Čupr, František (Franz) (1821–1882), Philosoph, Pädagoge und Politiker

Čupr František (Franz), Philosoph, Pädagoge und Politiker. Geb. Chrast, Böhmen (CZ), 11. 4. 1821; gest. Lieben, Böhmen (Praha, CZ), 29. 6. 1882; röm.-kath. Sohn des Schmieds František Čupr; ab 1849 mit Ludmila, geb. Hlasivcová, verheiratet. – Nach dem Gymnasialbesuch in Leitomischl (1835–39) und Prag absolvierte Č. ab 1841 die philosophischen Jahrgänge und studierte 1843–46 Jus an der Prager Universität; 1846 Dr. phil. Nach Studienabschluss bewarb er sich vergeblich um ein Lehramt am Gymnasium oder an der Universität, da er als entschiedener tschechischer Patriot und Anhänger des Föderalismus bekannt war. Erst 1848 konnte er die Stelle eines Erziehers im Haus von Erwin Graf Nostitz verlassen und wurde supplierender Professor am Kleinseitner Gymnasium sowie Privatdozent an der Prager Universität, an der er in der Folge Logik, Hodegetik und Enzyklopädie der Wissenschaften in tschechischer Sprache vortrug. Ab 1850 unterrichtete er auch am Akademischen Gymnasium. Unter dem Einfluss seines Lehrers, des Herbartianers →Franz Exner, schrieb er einen „Grundriß der empirischen Psychologie“ (1852), in dem er die Bedeutung der Psychologie im Rahmen nicht nur der Herbart’schen Philosophie betonte. Später näherte er sich stark dem Herbartianer Wilhelm Volkmann an. Im Zuge der weiteren politischen Entwicklung in Böhmen wurde Č. 1853 aus der Universität und aus dem Gymnasium entlassen. Er gründete daher auf seinem Gut Kolčavka bei Prag eine private Lehr- und Erziehungsanstalt, die er 1854–72 leitete und in der er seine pädagogischen Reformideen in die Praxis umsetzte. Sein Vorhaben und ein ausgearbeitetes Konzept eines liberalistischen Schulwesens, in dem er sich um die Hebung des Bildungsniveaus der Lehrer bemühte, erläuterte er in der Broschüre „Plan und Einrichtung der in der Nähe von Prag neu begründeten Lehr- und Erziehungsanstalt für Knaben und Jünglinge“ (1854). In den 1860er-Jahren war Č. auch politisch aktiv: 1861–66 saß er im böhmischen Landtag, 1861–65 für die Alttschechen im Abgeordnetenhaus des Reichsrats. Als Politiker und Pädagoge setzte er sich für eine Reform des österreichischen Schulwesens und eine Erhöhung der Lehrergehälter ein („Zur Revision des dermaligen Unterrichtswesens unserer Mittelschulen“, 1863). Mit den tschechischen Abgeordneten geriet er in Konflikt, als er als einer der wenigen 1863 für eine weitere Mitarbeit im Reichsrat stimmte. Anschließende öffentliche Attacken bewogen ihn nach Ablauf seines Mandats zum Rückzug aus der Politik. Nach dem Tod seiner Frau (1872) stellte Č. die Tätigkeit seiner Bildungsanstalten ein, zog sich völlig ins Privatleben zurück und vertiefte sich in das Studium der Philosophie Schopenhauers und des östlichen, altindischen Denkens. Bei der Beschäftigung mit der indischen Weisheit entdeckte er eine gewisse Verwandtschaft zur Philosophie Herbarts. Die Resultate seiner Studien fasste er im dreibändigen Werk „Učení staroindické …“ (1874–81) zusammen, das in das Fach der vergleichenden Religionsgeschichte (Religionswissenschaft) und der Religionsphilosophie fällt. Außerdem führte er jene Gedanken fort, die er schon in seinem ersten Buch „Sein oder Nichtsein der deutschen Philosophie in Böhmen 1847“ (1847) zum Ausdruck gebracht hatte. Darin kommentierte er Beiträge, deren Verfasser sich zur Bedeutung der deutschen Philosophie, konkret jener Hegels und Herbarts, für die tschechische Literatur geäußert hatten. Č. propagierte die Ausrichtung des tschechischen Denkens am Herbartianismus, in dem er ein Vorbild für die Ausformung einer tschechischen Nationalphilosophie sah. Er vertrat die Ansicht, dass die Philosophie, auch die spekulative und die metaphysische, ein wichtiger und unersetzbarer Bestandteil jeder gebildeten Nation sei, obgleich sie die Vertreter des „gesunden Menschenverstands“ für nutzlos hielten.

Weitere W. (s. auch LČL): Praktischer Lehrgang zum schnellen und leichten Erlernen der böhmischen Sprache, 1852; Lateinisch-deutsch-böhmisches Taschenwörterbuch für Untergymnasien, 1853; Griechisch-deutsch-böhmisches Taschenwörterbuch zunächst für Gymnasien, 1854; etc.
L.: Prager Tagblatt, 30. 6. 1882; Adlgasser; BSČZ; LČL (mit W.); Lex. böhm. Länder; Otto; Wurzbach; H. Bonitz, Über den Č.’schen Antrag auf Revision des dermaligen Unterrichtswesens unserer Mittelschulen, 1861; M. Jašek, in: Česká mysl 7, 1906, S. 321ff., 425ff., 8, 1907, S. 144ff., 221ff., 301ff., 392ff.; A. Janáček, ebd. 25, 1929, S. 12ff.; J. Král, Československá filosofie, 1937, s. Reg.; K. Mácha, Glaube und Vernunft 2, 1987, s. Reg.; I. Tretera, J. F. Herbart a jeho stoupenci na pražské univerzitě, 1989, s. Reg.; Antologie z dějin českého a slovenského myšlení, 1989, S. 47ff.; J. Gabriel u. a., Slovník českých filosofů, https://www.phil.muni.cz/fil/scf/komplet/cupr.html (mit Bild, nur online, Zugriff 14. 4. 2015).
(H. Pavlincová)   
Zuletzt aktualisiert: 30.11.2015  
PUBLIKATION: ÖBL Online-Edition, Lfg. 4 (30.11.2015)
1. AUFLAGE: ÖBL 1815-1950, Bd. 1 (Lfg. 2, 1954), S. 159
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