Epstein, Jehudo (1870–1945), Maler und Zeichner

Epstein Jehudo, Maler und Zeichner. Geb. Sluzk, Russland (Sluck, BY), 6. 7. 1870 oder 19. 7. 1869; gest. Johannesburg, Südafrikanische Union (ZA), 16. 11. 1945 (1949 auf dem Wiener Zentralfriedhof begraben); mos. Sohn eines Rabbiners und einer Volksschullehrerin; ab 1922 mit Auguste Schellnast verheiratet. – E. besuchte 1884–87 die Zeichenschule in Wilna und absolvierte 1888 die Aufnahmeprüfung an der Akademie der bildenden Künste in Wien. Dort war er bis 1894 u. a. Schüler der Spezialschule für Historienmalerei bei →August Eisenmenger (1892 Spezialschul-Preis). 1894 bzw. 1900 gewann er den Rompreis der Michael-Beer-Stiftung für Maler jüdischer Religion bei der Königlichen Akademie der Künste zu Berlin. Zunächst arbeitete E. entsprechend seiner Ausbildung als akademischer Historienmaler zu Themen aus den heiligen jüdischen Schriften oder der Geschichte des jüdischen Volks (Saul und David, 1894; Hiob, 1901; Die Makkabäer, um 1900). Um 1900 sind Kontakte zu den Wiener Zionisten →Theodor Herzl, →Max Nordau und Martin Buber belegt, die er auch porträtierte. Zunehmend löste sich E. in seinen Arbeiten von der jüdischen Historien- und Genremalerei (Schachspielende polnische Juden, 1894; An den Gräbern, um 1903; Ein Geheimnis, um 1903; Jüdische Grabmäler, um 1905) und wandte sich volksnahen und religiösen Genreszenen zu (Leichenbegängnis in den Lagunen, 1905; Lagunenlieder, 1906; Versehgang, 1910; Vorbereitungen für das Fest, 1912; Durstige Kehlen, 1914), schuf stimmungsvolle Landschaften (Mondnacht in den Lagunen, 1909; Wolkenstudie, 1909) und Porträts (Hilde Radnay, 1908; Selbstporträt, 1919 und 1924; Umberto Moggioli, 1922; Otto Marburg, 1925; Oskar Neumann, vor 1928; Gustinus Ambrosi, 1932; Albert Heine, 1932). Von seinen Reisen nach Italien, Ungarn, Galizien, den Niederlanden, an die Adria und nach Palästina zeugen zahlreiche Arbeiten (Kirche in Taormina, 1903; Schoonmaken, um 1905; Fischer aus Burano, 1910; Klagemauer in Jerusalem, 1927; Studien aus Galizien, 1930). Während des 1. Weltkriegs war E. als Kriegsmaler des Kriegspressequartiers in Trient, Bozen, Villach und Rumänien vornehmlich für Offiziersbildnisse eingesetzt. Ab 1923 thematisierte er in zahlreichen Zeitungsartikeln, v. a. in der „Neuen Freie Presse“ und dem „Neuen Wiener Journal“, kontroverse Fragen der Kunst und Kultur und verfasste autobiographische Schilderungen. Im Dezember 1934 reiste E. aus finanziellen Gründen nach Johannesburg (seine Einrichtung aus Atelier und Wohnung in Wien ließ er 1936 in der Fabrik des befreundeten Bernhard Altmann unterstellen) und konnte sich mit Porträtaufträgen etablieren. Die Farbpalette seiner dort entstandenen Ansichten und Landschaften erfuhr durch das südliche Licht eine deutliche Intensivierung und Aufhellung (Ansicht von Johannesburg, 1940). Durch den „Anschluss“ 1938 wandelte sich E.s vorerst temporärer Aufenthalt in eine Emigration. Sein rund 350 Werke, 500 Bücher und zahlreiche Einrichtungsgegenstände umfassendes Depot verschwand im Zuge der „Arisierung“ von Altmanns Fabrik. E. erhielt für sein Œuvre 1905 die Kleine goldene Staatsmedaille, 1907 die Erzherzog Karl Ludwig-Medaille, 1914 und 1928 die Große goldene Staatsmedaille, 1920 den Reichel-Preis, 1929 die Silberne Ehrenmedaille für verdienstvolles Wirken (Letztere nicht angenommen). E., ab 1901 Mitglied der Genossenschaft der bildenden Künstler Wiens (Künstlerhaus), war 1897–1934 auf zahlreichen in- und ausländischen Ausstellungen vertreten: 1904 Weltausstellung in St. Louis, 1907, 1912, 1926 Esposizione Internazionale d’Arte della Città di Venezia, 1909, 1913 Große Berliner Kunstausstellung, 1911 Esposizione Internazionale di Roma. 1923 Verleihung des Professorentitels, 1924 Mitglied der Loge Wahrheit. Seine Arbeiten befinden sich u. a. im Heeresgeschichtlichen Museum, im Jüdischen Museum, im Leopold Museum, in der Österreichischen Galerie Belvedere und im Wien Museum, alle Wien.

Weitere W.: Publ.: Mein Weg von Ost nach West. Erinnerungen, 1929.
L.: AKL; Fuchs, 19. Jh.; Fuchs, Erg.Bd.; Jb. der Wr. Ges.; Thieme–Becker; Vollmer; E. Baum, in: Die uns verließen. Österreichische Maler und Bildhauer der Emigration und Verfolgung, Wien 1980, S. 70ff. (Kat.); „Heilige Gemeinde Wien“. Judentum in Wien. Sammlung M. Berger, red. K. Albrecht-Weinberger – F. Heimann-Jelinek, Wien 1988, S. 235f. (Kat.); Kształcenie artystyczne w Wilnie i jego tradycje, ed. J. Malinowski, Torún 1996, S. 84, 89, 95, 315, 321, 328 (Kat.); J. Širkaitė, in: Kultūros istorijos tyrinėjimai 3, 1997, S. 199, 223; J. Malinowski, Malarstwo i rzeźba Żydów Polskich w XIX i XX wieku, 2000, S. 70f., 103, 140; G. G. Schmidt, The art and artists of the fifth Zionist Congress 1901, 2003, bes. S. 216ff.; S. Lillie, Was einmal war. Handbuch der enteigneten Kunstsammlungen Wiens, 2003, S. 34, 36; R. Schober, in: Going East – Going South. Österreichisches Exil in Asien und Afrika, ed. M. Franz – H. Halbrainer, 2014, S. 397ff.; ders., in: Weltuntergang. Jüdisches Leben und Sterben im Ersten Weltkrieg, ed. M. G. Patka, Wien 2014, S. 232 (Kat., mit Bild); ders., in: Die Praxis des Sammelns, ed. E. Blimlinger – H. Schödl, 2014, S. 241ff.; G. Gneist, in: David 26, Nr. 100, 2014, S. 62ff.; ABK, Wien.
(R. Schober)   
Zuletzt aktualisiert: 30.11.2015  
PUBLIKATION: ÖBL Online-Edition, Lfg. 4 (30.11.2015)
1. AUFLAGE: ÖBL 1815-1950, Bd. 1 (Lfg. 3, 1956), S. 258f.
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