Blaschke, Ernst (1856–1926), Mathematiker

Blaschke Ernst, Mathematiker. Geb. Mistek, Mähren (Frýdek-Místek, CZ), 13. 8. 1856; gest. Wien, 30. 10. 1926; röm.-kath. Sohn des Mediziners Josef Blaschke und von Gabriele Blaschke, geb. Heinrich, Schwiegersohn von →Hermann Blodig; verheiratet mit Hermine Blaschke, geb. Blodig (geb. 2. 8. 1869; gest. 1938). – Nach Absolvierung der Hauptschule sowie des Staatsgymnasiums in Troppau (1866–74) besuchte B. ab 1874 zwei Jahre hindurch die damalige Wiener Handelshochschule, wo er bei →Simon Spitzer die Elemente der politischen Arithmetik (= Versicherungsmathematik) lernte. Ab dem Sommersemester 1875 studierte er an der Universität Wien Mathematik und Physik; 1879 Lehramtsprüfung aus Mathematik und Physik. 1879/80 absolvierte B. das Probejahr am Wiener Akademischen Gymnasium, 1880–81 besuchte er weiterhin Vorlesungen an der Universität Wien; 1884 Dr. phil. Bereits 1882 trat er den Dienst in der Versicherungsabteilung des Ersten allgemeinen Beamten-Vereins der österreichisch-ungarischen Monarchie an, zunächst als Aspirant, im Februar 1882 als definitiver Beamter. Zuletzt stieg er zum Vorstandsstellvertreter im mathematischen Bureau auf, wo er bis 1896 blieb. Nebenbei wirkte er als Beirat der berufsgenossenschaftlichen Unfallversicherungs-Gesellschaft österreichischer Eisenbahner und las 1883–85 an der Alliana-Mühlbauer’schen Privat-Handelsschule in Wien über Versicherungswesen. 1889 reichte er an der Technischen Hochschule in Wien seine Habilitationsschrift „Über die Ausgleichung von Wahrscheinlichkeiten, welche Functionen einer unabhängigen Variablen sind“ (in: Denkschriften der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, mathematisch-naturwissenschaftliche Klasse 54, 1888, 2. Abteilung) ein, 1890 erhielt er die Lehrbefugnis für politische Arithmetik. Ab 1890/91 hielt er Vorlesungen über Theorie und Praxis der Personalversicherung an der Technischen Hochschule, nach Einrichtung des versicherungstechnischen Kurses 1895/96 beide Kurse aus Versicherungsmathematik sowie ab 1896 als Honorardozent Vorlesungen über mathematische Statistik. 1894 erhielt er auch die Venia legendi für politische Arithmetik an der Universität Wien und las insbesondere über Versicherungsmathematik und mathematische Statistik. Als Habilitationsschrift reichte er dort „Die Methoden der Ausgleichung von Massenerscheinungen …“ (1893) ein. B. war zudem Mitglied der Prüfungskommissionen an beiden Hochschulen und ab 1897 Mitglied der Prüfungskommission für behördlich autorisierte Versicherungstechniker. 1899 tit. ao. Professor, 1926 tit. o. Professor an der Technischen Hochschule in Wien, trat er im selben Jahr in den Ruhestand. Zu seinen Schülern zählte der Schriftsteller Leo Perutz. Im April 1896 trat B. in den Staatsdienst ein, wo er zunächst Oberinspektor des neu errichteten Departements für Privatversicherung im Ministerium des Innern wurde und dort 1902–07 als Regierungsrat und danach als Vorstand wirkte; 1911 Hofrat. 