Bettauer, (Maximilian) Hugo; bis 1890 Betthauer (1872–1925), Schriftsteller

Bettauer (Maximilian) Hugo, bis 1890 Betthauer, Schriftsteller. Geb. Baden (Niederösterreich), 18. 8. 1872; gest. ebd., 26. 3. 1925 (ermordet); mos., ab 1890 evang. AB. Sohn des wohlhabenden Börsenarrangeurs Arnold (Samuel Aron) Betthauer (gest. 9. 6. 1873) und seiner Frau Anna Betthauer, geb. Wecker, Vater des Versicherungsvertreters Heinrich Gustav Hellmuth (Helmut) Bettauer (geb. Berlin, Preußen / D, 12. 6. 1899; gest. KZ Auschwitz, Deutsches Reich / PL, nach dem 4. 4. 1944, ermordet) und des Strafverteidigers Reginald Parker Bettauer (geb. USA, 23. 8. 1904); ab 1896 in 1. Ehe mit der Schauspielerin Olga Steiner alias dʼEstree (geb. Wien, 23. 10. 1875), in 2. Ehe mit Helene Müller verheiratet. – B. besuchte ab 1886 das Franz-Josephs-Gymnasium an der Stubenbastei und war dort zeitweilig ein Klassenkollege von →Karl Kraus. 1890 meldete er sich als Einjährig-Freiwilliger zu den Kaiserjägern in Tirol, desertierte aber nach fünf Monaten in die Schweiz. 1896 übersiedelte er nach Zürich, wanderte wenige Monate später nach Amerika aus und verlor das gesamte väterliche Erbe durch eine Fehlinvestition. 1899 kehrte er als amerikanischer Staatsbürger nach Europa zurück, wo er in Berlin die Redaktion des Lokalteils der „Berliner Morgenpost“ übernahm und durch journalistische Aufdeckungsarbeit mit Polizei und Behörden in Konflikt kam, was zu Verurteilungen und einem Gefängnisaufenthalt führte. B. hatte u. a. die Berliner Polizei der Korruption und Protektionswirtschaft verdächtigt und entlarvte einen reichen Berliner als Kindesentführer. Nach seiner Ausweisung aus Preußen übersiedelte B. zuerst nach München und später nach Hamburg. 1904 wanderte er erneut in die Vereinigten Staaten aus, wo er als Reporter arbeitete und ab 1907 Fortsetzungsromane verfasste (u. a. „Im Schatten des Todes. New Yorker Kriminalroman“, als Buch 1925 erschienen). 1908 kehrte B. nach Österreich zurück, zuerst nach Graz, 1910 schließlich nach Wien, wo er wieder als Schriftsteller und Redakteur tätig war (bis 1914 bei „Die Zeit“, bis 1918 bei der „Neuen Freien Presse“). Bevor er sich ab Anfang 1920 intensiv dem Schreiben von überwiegend Kriminalromanen widmete, engagierte sich B. in den ersten Nachkriegsjahren als Europa- bzw. Wien-Korrespondent des „New York American“ sowie der „New Yorker Staatszeitung“ auch auf dem Sektor der Sozialarbeit, indem er amerikanische Unterstützungshilfe für Lebensmittel und den Wiederaufbau Wiens weiterleitete. Bis 1924 veröffentlichte B. insgesamt 20 Romane, von denen neun noch in den 1920er-Jahren verfilmt wurden, darunter 1920 „Faustrecht“, 1922 „Die Stadt ohne Juden. Ein Roman von übermorgen“ – mit einer Auflage von über 250.000 Exemplaren ein früher Bestseller (Neuaufl. 2012) – und 1923 „Die freudlose Gasse“ (Neuaufl. 2011), die 1925 mit Greta Garbo in der Regie von G(eorg) W(ilhelm) Pabst verfilmt wurde. Gleichzeitig schrieb er als Redakteur des Wiener Wochenblatts „Der Morgen“ Feuilletons, in denen er sich erotischen Themen und der Aufklärung der Bevölkerung widmete. Anfang 1924 gründete er die Zeitschrift „Er und sie“. Die „Wochenschrift für Lebenskultur und Erotik“, so der Untertitel, die er gemeinsam mit Rudolf Olden herausgab, wurde jedoch nach fünf Ausgaben wieder eingestellt und als „Bettauers Wochenschrift. Probleme des Lebens“ 1924–25 fortgeführt. B.s freizügige Stellungnahmen zu brisanten Themen wie Homosexualität, Abtreibung oder Kindesmisshandlung lösten öffentliche Kontroversen aus, die zu Beschlagnahmungen wegen Sittengefährdung, einer Anzeige und schließlich zu einem Prozess führten. Trotz Freispruchs wurde er medial zum jüdischen Feindbild gegen Anstand und Sitte hochgespielt, was in einem Schuss-Attentat durch das NSDAP-Mitglied Otto Rothstock am 10. März 1925 gipfelte, in deren Folge B. seinen Verletzungen erlag. In jüngster Zeit erlebten B.s Werke zahlreiche Neuauflagen.

Weitere W.: Hemmungslos. Kriminal-Roman aus der jüngsten Zeit, 1920 (Neuaufl. 2015); Bobbie auf der Fährte, 1921; Die drei Ehestunden der Elizabeth Lehndorff, 1922; Der Frauenmörder, 1922 (Neuaufl. 2015; 1925 verfilmt, Regie: Carl Froelich); Der Herr auf der Galgenleiter. Ein Tag aus dem Leben eines Normalmenschen, 1922 (Neuaufl. 2014); Das blaue Mal. Der Roman eines Ausgestoßenen, 1922 (Neuaufl. 2012); Der Kampf um Wien, 1923 (Neuaufl. 2012); Das entfesselte Wien, 1924; Die schönste Frau der Welt, 1924 (1924 verfilmt, Regie: Richard Eichberg); Gesammelte Werke in sechs Bänden, 1980; Autobiographie im Nachlass F. Brümmer, Homepage der Staatsbibliothek zu Berlin (Zugriff 4. 2. 2016).
L.: M. G. Hall, Der Fall B., 1978; Lexikon deutsch-jüdischer Autoren 2, ed. R. Heuer, 1993; G. Geser, in: Die Stadt ohne Juden, ed. ders. – A. Loacker, 2000 (mit Bild); Lexikon der Weltliteratur. Deutsche Autoren, ed. G. v. Wilpert, 4. Aufl., 2004; Metzler Lexikon der deutsch-jüdischen Literatur, ed. A. B. Kilcher, 2. Aufl. 2012; B. Staudinger, Salon Austria. Die großen Köpfe österreichisch-jüdischer Kultur, 2013, S. 58ff.
(K. Bergmann-Pfleger)   
Zuletzt aktualisiert: 25.11.2016  
PUBLIKATION: ÖBL Online-Edition, Lfg. 5 (25.11.2016)
1. AUFLAGE: ÖBL 1815-1950, Bd. 1 (Lfg. 1, 1954), S. 78
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