (4 Blätter, 1932), das Kaisergebirge (1933) und die Gesäuseberge (1935). Sie gehören zum geologischen Standardkartenwerk. Im 1. Weltkrieg war er mit →Wilhelm Hammer im Auftrag des Kriegsministeriums und der Akademie der Wissenschaften in Wien für geologische Forschungen und zur Untersuchung von Minerallagerstätten in Albanien, Montenegro und Serbien. Ab 1925 fungierte A. als Gutachter für mehrere Kraftwerksprojekte (Spullersee-Werk, Achensee-Werk, Ybbstal-Werk). Von Bedeutung sind seine Arbeiten über die Quellen der Mühlauer Klamm für die Wasserversorgung Innsbrucks. Bereits 1901 wies A. die Karwendelüberschiebung nach und legte damit den Grundstein zu einer Reihe tektonischer Arbeiten. 1928 beschrieb er am Beispiel des Stanser Jochs eine Reliefüberschiebung, weiters prägte er die Begriffe „Totfaltung“ (1938) und „Bergzerreißung“ (1939). Die Glaziologie verdankt ihm das Konzept der „Schlussvereisung" (1930) und einige neue Erkenntnisse in der Erforschung der Glazialzeiten, insbesondere des Inntals. A. erstellte wichtige, zum Teil bis heute gültige Theorien und Modelle bzw. deren Vorläufer: Sein bekanntestes Verdienst ist die Aufstellung der Unterströmungstheorie 1906, nach der die Gebirgsbildung weniger auf die Kräfte der Erdrinde, als auf die Strömungswirkung innerhalb der darunter befindlichen zäh plastischen, unter hohem Druck und hoher Temperatur stehenden Massen zurückzuführen ist. Durch die Definition der Verschluckungszone (1911) als Vorläufer des modernen Konzepts der Subduktionszonen wurde er zum Mitbegründer und Wegbereiter der Lehre der Plattentektonik. Bahnbrechend war seine Arbeit „Gedanken über das Bewegungsbild des atlantischen Raumes“ (in: Sitzungsberichte, mathematisch-naturwissenschaftliche Klasse 150, Abt. 1, 1941), worin er am Beispiel des mittelatlantischen Rückens den Mechanismus des „Sea-floor-spreadings“ erklärte. Sein Lebenswerk umfasst über 400 Artikel, 70 Feldbücher und rund zwei Dutzend geologische Karten. 1925–37 war A. Schriftleiter des „Jahrbuchs der Geologischen Bundesanstalt“. Als Bergsteiger gelangen ihm einige Erstbesteigungen: u. a. 1896 Kleine Schlenkerspitze (SO-Grat) in den Lechtaler Alpen, 1899 Campanile Basso (Ampferer-Führe) in der Brentagruppe, Larchetkar- und Eiskarlspitze (Nordgrat) im Karwendel. A., der als der bedeutendste Ostalpengeologe seiner Zeit gilt, war u. a. ab 1908 Mitglied der Wiener Geologischen Gesellschaft (1938–39 Vorsitzender, 1937 erhielt er deren Eduard-Sueß-Medaille und damit die Ehrenmitgliedschaft), ab 1925 korrespondierendes, ab 1940 wirkliches Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, ab 1936 Mitglied der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina in Halle an der Saale, des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins sowie des Österreichischen Ingenieur- und Architekten-Vereins. 1933 wurde er mit der Franz-von-Wieser-Medaille ausgezeichnet (damit Ehrenmitglied des Tiroler Landesmuseums Ferdinandeum in Innsbruck) und erhielt 1939 als Erster die Gustav-Steinmann-Medaille der Geologischen Vereinigung in Bonn; 1930 Hofrat, 1944 Dr. h. c. der Universität Innsbruck.

Weitere W.: s. Almanach; Poggendorff; Klebelsberg.
N.: G. Mutschlechner, in: Der Schlern 21, 1947, S. 276–278; Almanach Wien 98, 1948, S. 227–233 (m. B. u. W.); H. P. Cornelius, in: Mitteilungen der Geologischen Gesellschaft in Wien 39–41, 1951, S. 195–213 (m. B.).
L.: Czeike; Jb. der Wr. Ges.; Poggendorff 7a (m. W.); R. v. Klebelsberg, O. A.s geologisches Lebenswerk, in: Jahrbuch der Geologischen Bundesanstalt 92, 1949, S. 93–116 (m. W.); W. Heißel, in: Österreichische Naturforscher, Ärzte und Techniker, 1957, S. 72–74 (m. B.); H. W. Flügel, Wegener – A. –Schwinner, in: Mitteilungen der Österreichischen Geologischen Gesellschaft 73, 1980, S. 237–254; F. de Battaglia – L. Marisaldi, Enciclopedia delle Dolomiti, 2000; H. W. Flügel, Die virtuelle Welt des O. A. und die Realität seiner Zeit, in: Geo.Alp 1, 2004, S. 1–9 (m. L.); G. Pfaundler-Spat, Tirol-Lexikon, neubearb. Aufl. 2005; Ch. Hauser – K. Krainer, O. A. (1875–1947): Bahnbrecher in der Geologie, Bergsteiger, Sammler und Zeichner, in: Geo.Alp, Sonderbd. 1, 2007, S. 91–100 (m. B.); UA, Innsbruck, Tirol.
(Th. Hofmann – W. Kainrath)   
Zuletzt aktualisiert: 1.3.2011  
PUBLIKATION: ÖBL Online-Edition, Lfg. 1 (01.03.2011)
1. AUFLAGE: ÖBL 1815-1950, Bd. 1 (Lfg. 1, 1954), S. 19
Bd. <==> | |<1  <=−10<=  S. 1 =>+10=>
Bd. <==> | |<1  <=−10<=  S. 1 =>+10=>