Freud, Anton Walter (1921–2004), Offizier und Chemiker

Freud Anton Walter, Offizier und Chemiker. Geb. Wien, 3. 4. 1921; gest. Oxted, Surrey (GB), 8. 2. 2004; mos. Enkel von →Sigmund Freud, Sohn des Rechtsanwalts Dr. (Jean) Martin Freud und der Logopädin Ernestine Freud, geb. Drucker. – F. besuchte das Realgymnasium auf der Stubenbastei in Wien 1, dann die Tagesschule eines Landeserziehungsheims. Nach dem „Anschluss“ 1938 floh er mit seiner Familie über Paris nach England, versuchte in Loughborough seinen Schulabschluss nachzuholen, wurde jedoch im Juli 1940 als „enemy alien“ mit dem Truppentransportschiff „Dunera“ nach Australien deportiert und in den Lagern Hay und Tatura interniert. Seine Meldung zum Pioneer Corps ermöglichte seine Entlassung und den Rücktransport nach Großbritannien im Sommer 1941. Nach Einsätzen im Süden Englands wurde F. vom britischen Geheimdienst Special Operations Executive (SOE) angeworben und über ein Jahr lang zum Geheimagenten ausgebildet. Ab Mitte 1944 in Italien stationiert, kam er erst in den letzten Apriltagen 1945 zum Einsatz und sprang gemeinsam mit fünf anderen Agenten per Fallschirm über der Obersteiermark ab. Aufgrund eines Pilotenfehlers wurde F. von seiner Gruppe getrennt, konnte sich jedoch alleine zu dem von den Deutschen besetzten Flughafen Zeltweg durchschlagen, wo er dessen Kommandanten, wenn auch letztlich erfolglos, zur Übergabe aufforderte. F. wurde zunächst ins Hauptquartier der Heeresgruppe Ostmark gebracht, kurze Zeit später jedoch in Steyr an die Amerikaner übergeben und kehrte bereits am 8. Mai nach London zurück. Kurze Zeit später wurde F. wie →Charles Kaiser in Deutschland im Rahmen der British Army of the Rhine als Offizier der War Crimes Group (North West Europe) bei der Verfolgung von Kriegsverbrechern eingesetzt. Es gelang ihm, die Produzenten des in den Vernichtungslagern verwendeten Giftgases „Zyklon B“ wie auch die Verantwortlichen für die Verbrechen an den Kindern vom Bullenhuser Damm, die Opfer grausamer medizinischer Experimente geworden waren, zu verhaften und zu überführen. Mitte 1946 kehrte F. als Major nach England zurück, trat ins Zivilleben über und absolvierte in der Folge ein Studium der Technischen Chemie an der Universität Loughborough. Danach war er bei diversen britischen Firmen wie BP Chemicals beschäftigt und ging 1977 in Pension. Im Ruhestand verfasste er seine Erinnerungen an die Zeit bei der SOE unter dem Titel „Before the Anticlimax“ und widmete sich dem Andenken an seinen berühmten Großvater.

Weitere W.: Mein Großvater S. Freud, in: „Die Biographen aber sollen sich plagen ...“, ed. Ch. Tögel, 1996; Beiträge in AJR Information; etc.
N.: Die Presse, 16. 3. 2004; E. Lebensaft – Ch. Mentschl, in: Zwischenwelt 21, 2004, Nr. 2, S. 21f.
L.: Die Heimat wurde ihnen fremd, die Fremde nicht zur Heimat, ed. A. Wimmer, 1993, S. 20–33, 117–126 (m. B.); F. Pelican, From Dachau to Dunkirk, 1993, S. 171–175; G. Schwarberg, Der SS-Arzt und die Kinder vom Bullenhuser Damm, 1997, s. Reg.; S. Freud, Im Schatten der Familie Freud. Meine Mutter erlebt das 20. Jahrhundert, 2006; H. Fry, Freudsʼ War, 2009; E. Lebensaft – Ch. Mentschl, „Are you prepared to do a dangerous job?“ Auf den Spuren österreichischer und deutscher Exilanten im britischen Geheimdienst SOE, 2010, s. Reg. (m. B. u. L.); IKG, Wien; Imperial War Museum, London, The National Archives, Kew, Richmond, beide GB; National Archives of Australia, Zweigstelle Melbourne, Victoria, AUS.
(E. Lebensaft – Ch. Mentschl)   
Zuletzt aktualisiert: 1.3.2011  
PUBLIKATION: ÖBL Online-Edition, Lfg. 1 (01.03.2011)