Böhler, Friedrich (1849–1914), Großindustrieller

Böhler Friedrich, Großindustrieller. Geb. Frankfurt am Main, Freie Stadt (D), 8. 5. 1849; gest. Wien, 3. 12. 1914; evang. AB. Jüngster Sohn des Frankfurter Handelsmanns Georg Friedrich Böhler (geb. Plauen, Sachsen / D, 5. 5. 1799) und dessen 2. Frau Sophie Louise Böhler, geb. Beringer, verwitwete Benner (geb. Waiblingen, Württemberg, D, 9. 12. 1813), Bruder von Emil Böhler (geb. 3. 1. 1843; gest. 22. 1. 1882), →Albert Böhler und des Unternehmers und Schattenbildkünstlers Otto Böhler (geb. Frankfurt am Main, 11. 11. 1847; gest. Wien, 5. 4. 1913), Vater von Fritz Böhler (gest. 12. 6. 1891), Onkel von Bergrat Dr. Otto Böhler, Werksdirektor in Kapfenberg, des Prokuristen Richard Böhler, des Malers Hans Böhler, des Privatbeamten Walter Böhler, des Werksdirektors des Böhlerwerks in Waidhofen an der Ybbs Erwin Ludwig Böhler und des Prokuristen Ernst Heinrich Böhler; verheiratet mit Anna Böhler, geb. Gleich (geb. Linz, Oberösterreich, 7. 6. 1849; gest. Wien, 25. 4. 1916; röm.-kath.). – B. gehörte einer angesehenen und wirtschaftlich gut situierten Industriellen-Familie aus Frankfurt am Main, wo sein Vater ein florierendes Kaufhaus führte, an. Nachdem B. eine kaufmännische Ausbildung in England erworben hatte, nahm er am Deutsch-Französischen Krieg 1870–71 teil. 1875 trat er in das 1870 von seinen Brüdern Albert Böhler und Emil Böhler gegründete, mit Stahl(waren) Handel treibende Wiener Unternehmen Gebr. Böhler & Co. als neuer Gesellschafter ein, für das er in den ersten Jahren als Geschäftsreisender im Ausland neue Absatzmöglichkeiten suchte. 1882 errichtete man in Paris die Boehler Frères & Cie und in Sheffield die Bohler Brothers Ltd. 1886 entstanden Vertretungen in Berlin, Frankfurt am Main, Düsseldorf, Stuttgart und Leipzig sowie die erste Überseevertretung in Boston. Nach dem Tod seines Bruders Emil Böhler 1882 engagierte sich B. verstärkt in der Leitung der Firma; 1885 wurde er Prokurist und vermutlich 1889 Gesellschafter. 1890 ernannte ihn Kaiser →Franz Joseph I. zum Honorar-Vizekonsul bei dem durch das österreichische Außenministerium bei der englischen Niederlassung der Firma Böhler in Sheffield errichteten Konsulat. Zur Jahreswende 1898 kam es zur Übernahme der Aktienmehrheit der St. Egydyer Eisen- und Stahl-Industrie-Gesellschaft, mit der sich die Firma Böhler zuvor in einem starken Wettbewerb um die Herstellung von Feilen befunden hatte, und B. übernahm die Funktion des Präsidenten des Verwaltungsrats. Spätestens nach der Gründung der Gebr. Böhler & Co. Aktiengesellschaft 1899 und dem Tod Albert Böhlers, dessen Alleinerbe er war, kann B. als maßgebender Mann des Unternehmens bis zu seinem Tod angesehen werden. Er vereinigte nicht nur den Großteil des Vermögens der Gebr. Böhler & Co., sondern war auch Präsident des Verwaltungsrats des Unternehmens. 1900–14 stieg die Firma Böhler unter seiner Leitung zu einem großen sowohl Handel treibenden als auch produzierenden Unternehmen der Stahlindustrie auf, das über weltweite Vertretungen und Niederlassungen verfügte, so etwa ab 1907 in Schanghai, ab 1908 in Japan und Australien sowie ab 1910 in Südafrika. Zudem wurden unter B.s Ägide um 1901 die Marke „Böhler Rapid“, ein leistungsfähigerer Schnellarbeitsstahl, etabliert, die Firmenproduktion um Artilleriegeschosse erweitert, was u. a. um 1905 zur Errichtung einer neuen Munitionsfabrik in Sollenau in Niederösterreich führte, und das Stammwerk in Kapfenberg zu einem der führenden Edelstahlwerke Europas ausgebaut. B.s letztes großes Projekt bestand in Planung, Beauftragung und Baubeginn eines Stahlwerks in Düsseldorf. Fertigstellung und Inbetriebnahme sollte er nicht mehr erleben. Mit seinem Tod endete die Geschichte der Firma Gebr. Böhler & Co. als Familienunternehmen. B. wurde von Zeitgenossen eine bescheidene Persönlichkeit zugesprochen, die sich weitgehend vom öffentlichen Leben fernhielt und deren Sorge dem Unternehmen sowie der Arbeiterschaft galt. Für Letzteres spricht seine testamentarisch eingesetzte, nach dem Tod seiner Frau Friedrich und Anna Böhler-Stiftung genannte Alters-, Invaliditäts-, Waisen- und Witwen-Versorgungseinrichtung, bei der er fast die Hälfte seines Vermögens den Angestellten und Arbeitern der Firma hinterlassen hatte, die bei entsprechend langer Dienstzeit eine Gewinnbeteiligung am Unternehmen erhalten konnten. B. war Träger des Komturkreuzes des Franz Joseph-Ordens (1910) und des kaiserlich-russischen St. Annenordens III. Klasse.

L.: Grazer Tagblatt, 5. 12. 1914 (Abendausgabe); 25 Jahre Böhler Düsseldorf, 1940; O. Böhler, Geschichte der Gebr. Böhler & Co. AG. 1870–1940, 1941; 100 Jahre Böhler Edelstahl: 1870–1970, o. J.; Website Böhler Edelstahl (Zugriff 12. 1. 2016); WStLA, Wien.
(K. Bergmann-Pfleger)   
Zuletzt aktualisiert: 25.11.2016  
PUBLIKATION: ÖBL Online-Edition, Lfg. 5 (25.11.2016)
1. AUFLAGE: ÖBL 1815-1950, Bd. 1 (Lfg. 1, 1954), S. 96
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