Benedikt, Moritz (Moriz) von (1835–1920), Elektrotherapeut, Neurologe und Pathologe

Benedikt Moritz (Moriz) von, Elektrotherapeut, Neurologe und Pathologe. Geb. Eisenstadt, Ungarn (Burgenland), 4. 6. 1835; gest. Wien, 14. 4. 1920; mos. Sohn des Handelsmanns Hermann Benedikt, Vater u. a. der Journalistin und Aktivistin der Frauenbewegung Clotilde Benedikt (1868–1939); ab 1868 verheiratet mit Aloisia (Louise) Benedikt, geb. Grimm (1850–1905). – Nach dem Besuch des Gymnasiums in Wien studierte B. an der dortigen Universität ab 1853 Mathematik und Physik, ab 1854 Medizin bei →Ernst Wilhelm von Brücke, →Josef Hyrtl, →Josef von Skoda, →Ferdinand Arlt von Bergschmidt und →Johann von Oppolzer. 1859 Dr. med. und Dr. chir., fungierte er im selben Jahr als Militärarzt auf dem italienischen Kriegsschauplatz. Bereits 1862 habilitierte er sich für Elektro- und später auch für Nerventherapie. 1866 diente er freiwillig im Österreichisch-Preußischen Krieg als Regimentsarzt; 1868 ao. Professor für Neuropathologie und Elektrotherapie, 1899 o. Titularprofessor. 1875–1920 leitete B. die Abteilung für Nervenheilkunde an der Allgemeinen Poliklinik in Wien. Dort hielt er Vorlesungen und Kurse, die auch von zahlreichen ausländischen Ärzten besucht wurden. Sein Interesse an der Elektrotherapie resultierte aus seiner Zeit bei Oppolzer, als er die Wirkung des galvanischen Stroms untersuchte, wobei ihm seine mathematischen und physikalischen Studien zugute kamen. Gemeinsam mit →Moriz Rosenthal hatte B. wesentlichen Anteil an der Etablierung der Elektrotherapie als eigenes Fach. Darüber hinaus bemühte er sich um die Ergründung physiologischer Vorgänge auf physikalischen Grundlagen. So versuchte er z. B. den Sitz der menschlichen Moral zu lokalisieren und vermutete diesen im Occipitallappen. Weiters befasste er sich mit Biologie, Biomechanik und Psychologie. Durch seine Beschäftigung mit Schädelmessungen – er besuchte sowohl in Österreich als auch in Italien Gefängnisse, um Schädelmessungen an Verbrechern vorzunehmen –, mit Hypnose, Ruten- und Pendellehre ging er an die Grenzen der etablierten medizinischen Lehre. War B. einerseits einer der Ersten, die die Bedeutung der Röntgenologie für die Schädelpathologie erkannten, so wurde er hingegen für seine Begeisterung für Wünschelruten und andere übersinnliche Themen (u. a. vertrat er die Meinung, dass unsichtbare Strahlen von der Körperoberfläche ausgehen) sowie für seinen Hang zur Esoterik vielfach verhöhnt. Von seinen Werken sind u. a. „Elektrotherapie“ (1868, 2. Aufl.: „Nervenpathologie und Elektrotherapie“, 1874) sowie mehrere kriminalanthropologische Studien, darunter „Zur Anthropologie der Verbrechen“ (in: Wiener medizinische Presse 16, 1875), hervorzuheben. 1903 publizierte er über „Das biomechanische (neo-vitalistische) Denken in der Medizin und in der Biologie“, das auf seinen philosophischen Auseinandersetzungen mit den theoretischen Grundlagen der Heilkunde fußte und 1912 ins Französische sowie Spanische übersetzt wurde. 1906 erschien schließlich „Aus meinem Leben“, worin er u. a. seine Erinnerungen an Hyrtl und →Karl Freiherr von Rokitansky niederschrieb. In weiteren Arbeiten befasste er sich mit Augenmuskellähmungen, mit der elektrischen Untersuchung der Hörnerven, der pathologischen Anatomie der Tollwut, mit Gehirnfunktionen und mit Rückenmarksschwindsucht. Zudem entdeckte er den später nach ihm benannten Benediktʾschen Symptomenkomplex. Auf politischem Gebiet kämpfte B. an der Seite →Ferdinand Kronawetter s für Demokratie und begrüßte das Entstehen der Arbeiterbewegung. Daneben befasste er sich mit zeitgenössischer Literatur und betätigte sich selbst literarisch. Erwähnenswert sind seine 1854 erschienenen „Studien über österreichische dramatische Dichter“. B. war u. a. ab 1863 Mitglied der Gesellschaft der Ärzte in Wien, weiters Mitglied der Akademien von Rom, Neapel und Paris sowie zahlreicher internationaler anthropologischer, psychologischer, medizinischer und naturwissenschaftlicher Gesellschaften. Darüber hinaus fungierte er 1888 als 1. Vizepräsident des Vereins für erweiterte Frauenbildung in Wien. Die Universität von Oxford verlieh ihm ein Ehrendoktorat. Seine wertvollen Apparate und der Großteil seiner Privatbibliothek wurden bei einem Brand im Mai 1920 vernichtet.

Weitere W.: s. Eisenberg; Kreuter.
L.: WZ, 16., Neues Wiener Journal, 16., 17., NWT, 16. 4., 5. 5. 1920; Eisenberg 2 (s. u. Benedickt, mit W.); Inauguration Univ. Wien 1920/21, 1920, S. 27f.; Kreuter (mit W.); Lesky, s. Reg.; Pagel (mit Bild); H. Weiss, in: WMW 46, 1896, Sp. 233ff.; E. Stransky, ebd. 70, 1920, Sp. 841f.; E. Ebstein, in: Ärzte-Memoiren, 1923, S. 357ff.; E. Deimer, Chronik der Allgemeinen Poliklinik in Wien, 1989, s. Reg. (mit Bild); J. Verplaetse, in: History of Psychiatry 15, 2004, S. 305ff.; J. Verplaetse, Localizing the Moral Sense, 2009, S. 159ff.; K. B. Bhattacharyya, Eminent Neuroscientists, 2011, S. 25f. (mit Bild); Wien Geschichte Wiki (mit Bild, Zugriff 17. 12. 2019); IKG, Josephinum, UA, alle Wien.
(G. Vavra)   
Zuletzt aktualisiert: 15.12.2020  
PUBLIKATION: ÖBL Online-Edition, Lfg. 9 (15.12.2020)
1. AUFLAGE: ÖBL 1815-1950, Bd. 1 (Lfg. 1, 1954), S. 69
Bd. <==> | |<1  <=−10<=  S. 1 =>+10=>
Bd. <==> | |<1  <=−10<=  S. 1 =>+10=>