Bieler, Ludwig (1906–1981), Altphilologe

Bieler Ludwig, Altphilologe. Geb. Wien, 20. 10. 1906; gest. Dublin (IRL), 2. 5. 1981; röm.-kath. Sohn des Volksschuldirektors Ludwig Bieler und dessen Frau Antonia, geb. Bäder; ab 1939 mit Eva Uffenheimer verheiratet. – B. studierte ab 1925 klassische Philologie an den Universitäten Wien, Tübingen und München. In Wien dissertierte er 1929 bei Ludwig Radermacher über die Mirabilien in der Vita eines bretonischen Heiligen („De vita S. Sansonis a Baldrico enarrata quaestiones tres“). Nach einem kurzen Versuch als Gymnasiallehrer war er bis 1938 an der sogenannten Kirchenväterkommission der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und in der Handschriftensammlung der Österreichischen Nationalbibliothek tätig. 1936 habilitierte er sich mit der preisgekrönten Studie „Das Bild des ,göttlichen Menschen’ in Spätantike und Frühchristentum“ (2 Bde., 1935-36, Nachdrucke 1967, 1976). Darin sieht B. Elemente des griechischen Heldenideals vom göttlichen Menschen in der Figur Jesu Christi fortgeführt. 1937 hatte er Aussicht auf eine Professur in Salzburg, doch 1938 kam eine abrupte Wende: B. hatte sich zwar nicht offen gegen den Nationalsozialismus gestellt, doch einzelne Bemerkungen in verschiedenen Publikationen ließen seine Abneigung gegen diesen erkennen. Aus Furcht vor Repressalien floh er in den Tagen des „Anschlusses“ zunächst in die Schweiz und dann über Frankreich nach England. Dort heiratete er die zum Katholizismus konvertierte Jüdin Eva Uffenheimer, die er auf der Flucht kennengelernt hatte. Erst nach Überwindung größter Schwierigkeiten konnte er nach Dublin ausreisen, wo man einen kompetenten Latinisten für die Arbeit an irischen Heiligenviten suchte, wofür B. schon durch seine Verankerung in der Wiener Patristik die besten Voraussetzungen mitbrachte. Rasch erwarb er sich auch in Irland hohes wissenschaftliches Ansehen, nicht zuletzt als die unbestrittene Autorität für den Nationalheiligen Saint Patrick, von dessen Schriften er u. a. die Briefe mustergültig edierte: „Libri Epistolarum Sancti Patricii episcopi. Introduction, Text and Commentary“ (1952). Er gründete die Editionsreihe der „Scriptores Latini Hiberniae“ (SLH), schrieb mehrere Bücher über irische Kultur und übersetzte lateinische Autoren ins Englische, doch trotz eines Schwerpunkts auf der irischen Latinität blieb sein wissenschaftliches Œuvre keineswegs darauf beschränkt. Die größte Verbreitung fand seine „Geschichte der römischen Literatur“ (2 Bde., 1961, überarbeitet 1972), die in mehrere Sprachen übersetzt wurde. Schon 1946 hatte B. die irische Staatsbürgerschaft erhalten, sein akademischer Aufstieg ging über zwei Jahrzehnte allerdings nur langsam voran. Neben wechselnden Stellen an irischen Universitäten, v. a. am University College Dublin, und an der National Library of Ireland war er 1947/48 Assistant Professor of Classics an der University of Notre Dame in Indiana, USA. Zur Diskussion stehende Berufungen nach Wien oder Graz kamen nicht zustande. Schließlich wurde am University College Dublin für ihn die Stelle eines Professor of Palaeography and Late Latin geschaffen, die er 1960 antrat. B. unternahm zahlreiche Reisen an die wichtigsten europäischen Bibliotheken, wo sein Interesse v. a. mittelalterlichen Handschriften mit Bezug zu Irland galt. Sein wissenschaftliches Werk umfasst rund 250 Publikationen. Das Trinity College Dublin sowie die Universitäten München und Glasgow verliehen B., der Leitfigur der Erforschung irischer Latinität, ihr Ehrendoktorat. Er war Mitglied der Royal Irish Academy, der Royal Dublin Society, der British Academy und des Institute for Advanced Study, Princeton, sowie korrespondierendes Mitglied der Medieval Academy of America und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (1964).

Weitere W. (s. auch Latin Script and Letters): Boethii Philosophiae Consolatio, 1957; Irland. Wegbereiter des Mittelalters, 1961 (Ireland. Harbinger of the Middle Ages, 1963); The Irish Penitentials, 1963; Four Latin Lives of St. Patrick, 1971 (Reprint 2005); The Patrician Texts in the Book of Armagh, 1979 (Reprint 2004).
L.: The Irish Times, 12. 5. 1981; R. Hanslik, in: Almanach Wien 131, 1982, S. 369ff. (mit Bild); Latin Script and Letters A.D. 400–900. Festschrift presented to L. B. …, ed. J. O’Meara – B. Naumann, 1976 (mit W.); J. O’Meara, in: Gnomon 54, 1982, S. 222f.; F. Römer – H. Schwabl, in: Geschichte der österreichischen Humanwissenschaften 5, ed. K. Acham, 2003, S. 99f.; H. Rasche, in: German-speaking Exiles in Ireland 1933–45, ed. G. Holfter, 2006, S. 171ff.; F. Römer – S. M. Schreiner, in: Geisteswissenschaften im Nationalsozialismus. Das Beispiel der Universität Wien, ed. M. G. Ash u. a., 2010, s. Reg.; F. Römer, in: Exilforschung: Österreich. Leistungen, Defizite & Perspektiven, ed. E. Adunka u. a., 2018, S. 214ff.
(F. Römer)   
Zuletzt aktualisiert: 14.12.2018  
PUBLIKATION: ÖBL Online-Edition, Lfg. 7 (14.12.2018)