Aslan, Raoul (Tikran) (1886–1958), Schauspieler, Theaterdirektor und Regisseur

Aslan Raoul (Tikran), Schauspieler, Theaterdirektor und Regisseur. Geb. Saloniki/Selânik, Osmanisches Reich (Thessaloníkē, GR), 16. 10. 1886; gest. Litzlberg (Oberösterreich), 18. 6. 1958 (Ehrengrab: Grinzinger Friedhof); armenisch getauft; wuchs kath. auf. Armenisch-italienischer Herkunft. Sohn eines wohlhabenden Tabakpflanzers und späteren Privatiers, Bruder des Schauspielers und Operettentenors Didier Aslan (geb. Saloniki, 22. 1. 1894), Lebensgefährte des Burgschauspielers Tonio Riedl (geb. Wien, 17. 2. 1906; gest. ebd., 29. 12. 1995). – A. kam 1897 nach Wien, besuchte dort und bei den Piaristen in Horn das Gymnasium, schloss jedoch nicht mit der Matura ab, sondern ergriff den Schauspielberuf. Er ging 1906 als Volontär an das Hamburger Schauspielhaus und nahm Unterricht bei Franziska Ellmenreich. Nach Stationen u. a. in St. Pölten, Teplitz-Schönau (Teplice), Karlsbad (Karlovy Vary) und 1909–11 in Graz war er 1911–17 am Stuttgarter Hoftheater erfolgreich tätig. Danach an das Deutsche Volkstheater in Wien engagiert, wurde er nach einem Gastspiel bei →Max Reinhardt in Berlin von →Albert Heine an das Wiener Burgtheater verpflichtet, wo er 1920 als Orest in Goethes „Iphigenie auf Tauris“ und als Karl IV. in Schillers „Die Jungfrau von Orleans“ debütierte und bald auch den Hamlet darstellte. In den folgenden Jahren vollzog er als Erster Schauspieler den Übergang vom Liebhaberfach zu den klassischen Heldenrollen und ins Charakterfach, später ins ältere Fach. Von seinen unzähligen Rollen seien der Marquis von Posa in Schillers „Don Carlos“, Mephistopheles in Goethes „Faust“ oder Nathan in Lessings „Nathan der Weise“ genannt, aus dem komischen Fach etwa Lord Bolingbroke in Eugène Scribes „Das Glas Wasser“. A. war auch ein bedeutender Shakespeare-Darsteller. Gastspielreisen führten ihn in fast alle Länder Europas. Nach der Befreiung Österreichs 1945 übernahm er auf Wunsch der Ensemblemitglieder unter großen Schwierigkeiten die Leitung des Burgtheaters. Aufgrund der massiven Kriegsschäden musste ein Ausweichquartier für den Spielbetrieb gesucht werden, der in der Tat schon Ende April im Etablissement Ronacher wieder aufgenommen werden konnte. Zusätzlich erschloss A. mit dem Akademietheater und dem Redoutensaal in der Hofburg weitere Spielstätten und eröffnete dem Burgtheater durch zahlreiche Neuengagements von Schauspielern und Regisseuren neue Perspektiven. Schon früher mit Regiearbeiten betraut, übernahm er in dieser Zeit die Inszenierungen von Goethes „Stella“ und „Iphigenie auf Tauris“. Er legte die Direktion jedoch im Mai 1948 wegen gesundheitlicher Probleme zurück und war in der Folge nur noch als Schauspieler tätig. A., eine eindrucksvolle, elegante Bühnenerscheinung und ein Meister der Sprechtechnik, der über ein sonores, sehr ausdrucksstarkes Organ verfügte, gehörte zu den überragenden Theaterpersönlichkeiten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. 1926 Kammerschauspieler, war er ab 1946 Ehrenmitglied des Burgtheaters und Inhaber des Ehrenrings der Stadt Wien. Er wirkte auch als Schauspiellehrer sowie – in geringerem Ausmaß – bei Film und Rundfunk und veranstaltete Rezitationsabende.

Weitere Rollen: Franz Moor (F. von Schiller, Die Räuber); Coriolan (W. Shakespeare, Coriolan); Herzog (ders., Maß für Maß); Jacques (ders., Wie es euch gefällt); Malvolio (ders., Was ihr wollt); Graf Klingsberg (A. von Kotzebue, Die beiden Klingsberg); etc. – Weitere Regiearbeiten: H. von Hofmannsthal, Das Salzburger große Welttheater; G. E. Lessing, Emilia Galotti; etc. – Filme: Stummfilme: Das andere Ich, 1918; Die Venus, 1922; etc. – Tonfilme: Das Flötenkonzert von Sanssouci, 1930; Yorck, 1931; Der weiße Dämon, 1932; Matthäus-Passion, 1949; Reich mir die Hand, mein Leben, 1955; etc.
N.: Die Presse, Neuer Kurier (m. B.), 19. 6. 1958.
L.: Die Presse, 16. 7. 1994 (m. B.); WZ, 14. 6. 2008 (m. B.); Alth, Burgtheater, s. Reg.Bd.; Czeike (m. B. u. L.); Enc. dello spettacolo (m. B.); NÖB 13; E. Buschbeck, R. A. und das Burgtheater, 1946 (m. Rollenverzeichnis u. B.); O. M. Fontana, Wiener Schauspieler, 1948 (m. B.); D. Aslan, Ein Lebensbericht über R. A., 1953 (m. B.), teilweise fortgeführt in: Die Bühne, H. 4–33, 1959–1961 (m. B.); J. Handl, Schauspieler des Burgtheaters, 1955, S. 128–132 (m. B.); H. David, R. A.s Direktionszeit am Wiener Burgtheater, phil. Diss. Wien, 1966; F. Hennings, Heimat Burgtheater 3, 1974, passim; R. A. Begegnung im Licht. Briefwechsel mit T. Riedl, ed. M. Gruber, 1978 (m. B.); K. Weniger, Das große Personenlexikon des Films 1, 2001 (m. Filmographie); Standesamt Seewalchen am Attersee, Oberösterreich; armenisch-apostolische Kirche, Materialiensammlung ÖBL, beide Wien.
(E. Lebensaft)   
Zuletzt aktualisiert: 1.3.2011  
PUBLIKATION: ÖBL Online-Edition, Lfg. 1 (01.03.2011)