Barvins'kyj (Barwinski, Barwiński, Barwinskij), Oleksandr (Alexander) Hryhorovyč (1847–1926), Politiker, Historiker und Pädagoge

Barvins’kyj (Barwinski, Barwiński, Barwinskij) Oleksandr (Alexander) Hryhorovyč, Politiker, Historiker und Pädagoge. Geb. Szlachcińce, Galizien (Šljachtynci, UA), 8. 6. 1847; gest. Lwów, Polen (L’viv, UA), 25. 12. 1926; griech.-kath. Sohn des griechisch-katholischen Geistlichen Hryhorij Barvins’kyj (1802–1880), Bruder von →Volodymyr Barvins’kyj sowie des Geistlichen und Schriftstellers Osyp Barvins’kyj (geb. Szlachcińce, 29. 9. 1844; gest. Serwery, Galizien / Syrovary, UA, 8. 2. 1889), Vater des Historikers Bohdan Barvins’kyj; ab 1870 mit Sofija Šumpeter (gest. 1876) und ab 1879 mit Jevhenija Ljubovyč verheiratet. – B. besuchte 1857–65 das Gymnasium in Tarnopol und nahm daraufhin ein Studium an der philosophischen Fakultät der Universität Lemberg auf. Ab 1868 war er als Supplent für Geographie, Geschichte, Polnisch und Ruthenisch am Gymnasium in Brzeżany tätig, ehe er ab 1871 als provisorischer Lehrer und ab 1874 als Professor an der Lehrerbildungsanstalt in Tarnopol unterrichtete. Im selben Jahr schloss er auch die Lehramtsprüfung für Gymnasien in Geschichte und Geographie ab, 1878 in Ruthenisch und Polnisch. Aufgrund seiner kulturellen und politischen Aktivitäten – so ließ er sich bereits 1885 als Kandidat für die Reichsratswahl aufstellen, trat dann jedoch zurück – riet der Statthalter 1886 davon ab, ihn zum Direktor der nun utraquistischen Lehrerbildungsanstalt zu berufen, obwohl er der einzige Kandidat war, der sowohl Polnisch als auch Ruthenisch unterrichten konnte. 1888 wurde er schließlich Professor an der Lehrerbildungsanstalt in Lemberg. 1894–1903 saß B. als Abgeordneter im galizischen Landtag und 1891–1907 im Abgeordnetenhaus des Reichsrats, wo er dem Klub der Ruthenen, der Slovanska krščanska-narodna zveza (Obmann), dem Slawischen Zentrum, der Slovanska zveza (Obmann-Stellvertreter) und zuletzt dem Ruskij-Klub (Ruthenenklub) angehörte. 1917 wurde er zum Mitglied des Herrenhauses auf Lebenszeit ernannt (vorerst Gruppe der Rechten, ab Sommer 1918 Reichspartei). 1918–19 hatte er in der Westukrainischen Volksrepublik das Amt des Staatssekretärs für Kultus und Unterricht inne. Als Politiker engagierte er sich besonders für ukrainischsprachige Bildungseinrichtungen, darunter die Gymnasien in Kolomea, Tarnopol und Stanislau. Er war zentraler Akteur der Nova era in Galizien, einer kurzlebigen Verständigungspolitik in den 1890er-Jahren, die der ruthenisch-ukrainischen Nationalbewegung zahlreiche Zugeständnisse einbrachte. Als solcher von mehreren ruthenischen politischen Lagern kritisiert, galt er aus staatlicher Perspektive fortan als moderate Kraft innerhalb der ukrainischen Nationalbewegung. 1911 gründete er die ruthenische christlichsoziale Partei. 1891–96 fungierte B. als Präsident der Ruthenischen Pädagogischen Gesellschaft, 1889–95 als Obmann-Stellvertreter des Volksbildungsvereins Prosvita. 1893–97 Vorsitzender der Ševčenko-Gesellschaft der Wissenschaften, übte er später Kritik an deren Ausrichtung unter →Mychajlo Hruševs’kyj. Als Folge eines vom Sekretär der Gesellschaft →Volodymyr Hnatjuk initiierten Verfahrens wurde er 1907 ausgeschlossen, seine Unterstützer konnten diese Entscheidung 1909 jedoch revidieren. B. war auch publizistisch und schriftstellerisch tätig. 1880 gründete er gemeinsam mit seinem Bruder die Zeitung „Dilo“, 1888–98 fungierte er als Redakteur der vom russländisch-ukrainischen Mäzen Oleksandr Konys’kyj finanzierten Wochenschrift „Pravda“ und 1896–1914 leitete er die Redaktion der von ihm gegründeten christlichsozialen Tageszeitung „Ruslan“, für die er anonym zahlreiche Artikel schrieb. B. verfasste weiters mehrere Lehrbücher sowie (populär-)wissenschaftliche Darstellungen auf Ukrainisch und Deutsch, darunter im sogenannten Kronprinzenwerk, und gab u. a. die Reihe „Rus’ka istoryčna biblioteka“ heraus. 1898 erhielt er den Orden der Eisernen Krone III. Klasse, 1910 wurde er zum Hofrat ernannt.

W.: Stavropyhijs’ke bratstvo Uspens’ke u L’vovi ..., 1886; Das Volksleben der Ruthenen, in: Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild. Galizien, 1897; Istorija Ukrajiny-Rusy, 1904 (Neuausg. 1920); Die Bedeutung des ruthenischen Volksstammes für Österreich-Ungarn, in: Österreichische Rundschau 31, 1912; Istorija ukrajins’koji literatury, 2 Bde., 1920–21; Korotka istorija ukrajins’koho narodu, 1926.
L.: Adlgasser; St. Pavlyšyn, O. B., 1997 (mit Bild); I. Čornovol, Pol’s’ko-ukrajins’ka uhoda 1890–94 rr., 2000, s. Reg.; O. B., Spomyny z moho žyttja 1–2, 2004–09 (mit Bild); O. Arkuša, in: Zachidno-ukrajins’ka narodna respublika 1918–23, 2009, S. 48ff.; Sv. Romanjuk, O. B., 2009 (mit Bild); Naukove tovarystvo imeni Ševčenka. Encyklopedija 1, 2012 (mit Bild); Instytut literatury im. T. H. Ševčenka Nacionalʼnoji akademiji nauk Ukrajiny, Kyjiv, Lʼvivsʼka nacionalʼna naukova biblioteka Ukraijiny im. V. Stefanyka, L’viv, beide UA.
(M. Rohde)   
Zuletzt aktualisiert: 10.12.2019  
PUBLIKATION: ÖBL Online-Edition, Lfg. 8 (10.12.2019)