Brandner, Konrad (1881–1939), Genealoge und Lehrer

Brandner Konrad, Genealoge und Lehrer. Geb. Proleb (Steiermark), 9. 2. 1881; gest. Graz (Steiermark), 30. 10. 1939; röm.-kath. Stammte aus einer obersteirischen Bauernfamilie. – Nach Absolvierung des Grazer bischöflichen Knabenseminars studierte B. Theologie an der Universität Graz; 1912 Dr. phil., 1913 Lehramtsprüfung für klassische Philologie. 1904 zum Priester geweiht, übernahm er 1905 das Amt eines Kaplans in Haus (Haus im Ennstal). 1907 wurde er an das bischöfliche Knabenseminar in Graz berufen, an dem er zunächst als Professor und Präfekt sowie 1922–39 als Regens und Direktor des Gymnasiums wirkte; ab 1937 war er Leiter des neu errichteten Diözesan-Schulrats. Abgesehen von seiner breit gefächerten Tätigkeit als Lehrer und Schuldirektor, die u. a. den Ausbau der Münzsammlung des bischöflichen Knabenseminars umfasste, trat B. vor allem als Genealoge hervor. Durch seine Schrift „Die Bevölkerung der Pfarre Weichselboden in Steiermark. Genealogisch dargestellt“ (in: Jahresbericht … des Fürstbischöflichen Gymnasiums am Seckauer Diözesan-Knabenseminar Carolinum-Augustineum in Graz … 1919/20, 1920) prägte er den Begriff der Volksgenealogie. Er wurde damit zu einem Vorreiter der österreichischen und deutschen genealogischen Bewegung der 1920er- und 1930er-Jahre. Für die systematische genealogische Bearbeitung aller 367 steirischen Pfarrarchive organisierte B. 1921–29 die Kirchenbuchverkartung. Allein 1923 arbeiteten Geistliche in 75 steirischen Pfarren auf seine Anregung hin an Volksgenealogien, die insgesamt rund 12 % der steirischen Bevölkerung erfassten. Diese Forschungen bezogen sich auf die Abstammung der gesamten autochthonen Bevölkerung eines Ortes; im Vordergrund standen dabei allerdings Stammbäume von Bauernfamilien in agnatischer Linie. B. verfolgte mit der von ihm propagierten steirischen Volksgenealogie das Konzept, vermeintliche Verlockungen der Großstadt und die Ausbreitung sozialdemokratischen Gedankenguts abzuwehren. Eine starke Verwurzelung der agrarischen Bevölkerung im Land konnte er nicht aufzeigen; die Auswertungen der Pfarrmatriken zeigten vielmehr, dass vor allem die kleinbäuerliche Bevölkerung in den vergangenen Jahrhunderten geographisch deutlich mobiler gewesen war, als B. ursprünglich angenommen hatte. Nicht zuletzt der Umstand, dass B.s Volksgenealogie nichteheliche Geburten vernachlässigte, reflektierte eine von katholischen Moralvorstellungen geprägte organizistische Geschichtsauffassung, die „Familie“ und „Volk“ als fundamentale Kategorien der Gesellschaftsanalyse betrachtete. B., ab 1929 Studienrat und ab 1935 Hofrat, wurde 1927 Ehrendomherr und 1937 wirklicher Domherr des Seckauer Domkapitels. 1930–34 wirkte er als Obmann des Katholischen Preßvereins.

Weitere W.: Über Volksgenealogie, in: Familiengeschichtliche Blätter 24, 1926; Die Geschlechter und Familien von Haus und Umgebung in den letzten 400 Jahren, in: Haus 928–1928. Gedenkblätter zur Jahrtausendfeier, 1928; etc. – Ed.: Mitteilungen über die Fortschritte der steirischen Volksgenealogie (1921–25) bzw. Mitteilungen über die steirische Volksgenealogie (1927–29).
N.: F. Seidl, in: Jahresbericht des Gymnasiums am fürstbischöflichen Knabenseminar Carolinum-Augustineum in Graz … 1945/46, 1946, S. 5f.
L.: V. Lebzelter, Steirische Volksgenealogie, in: Wiener Zeitschrift für Volkskunde 28, 1923, S. 90–92; M. Liebmann, Die Domherren von Graz-Seckau 1886–1986, 1987, S. 102; V. Weiss, Die Bedeutung von Ortsfamilienbüchern für die Gemeindeforschung, in: Zugänge zur Gemeinde. Soziologische, historische und sprachwissenschaftliche Beiträge, ed. G. Weber – R. Weber, 2000, S. 279–303; B. Fuchs, „Rasse“, „Volk“, Geschlecht. Anthropologische Diskurse in Österreich 1850–1960, 2003, S. 244f., 261; Th. Dirtl, „Woher komme ich?“: Ahnenforschung im Wandel der Zeit, in: Online-Zeitung der Universität Wien, 29. 10. 2008, http://www.dieuniversitaet-online.at/beitraege/news/woher-komme-ich-ahnenforschung-im-wandel-der-zeit/69/neste/33.html (Zugriff 25. 1. 2013); Diözesanarchiv Graz, Steiermark.
(A. Pinwinkler)   
Zuletzt aktualisiert: 15.3.2013  
PUBLIKATION: ÖBL Online-Edition, Lfg. 2 (15.03.2013)