Čáda, František (Franz) (1865–1918), Philosoph, Psychologe und Pädagoge

Čáda František (Franz), Philosoph, Psychologe und Pädagoge. Geb. Holeschowitz-Bubna, Böhmen (Praha, CZ), 6. 4. 1865; gest. ebd., 14. 12. 1918. Sohn eines Schneiders, Vater des Professors der mitteleuropäischen Rechtsgeschichte an der Universität Brünn František Čáda (1895–1975). – Nach der Matura am Akademischen Gymnasium studierte Č. Philosophie und klassische Philologie an den Universitäten Prag, Leipzig und Halle; 1893 Dr. phil. Er wirkte 1890–1905 als Professor an Prager Gymnasien. 1896 habilitierte er sich an der philosophischen Fakultät der tschechischen Universität in Prag, wo er bis zum Krieg lehrte; 1905 wurde er ao., 1912 o. Professor der Philosophie mit besonderer Berücksichtigung der Geschichte der Philosophie. In Forschung und Lehre befasste sich Č. mit Noetik (Erkenntnistheorie), Ethik, Philosophiegeschichte, Pädagogik und Psychologie. In seinem Werk „Noetická záhada u Herbarta a Stuarta Milla“ (1894) erläuterte und verglich er die Standpunkte Johann Friedrich Herbarts und John Stuart Mills und gelangte zu einer eigenen Auffassung noetischer Fragen: Die Noetik betrachtete er neben der formellen Logik und der Methodologie als dritten, abschließenden Teil der Logik, der mit mehr oder weniger großer Wahrscheinlichkeit das Problem der Wahrheit und Evidenz von Erkenntnis löst. Als zentrale noetische Begriffe bezeichnete er Wahrheit, Sicherheit und Glaube. In philosophischen Kreisen genoss Č. aufgrund seiner philosophiegeschichtlichen Kenntnisse und des systematischen Verfolgens der in- und ausländischen Literatur zu den einzelnen philosophischen Disziplinen hohes Ansehen. 1900 wurde er Mitbegründer (mit František Krejčí und →František Drtina) und einer der Redakteure der Philosophiezeitschrift „Česká mysl“, zu der er u. a. Überblicke über die ethische und noetische, insbesondere deutschsprachige Literatur beisteuerte (Empiriokritizismus, Marburger Schule, Pragmatismus). Er publizierte auch Beiträge zur Geschichte der griechischen Philosophie (v. a. über Platon) und bereicherte die Geschichte der tschechischen Philosophie durch eine Reihe von Porträts heimischer Denker (Jan Amos Komenský, →Matouš (František) Klácel, →Josef Durdík, →Otakar Hostinský, →Thomas (Garrigue) Masaryk, Herausgabe der „Filosofické spisy Vincence Zahradníka“ 1–4, 1907–18). In akademischen Vorträgen, die postum unter dem Titel „Čádova etika individuální“ erschienen (ed. →František Šeracký, 1920), behandelte er einzelne ethische Richtungen, widmete sich aber insbesondere der Individualethik des körperlichen und geistigen Lebens, der „biotischen Ethik“, die er für eine normative Wissenschaft hielt. Das höchste ethische Prinzip sah Č. in der Entfaltung und Steigerung des Lebens nach all seinen Seiten, wozu Forschung und Aufklärung beizutragen hätten. Von seinen umfassenden Kenntnissen profitierte er auch in seinen anregenden psychologischen und pädagogischen Studien. Er wird zu den Begründern der tschechischen Entwicklungspsychologie gezählt. Das Interesse an der Entwicklung und Erziehung von Kindern und Jugendlichen führte ihn zur Pädologie, Pädopathologie und Pädopsychologie, die er als konkrete psychologische Disziplin in das System der Wissenschaften einordnete. Seine diesbezüglichen Forschungsergebnisse veröffentlichte er v. a. in der Revue „Pedagogické rozhledy“. Č. strebte nach Verwissenschaftlichung der Pädagogik, nach dem Einsatz exakter und experimenteller Methoden. Beim Studium des künstlerischen Ausdrucks, der Sprache und der Entwicklung der musikalischen Fähigkeiten von Kindern betonte er die Notwendigkeit der ethischen und der Arbeitserziehung und schenkte Kindern mit spezifischen Störungen gleichfalls besondere Aufmerksamkeit. Der Pädopsychologie widmete sich Č. auch in der Praxis: 1910 gründete er die Vereinigung Sdružení pro výzkum dítěte und initiierte die Errichtung eines pädologischen Instituts (Pedologický ústav, 1918 umbenannt in Ústav pro výzkum dítěte a dorůstající mládeže), zudem beteiligte er sich an der Gründung und Redaktion der Zeitschrift „Ochrana mládeže“. Č. war ab 1902 ao., ab 1911 o. Mitglied der Böhmischen Kaiser Franz Joseph-Akademie der Wissenschaften, Literatur und Kunst und ab 1910 ao. Mitglied der Königlich böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften.

Weitere W. (s. auch Drtina, 1920): Hynovo Dušesloví. Příspěvek k historii počátků psychologie české, 1902; Hodnota pedopsychologie, 1902; Studium řeči dětské, 2 Bde., 1906–08; Výzkum žactva: O studiu individuality žákovské …, 1912; Rozpravy z psychologie dítěte a žáka, 1918.
L.: ČHS; Sborník F. Čádovi k 50. narozeninám, 1915; F. Drtina, in: Česká mysl 17, 1919–21, S. 33ff.; ders., in: Almanach České akademie věd a umění 29–30, 1920, S. 113ff. (mit Bild und W.); O. Chlup, Vývoj pedagogických ideí v novém věku, 1925, S. 193ff.; J. Pražák, in: Česká mysl 25, 1929, S. 1ff.; J. Drtina, ebd. 30, 1934, S. 35ff.; J. Král, Československá filosofie, 1937, s. Reg.; Pedagogická encyklopedie 1, ed. O. Chlup u. a., 1938; J. Král, in: Česká mysl 37, 1943, S. 155ff.; V. Žihlová, F. Č. Noetické problémy, 1952; K. Mácha, Glaube und Vernunft 3, 1989, s. Reg.; J. Cach, F. Č. a mezioborové vztahy i experimenty, 2000 (mit Bild); A. Šlechtová – J. Levora, Členové České akademie věd a umění, 2004; M. Požárová, Odrazy myšlenek na podporu dětí s postižením v díle profesora Č. …, Bakkalaureatsarbeit Praha, 2011.
(H. Pavlincová)  
Zuletzt aktualisiert: 30.11.2015  
PUBLIKATION: ÖBL Online-Edition, Lfg. 4 (30.11.2015)
1. AUFLAGE: ÖBL 1815-1950, Bd. 1 (Lfg. 2, 1954), S. 132
Bd. <==> | |<1  <=−10<=  S. 1 =>+10=>
Bd. <==> | |<1  <=−10<=  S. 1 =>+10=>