Fichtner, Johann (1799–1878), Großindustrieller und Erfinder

Fichtner Johann, Großindustrieller und Erfinder. Geb. Proßnitz, Mähren (Prostějov, CZ), 1799; gest. Atzgersdorf, Niederösterreich (Wien), 1. 10. 1878; röm.-kath. Sohn des Händlers und Fabriksbesitzers Johann Friedrich Fichtner und von Josepha Fichtner, geb. Kuh, Vater der Industriellen und Gesellschafter der Firma J. Fichtner & Söhne Hermann Fichtner, Leo Fichtner (gest. 19. 7. 1876) und Joseph Fichtner; verheiratet mit Josepha Fichtner, geb. Klein, der Tochter des Inhabers der Atzgersdorfer Fabrik Joseph Klein (geb. 1773; gest. 31. 5. 1845). – F. besuchte ab 1815 die Realschule am polytechnischen Institut in Wien, ab 1818 dessen Kommerzielle Abteilung und inskribierte 1819–20 an der Technischen Abteilung. Er war im Besitz mehrerer Patente, u. a. für einen Destillierapparat (1822), der zusammen mit der Erzeugung eines alkoholischen Getränks aus dem Sirup von Knollenfrüchten als Grundlage für das Fabriksprivilegium seines Vaters auf eine Branntweinerzeugung in Neutitschein diente, für Dampfmaschinenverbesserungen, für Textildruck und für Landwirtschaftsgeräte (Sternsäepflug, Steuerjätpflug). 1825 baute er eine Dampfmaschine für die Baumwolldruckfabrik seines späteren Schwiegervaters. Im selben Jahr wurde er Werksdirektor der hochfürstlichen Schwarzenbergischen und Baron Baldazzischen Gußwerke in St. Stephan in der Steiermark, die Gussstücke für den allgemeinen Bedarf des Maschinenbaus und der Hauswirtschaft herstellten. 1830 trat F. in die Druckwarenfabrik seines Schwiegervaters ein, die Stoffdrucke auf Baumwoll-, Schafwoll- und Seidenstoffe erzeugte. Er wurde dort Direktor und später Teilhaber der Atzgersdorfer Fabrik. 1852 gründete F. die erste Knochenmehlfabrik Österreichs nach englischem System, die k. k. priv. erste Knochenmehl- und Leimfabrik Johann Fichtner & Söhne. Außerdem erzeugte man Imitationen von Schildpatt, Perlmutt und Elfenbein. Für die Produkte erhielt F. diverse Preise, u. a. die Preismedaille auf der Gewerbeausstellung in München 1854, die Medaille 1. Klasse auf der Weltausstellung in Paris 1855 und einen Preis für Dünger und Tischlerleim auf der Londoner Weltausstellung 1862. F. besaß einen eigenen Gutsbetrieb, für den er landwirtschaftliche Geräte selbst entwickelte und herstellte (u. a. eine rotierende Egge, Hackpflüge, einen Pflug zur Untergrunddüngung, eine Düngestreu- und Düngegussmaschine, eine Kantwalze). Er engagierte sich im Niederösterreichischen Gewerbe-Verein und in der Lokalpolitik, gehörte dem Gemeindeausschuss sowie dem Gemeinderat an und war 1867–68 Bürgermeister von Atzgersdorf. 1869 erhielt F. das Ritterkreuz des Franz Joseph-Ordens.

W.: Ein Versuch mit der Zucht der Ailanthus-Seidenraupe (Bombyx Cynthia), 1862; Gemeinfaßliche Mittheilungen aus dem Gebiete der Feldwirthschaft, 1863; Erste Fortsetzung der gemeinfaßlichen Mittheilungen aus dem Gebiete der Feldwirtschaft, 1868.
L.: NFP, 3. 10. 1878; Firmenbuch für den Oesterreichischen Kaiserstaat, ed. E. Pernold, 1861, S. 48; Wiener Obst- und Garten-Zeitung 3, 1878, S. 479f.; H. Janetschek, in: Blätter für Technikgeschichte 46/47, 1984/85, S. 139ff. (mit Bild); Wien Geschichte Wiki (Zugriff 28. 4. 2021); Pfarre Atzgersdorf, Technisches Museum, TU, alle Wien.
(S. B. Weiss)   
Zuletzt aktualisiert: 25.8.2023  
PUBLIKATION: ÖBL Online-Edition, Lfg. 11 (25.08.2023)