Bojer, Wenzlaus (Wenzel) (1797–1856), Botaniker und Forschungsreisender

Bojer Wenzlaus (Wenzel), Botaniker und Forschungsreisender. Geb. Řesanitz, Böhmen (Řesanice, CZ), 23. 9. 1795; gest. Port Louis, Britische Kronkolonie Mauritius (MS), 4. 6. 1856; röm.-kath. Sohn des Gärtners Simon Bojer (Poyer) und der Barbara Bojer, geb. Staub. – Über B.s Schulbildung ist nichts bekannt. 1810 begann er eine dreijährige Gärtnerlehre bei →Kaspar Graf von Sternberg in Brzezina bei Rokitzan und arbeitete nach Abschluss der Ausbildung als Gärtner im Zisterzienserkloster Plaß. Veranlasst durch →Franz Sieber, der einen weltweiten Naturalienhandel begründen wollte und dazu Sammler auf eigene Kosten in verschiedene Erdteile schickte, reiste B. zusammen mit dem Botaniker Carl Theodor Hilsenberg im Dezember 1820 über Marseille nach Mauritius, wo er im Juli 1821 eintraf. Neben seinen Sammelaufträgen nahm B., finanziert von der mauritischen Regierung, zusammen mit Hilsenberg von Mai 1822 bis Oktober 1823 an einer Expedition nach Madagaskar teil, die naturhistorischen und wirtschaftlichen Zwecken diente. 1824 besuchte B. erneut Madagaskar und erforschte allein die nordwestliche Küste der Insel sowie die Komoren, ab 1825 widmete er sich, unterstützt durch den Mediziner und Botaniker Charles Telfair, wieder botanischen Studien auf Mauritius. Ende 1826 zum Professor der Botanik am Royal College in Port Louis ernannt, lehrte er neben Botanik auch Teilbereiche aus Zoologie und Mineralogie. Die besten Aufsammlungen, Zeichnungen und Beschreibungen von Naturalien durch seine Studenten wurden später von der Société d’Histoire Naturelle de l’île Maurice mit der Verleihung einer Goldmedaille belohnt. 1832 wurde seine Professur aus Einsparungsgründen zwar gestrichen, dennoch hielt B. in loser Form auch weiterhin Vorlesungen zu naturhistorischen Themen. 1835 besuchte er die Agalega-Inseln, im Sommer desselben Jahres wieder die Komoren. Als 1842, ausgehend von der reichen Privatsammlung des Julien Desjardins, das Naturhistorische Museum Desjardins in Port Louis gegründet wurde, bestellte man B. zu dessen Kurator. 1848–49 wirkte er zudem als Direktor des Pamplemousses Botanical Garden und wurde Anfang 1855 erneut an das Royal College berufen, diesmal als Professor für Naturgeschichte und landwirtschaftliche Chemie. Naturwissenschaftlich ein Autodidakt, brachte es B. durch konsequente Aufsammlungen und gründliche Beschreibungen von Naturalien zu einem international anerkannten Wissenschaftler. Vorrangig betätigte er sich als Botaniker, daneben befasste er sich jedoch auch mit zoologischen und landwirtschaftlichen Fragestellungen. Von Mauritius aus verschickte er Herbarmaterial und lebende Pflanzen in alle Welt, zusammen mit dem Botaniker Louis Bouton begründete er mit dem Colonial Herbarium die erste systematische Pflanzensammlung der Insel Mauritius. Unter seinen botanischen Publikationen befinden sich die Erstbeschreibung des Hülsenfrüchtlers „Poinciana regia“ (in: Curtis’s botanical magazine 56, 1829), ferner „On a new genus of the natural order of Tiliaceae, from the island of Madagascar“ (in: Botanical miscellany 1, 1830), „Botanical description of the Tanghin, Tanghinia veneniflua“ (ebd. 3, 1833) und „Descriptiones et icones plantarum rariorum quas in insulis Africae australis detexit anno 1824“ (in: Annales des sciences naturelles, Botanique 2/4, 1835). Sein Hauptwerk bildet der 1837 publizierte „Hortus Mauritianus“, in dem er über 2.000 damals auf Mauritius heimische oder eingebürgerte Pflanzenarten beschrieb. Zoologisch erläuterte B. die Lebensweise der Fossa (Cryptoprocta ferox) auf Madagaskar (in: Proceedings of the Zoological Society of London 2, 1834) und widmete sich einem Schädling des Zuckerrohrs, den er 1856 Proceras sacchariphagus benannte (in: Report of the Committee on the Cane Borer, 1856). Neben mehreren Dutzend Pflanzenarten wurde ihm zu Ehren 1831 ein Skink Gongylomorphus bojerii und 1836 eine Gattung aus der Familie der Korbblütler Bojeria benannt. B. war 1829 Gründungsmitglied und Vizepräsident der Société d’Histoire Naturelle de l’île Maurice, aus der später die Royal Society of Arts and Sciences of Mauritius hervorging, und u. a. ab 1849 Mitglied der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina.

Weitere W.: s. Vaughan.
L.: Gardeners’ chronicle and agricultural gazette, 20. 9. 1856; WZ, 19. 12. 1856; ADB; Stafleu; Wurzbach; Litterarischer Anzeiger 12 (= Beilage zu Isis, 1822/2), 1822, Sp. 433ff.; F. C. Dietrich, in: Allgemeine Gartenzeitung 24, 1856, S. 318ff.; Bonplandia 4, 1856, S. 381f.; Bulletin de la Société botanique de France 3, 1856, S. 446f.; Hooker’s journal of botany and Kew Garden miscellany 8, 1856, S. 312ff.; Flora 39, 1856, S. 767; Lotos 6, 1856, S. 224; M. H. Baillon, Dictionnaire de Botanique 1, 1876; V. Maiwald, Geschichte der Botanik in Böhmen, 1904, s. Reg.; H. Poisson, in: Bulletin de lʼAcadémie Malgache, Neue Serie 29, 1952, S. 113ff.; R. E. Vaughan, in: Proceedings of the Royal Society of Arts and Sciences of Mauritius 2/1, 1960, S. 73ff. (mit Bild und W.); J. H. Barnhart, Biographical notes upon botanists 1, 1965; L. J. Dorr, Plant collectors in Madagascar and the Comoro Islands, 1997, S. 50ff. (mit Bild); Pfarre Kotouň, CZ.
(M. Svojtka)   
Zuletzt aktualisiert: 30.11.2015  
PUBLIKATION: ÖBL Online-Edition, Lfg. 4 (30.11.2015)
1. AUFLAGE: ÖBL 1815-1950, Bd. 1 (Lfg. 2, 1954), S. 99
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