Bolyai de Bólya, János (Johann) (1802–1860), Offizier und Mathematiker

Bolyai de Bólya János (Johann), Offizier und Mathematiker. Geb. Klausenburg, Siebenbürgen (Cluj-Napoca, RO), 15. 12. 1802; gest. Neumarkt, Siebenbürgen (Tȃrgu Mureş, RO), 27. 1. 1860; evang. HB. Sohn des Mathematikers Farkas (Wolfgang) Bolyai de Bólya (→Wolfgang Bolyai de Bólya), eines Freunds von Carl Friedrich Gauß, und der Zsuzsanna Bolyai de Bólya, geb. Benkö de Arkós (geb. 1778 oder 1780; gest. 1821); 1849–52 (geschieden) mit Rozália Bolyai de Bólya, geb. Orbán de Kibed, verheiratet. – B. wurde zunächst von seinem Vater und von Privatlehrern unterrichtet, ab dem Alter von neun Jahren besuchte er das reformierte Kolleg in Neumarkt. Bereits als 13-Jähriger vertrat er seinen Vater in dessen Mathematikvorlesungen, galt allerdings als beliebterer Lehrer, da er die mathematischen Zusammenhänge besser erklären konnte. 1818 trat B. als Kadett in die Ingenieursakademie in Wien ein. 1823 zum Unterleutnant im Ingenieurkorps ernannt, wurde er der Fortifikationslokaldirektion in Temeswar zugeteilt. 1826 erfolgte seine Versetzung nach Arad, wo er bis 1830 in der Fortifikationsdirektion Dienst versah (1827 Oberleutnant). Ende 1830 wurde B. nach Lemberg versetzt, trat jedoch krankheitsbedingt seinen Dienst erst ein halbes Jahr später an. In dieser Zeit lebte er bei seinem Vater in Neumarkt und schuf 1831 seinen 28 Seiten umfassenden, mehrfach aufgelegten und heute weithin bekannten Appendix „Scientiam spatii absolute veram exhibens“, der im Anhang zu „Tentamen juventutem studiosam in elementa matheseos purae …“, einem Werk seines Vaters, das 1832 in Druck ging, erschien. 1832 ersuchte B. Erzherzog →Johann um Freistellung vom Militärdienst, um seinen wissenschaftlichen Neigungen nachgehen zu können. Dieser schlug vor, B. innerhalb der Armee nutzbringend einzusetzen, etwa als Lehrer an der Ingenieursakademie. 1833 schied B. jedoch aus gesundheitlichen Gründen aus der Armee aus und zog nach Neumarkt. Aufgrund von wiederholten Streitigkeiten mit dem Vater verlegte er seinen Wohnsitz auf das der Familie gehörende Landgut in Domáld, 1846 kehrte B. dann endgültig nach Neumarkt zurück. Während der Revolution 1848/49 wurde er von der Honvéd-Armee aufgefordert, sich am Aufstand zu beteiligen. Aufgrund seines angegriffenen Gesundheitszustands lehnte er eine Teilnahme am Felddienst ab, erklärte sich aber bereit, sein Wissen als Lehrer zur Verfügung zu stellen. Die Niederlage 1849 konnte B. allerdings nie überwinden. Die Lebensjahre als pensionierter Geniehauptmann waren geprägt von der Auseinandersetzung mit der Raumlehre sowie der Entwicklung einer eigenständigen Philosophie. B. legte neben Gauß und Nikolai Iwanowitsch Lobatschewski Mitte des 19. Jahrhunderts mit seiner als nicht-euklidischen Geometrie bekannten „absoluten Geometrie“ des Raums den Grundstein für eine neue Ära in der Mathematik und Geometrie. Im Gegensatz zu Gauß und Lobatschewski, die die euklidische Geometrie der nicht-euklidischen nur gegenüberstellten, vereinigte B. die beiden Teilgebiete auf höherer Stufe zu einer absoluten Geometrie. Seine Entdeckungen waren Ausgangspunkt für neue Wissenschaftsdisziplinen, darunter die Kosmologie, und bildeten auch eine wesentliche Grundlage für die allgemeine Relativitätstheorie von Albert Einstein. Trotz bahnbrechender wissenschaftlicher Leistungen litt B. unter chronischem Geldmangel, der ihn dazu zwang, die für ihn zuständige Militärbehörde um Unterstützung zu ersuchen. Zu Lebzeiten blieb B., der zudem als genialer Geigenspieler bekannt war und in Wien auftrat, die internationale Anerkennung versagt; heute jedoch zählt er weltweit zu den bedeutendsten Mathematikern (Geometrikern). Ein Mondkrater und ein Asteroid des Hauptgürtels (1441 B.) tragen seinen Namen. Alle fünf Jahre wird ein nach B. benannter internationaler Mathematik-Preis von der Magyar Tudományos Akadémia vergeben.

Weitere W. (s. auch Maeger): Geometrische Untersuchungen, ed. P. Stäckel, 1972 (gemeinsam mit Wolfgang B.).
L.: M. Életr. Lex.; Szinnyei; S. Wiesner, in: Jahresberichte der Deutschen Mathematiker-Vereinigung 29, 1920, S. 130ff.; A. Maeger, J. B. Der Mozart der Mathematik, 1999 (mit Bild und W.); T. Ács, J. B. an der Ingenieursakademie in Wien, 2007; K. Munkacsy, in: Mathematics in the Austrian-Hungarian Empire, ed. M. Bečvářová – Ch. Binder, 2010, S. 103ff.; T. Dénes, in: Notices of the American Mathematical Society 58, 2011, S. 41ff. (mit Bild); T. Weszely, J. B., 2013 (mit Bild).
(H. Pöcher)   
Zuletzt aktualisiert: 27.11.2017  
PUBLIKATION: ÖBL Online-Edition, Lfg. 6 (27.11.2017)
1. AUFLAGE: ÖBL 1815-1950, Bd. 1 (Lfg. 2, 1954), S. 100
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