1915 trat er als Beamter in den Ruhestand, wurde aber kurz darauf in den Verwaltungsrat der Lebensversicherungsgesellschaft Österreichischer Phönix gewählt. B. zählte zu den führenden österreichischen Versicherungsmathematikern und Statistikern seiner Zeit. Er wirkte bei internationalen Kongressen mit und setzte sich besonders für eine Vereinheitlichung der Staatsaufsicht in allen europäischen Ländern ein. In seinen Publikationen befasste er sich v. a. mit Sterblichkeitsmessung, Todesursachenstatistik und Pensionsversicherung und initiierte die Auseinandersetzung mit „Absterbe-Ordnungen aus Beobachtungen an österreichischen Versicherten“ (4 Bde., 1907), wobei er zu diesem Werk selbst große Teile beisteuerte. Seine Lehrtätigkeit fasste er in den „Vorlesungen über mathematische Statistik (Die Lehre von den statistischen Masszahlen)“, 1906, zusammen. Erwähnenswert ist ebenso sein Buch „Die Technik des Pensionsversicherungsgesetzes“, 1915. Weiters publizierte er u. a. in „Oesterreichische Revue. Organ für Versicherung und Volkswirtschaft“. B. war Mitglied der mathematisch-statistischen Vereinigung österreichisch-ungarischer Privatversicherungsgesellschaften und der Deutschen Mathematikervereinigung (ab 1894) sowie des deutschen Vereins für Versicherungswissenschaften. Er gehörte 1917 zu den Gründungsmitgliedern der Österreichischen Gesellschaft für Bevölkerungspolitik, in der er auch im Schiedsgericht saß. 1917 wurde er korrespondierendes Mitglied der Statistischen Zentralkommission, 1919 Ersatzmann im Beirat für die Staatsaufsicht über Versicherungsunternehmungen und 1921 in den Beirat für Vertragsversicherungen berufen. Darüber hinaus war er korrespondierendes Mitglied des Institut des actuaires français, des Institute of Actuaries in London, der Vereinigung schweizerischer Versicherungsmathematiker sowie der Statistischen Zentralkommission. 1921 wurde ihm h. c. die Würde eines behördlich autorisierten Versicherungstechnikers verliehen. Darüber hinaus fungierte er 1909 als Vizepräsident des 6. Internationalen Kongresses für Versicherungswissenschaft in Wien. 1901 erhielt B. das Ritterkreuz des Franz Joseph-Ordens, 1907 den Orden der Eisernen Krone III. Klasse.

Weitere W.: s. Einhorn; Ottowitz.
L.: WZ, 30. 3. 1907, 7. 9. 1911, 14. 1. 1917, 4. 11. 1926; NFP, 18. 5. 1915, 3., 4. (Parte) 11. 1926; Arbeiterwille, 6. 7. 1915; E. Fanta, in: Oesterreichische Revue. Organ für Versicherung und Volkswirtschaft 51, 1926, S. 185f.; G. Rosmanith, in: Versicherungswissenschaftliche Mitteilungen des Deutschen Vereines für Versicherungswesen in der Tschechoslovakischen Republik 5, 1927, S. 3; Versicherungslexikon, ed. A. Manes, 3. Aufl. 1930; A. Lechner, Geschichte der Technischen Hochschule in Wien, 1942, s. Reg.; R. Einhorn, Vertreter der Mathematik und Geometrie an den Wiener Hochschulen 1900–40, 1, 1985, S. 356ff. (mit Bild und W.); N. Ottowitz, Der Mathematikunterricht an der Technischen Hochschule in Wien 1815–1918, 2, 1992, S. 283ff. (mit Bild und W.); P. Šišma, Matematika na německé technice v Brně, 2002, S. 199; J. Mikoletzky, in: 30 Jahre Institut für Statistik und Wahrscheinlichkeitstheorie 1967–97, ed. R. Viertl, 2002, S. 18f.; Ch. Binder, in: Internationale Mathematische Nachrichten / International Mathematical News / Nouvelles Mathématiques Internationales 57, 2003, S. 4f., 7; W. Hafner, in: V. Bronzin’s Option Pricing Models. Exposition and Appraisal, ed. ders. – H. Zimmermann, 2009, S. 327, 349, 356; TU, UA, beide Wien.
(M. Pesditschek)   
Zuletzt aktualisiert: 25.11.2016  
PUBLIKATION: ÖBL Online-Edition, Lfg. 5 (25.11.2016)