Bruckner, Ferdinand; eigentl. Theodor Tagger (1891–1958), Schriftsteller und Dramaturg

Bruckner Ferdinand, Schriftsteller und Dramaturg. Geb. Sofia (Sofija, BG), 26. 8. 1891; gest. Berlin (D), 5. 12. 1958; mos., ab 1915 konfessionslos. Hieß eigentlich Theodor Tagger. Sohn eines aus Wien stammenden Bankkaufmanns und einer französischen Mutter; ab 1920 verheiratet mit Bettina Neuer. – Nach dem Besuch der Volksschule in Wien und der Scheidung der Eltern lebte B. zeitweise in Graz und Berlin. 1909–12 absolvierte er eine Ausbildung zum Pianisten am Conservatoire de Paris und an der Hochschule für Musik in Berlin, die er 1910 unterbrach, um ein Studium generale an der Universität Wien zu beginnen und gleichzeitig Komposition am Konservatorium zu studieren. Er kehrte 1911 nach Berlin zurück, wo er sich als Journalist zu etablieren versuchte und v. a. in expressionistischen Zeitschriften veröffentlichte. Zusammen mit Manfred Georg(e) gab B. 1917–18 die Zweimonatsschrift "Marsyas" heraus. 1917 erschienen die Novelle „Die Vollendung eines Herzens“ und die Gedichtsammlung „Der Herr in den Nebeln“. B. nahm 1920 die österreichische Staatsbürgerschaft an, im selben Jahr fand die Uraufführung seiner ersten Komödie „Harry“ am Stadttheater Halle statt. Ab 1921 als Dramatiker und Dramaturg in Berlin tätig, gründete er 1922 gemeinsam mit seiner Frau das Renaissancetheater, übergab jedoch aus finanziellen Gründen 1927 die Direktion an Gustav Hartung und leitete zeitweilig das Theater am Kurfürstendamm. B., der mit "Krankheit der Jugend" 1926 seinen Durchbruch als Dramatiker hatte, erlebte 1928 mit dem Schauspiel „Die Verbrecher“ einen seiner größten Erfolge. Nach der österreichischen Erstaufführung seines Schauspiels "Die Marquise von O." nach Kleists Erzählung kehrte er 1933 nicht mehr nach Deutschland zurück, sondern lebte in Paris, bis er 1936 mit seiner Familie in die USA übersiedelte, wo er ab 1937 Lehraufträge am Brooklyn College und am Queens College in New York annahm. Ab 1940 unterrichtete er an Erwin Piscators „Dramatic Workshop“ an der „New School for Social Research“ und wurde Mitarbeiter bei der "Tribüne für freie deutsche Literatur und Kunst in Amerika", der „Austro-American Tribune“, dem „Aufbau“ und von „Freies Deutschland“. Ende 1944 zählte er zu den Gründungsmitgliedern des AuroraVerlages. 1946 US-Bürger (1950 neuerlich österreichischer Staatsbürger), kam B. im September 1947 erstmals nach Kriegsende wieder nach Europa, wo 1948 in Berlin die erste Nachkriegsaufführung des antifaschistischen Zeitstücks „Die Rassen“ (Uraufführung 1933) und in Wien die Erstaufführungen von „Fährten“ am Burgtheater und „Timon“ am Theater in der Josefstadt stattfanden. Im selben Jahr wurden B.s „Dramatische Werke in zwei Bänden“ veröffentlicht. 1953 wurde er Chefdramaturg am SchillerTheater und am SchlossparkTheater in Berlin. 1938–40 Vizepräsident der German American Writers Association (GAWA); 1941 Gründungsmitglied des European PEN in America; 1951 Ehrenring der Stadt Wien; 1956 Mitglied der Akademie der Künste Berlin (West); 1957 Preis der Stadt Wien für Literatur.

Weitere W. (s. auch Bolbecher–Kaiser; Lexikon deutsch-jüdischer Autoren; Moreno): Elisabeth von England, 1930; Simon Bolivar, 1945; Historische Dramen, 1948; Des Sheriffs Hunde. Negersongs aus Amerika, ed. W. Huder, 1970; Werke, Tagebücher, Briefe, ed. H.-G. Roloff, 4 Bde., 2003–08. – Nachlass: Akademie der Künste, Berlin, D.
L.: Bolbecher–Kaiser (m. B. u. W.); Hall–Renner; Killy; Kosch; Ch. Lehfeldt, Der Dramatiker F. B., 1975; D. M. Mueller, F. B., in: Deutschsprachige Exilliteratur seit 1933, ed. J. M. Spalek – J. Strelka, 2/1, 1989, S. 161–177, 4/1, 1994, S. 331–347; P. Roessler, In einer ungeheueren Unerschrockenheit vor uns selbst … F. B. und die Krise des Dramas, in: Zwischen Aufklärung & Kulturindustrie 3, ed. H.-W. Heister u. a., 1993, S. 169–189; A. A. Wallas, Zeitschriften und Anthologien des Expressionismus in Österreich 1–2, 1995, s. Reg.; Lexikon deutsch-jüdischer Autoren 4, 1996 (m. W. u. L.); F. B. (1891–1958), ed. J. Moreno u. a., 2008 (m. W. u. L.); Kindlers Literatur-Lexikon 3, 2009; http://www.literaturepochen.at/exil (Zugriff 16. 11. 2010); UA, Wien; Mitteilung Erwin Strouhal, Wien.
(U. Oedl)   
Zuletzt aktualisiert: 1.3.2011  
PUBLIKATION: ÖBL Online-Edition, Lfg. 1 (01.03.2011)