Ara, Camillo (1876–1944), Jurist und Politiker

Ara Camillo, Jurist und Politiker. Geb. Triest, Freie Stadt (Trieste, I), 17. 1. 1876; gest. Rom (Roma, I), 9. 9. 1944 (begraben: Triest); mos., 1904 Austritt aus dem Judentum. Entstammte einer Dynastie von Triestiner Versicherern. Sohn von Davide (David Raffael Vita) Ara (geb. Triest, 28. 6. 1837; gest. vor 1894) und Rosina Ara, geb. Levi (geb. Triest, 26. 4. 1846); verheiratet mit Irma Randegger. – Nach der Matura am italienischsprachigen Kommunalgymnasium studierte A. 1893–95 Jus an der Universität Wien und war in der Folge als Rechtsanwalt in Triest tätig. Noch in den 1890er-Jahren begann er, sich in der Triestiner liberalnationalen Partei zu engagieren, vorerst v. a. in deren Jugend- und Schulorganisationen. 1898 gründete er den irredentistischen Jugendverband Lega dei giovani, der aber nach einem Jahr von den österreichischen Sicherheitsbehörden aufgelöst wurde. Nach der partiellen Niederlage der Liberalnationalen beim Wahlgang 1901 wurde A. von der Parteispitze zum Leiter der Jugendorganisation ernannt. Er gehörte nun zu den engsten Mitarbeitern Felice Venezians und übernahm nach dessen Tod 1908 die Führung der Partei. Diese befand sich nach der Wahlniederlage von 1907, als die Sozialisten alle Triestiner Sitze im Reichsrat eroberten, in einer schweren Krise. Als Reaktion erfolgte eine gemäßigte Demokratisierung und Reorganisierung der Partei unter Beibehaltung ihrer wesentlichen Strukturen. Die schulpolitische Linie sowie eine Annäherung an die Arbeiterklasse erwiesen sich nach Einführung des allgemeinen Männerwahlrechts als entscheidend für einen neuerlichen Aufschwung, der bei den lokalen (1909, 1913) sowie den Reichsratswahlen von 1911 sichtbar wurde. Erst 1913 zog A. ins Stadtparlament ein. Kurz vor dem 1. Weltkrieg versuchte er, die Triestiner Frage auf eine internationale Ebene zu heben, einerseits über Verbindungen zur italienischen Freimaurerei, andererseits durch Herstellung von Kontakten zu westeuropäischen diplomatischen Kreisen. Bereits 1908, anlässlich der Bosnienkrise, hatte er →Attilio Hortis zu Geheimgesprächen mit dem französischen Premier Georges Clemenceau entsandt. Anfang 1915 verließ A. Triest und ging nach Rom, wo er beim Comando Supremo in der Abteilung Affari Civili diverse Projekte und Reformen für die neu zu erobernden Regionen vorbereitete. Während des Kriegs war er außerdem als Mitglied des Vereins Trento-Trieste aktiv und organisierte die Emigration von Irredentisten aus dem Küstenland nach Italien. Anfang November 1918 traf er mit den ersten italienischen Besatzungstruppen in Triest ein. Nach dem Krieg zog sich A. aus der Politik zurück und war primär als Jurist tätig. 1919 wurde er Vizedirektor der von ihrem Urheber Teodoro Mayer neu gegründeten Triestiner irredentistischen Tageszeitung „Il Piccolo“. Wie andere Juristen und wichtige Exponenten der ehemaligen liberalnationalen Partei engagierte sich A. in großen lokalen Konzernen und spielte aufgrund seiner juristischen Erfahrung und Kompetenz bei deren Eingliederung in das neue italienische Rechts- und Wirtschaftssystem eine wichtige Rolle. So trat er in den 1920er-Jahren in den Vorstand der Schifffahrtsgesellschaft Cosulich sowie jenen der Assicurazioni Generali ein. Problematischer war A.s Verhältnis zum neuen faschistischen Staat. 1924 lehnte er das Ehrenparteibuch des Partito Nazionale Fascista ab. In der Folge wurde sein Haus in Triest im November 1925 während einer Strafexpedition von Schwarzhemden gegen einige lokale Liberale und Freimaurer verwüstet. Nach diesem Ereignis sah sich A. gezwungen, das Parteibuch zu akzeptieren. Ab 1932 stand er an der Spitze der staatlichen Società Finanziaria Industriale Italiana (Sofindit), die 1934 in das Istituto di Ricostruzione Industriale (I.R.I.) eingegliedert wurde. 1934–37 hatte A. das Amt des Vizepräsidenten des I.R.I. inne. Als Folge der ab 1938 erlassenen Rassengesetze musste A. auf alle öffentlichen Ämter verzichten. Nach der deutschen Besetzung Triests im September 1943 verließ er die Stadt und flüchtete nach Rom. In der von den Alliierten befreiten Hauptstadt versuchte er noch kurz vor seinem Tod Kontakte mit der neuen italienischen Regierung herzustellen. 1922 war A. mit dem Titel Commendatore dell’Ordine della Corona d’Italia ausgezeichnet worden.

L.: A. Tamaro, Storia di Trieste 2, 1924, s. Reg.; A. Scocchi, in: Rassegna storica del Risorgimento 38, 1951, S. 639, 657; Dizionario Biografico degli Italiani 3, 1961; G. Piemontese, Il movimento operaio a Trieste, 1974, s. Reg.; A. Millo, L’élite del potere a Trieste ... 1891–1938, 1989, s. Reg.; A. Jannazzo, Il liberalismo italiano del Novecento, 2003, s. Reg.; R. Raspagliesi, G. Jung. Imprenditore ebreo e ministro fascista, 2012, s. Reg.; UA, Wien.
(F. Toncich)   
Zuletzt aktualisiert: 25.11.2016  
PUBLIKATION: ÖBL Online-Edition, Lfg. 5 (25.11.2016)