Fülöp-Miller, René; ursprünglicher Name: Philipp Müller; Ps. René Miller (1891–1963), Schriftsteller und Soziologe

Fülöp Miller René, Ps. René Miller, Schriftsteller und Soziologe. Geb. Karansebesch, Ungarn (Caransebeş, RO), 17. 3. 1891; gest. Hanover, New Hampshire (USA), 7. 5. 1963; evang. Hieß eigentlich Philipp René Maria Müller. Aus einer ursprünglich hugenottischen Familie, Sohn eines Apothekers ungarischer Abstammung und einer mazedonischen Mutter, in 1. Ehe mit der Opernsängerin Hedy Bendiner, in 2. Ehe mit Erika Renon (1912–1990) verheiratet. – F., der in Karansebesch aufwuchs, riss mit 14 Jahren von zu Hause aus, reiste über die Balkanhalbinsel bis nach Wien, wo er seine ersten Artikel veröffentlichte. Nach der Matura studierte er 1909–12 Pharmazie und Psychiatrie in Klausenburg (Cluj-Napoca), Wien, Lausanne und Paris, wo er die Bekanntschaft Lenins machte. 1914 meldete er sich freiwillig zum Kriegsdienst, desertierte jedoch 1916; seine familiären Beziehungen verhalfen ihm dennoch zu einem ehrenvollen Abschied aus der Armee. In der Folge war er als Schriftsteller und Journalist, u. a. für die „Neue Freie Presse“, in Wien tätig. F., der mit →Karl Kraus und Stefan Zweig befreundet war, unternahm ausgedehnte Reisen und beschrieb die Erlebnisse zweier Aufenthalte in der Sowjetunion (1922 und 1924) in seinem Buch "Geist und Gesicht des Bolschewismus" (1926). Er rettete Teile des Nachlasses von Tolstoj sowie Dostojewski und veröffentlichte gemeinsam mit Friedrich Eckstein Anna Grigorjewna Dostojewskajas „Erinnerungen. Das Leben Dostojewskis in den Aufzeichnungen seiner Frau“ (1925). In dem 1928 von F. und Eckstein herausgegebenen Sammelband "Die Urgestalt der Brüder Karamasoff" zählte auch →Sigmund Freud zu den Autoren ("Dostojewski und die Vatertötung"). 1929 erschien eines seiner bekanntesten Bücher, "Macht und Geheimnis der Jesuiten". Sein Roman "Der heilige Teufel. Rasputin und die Frauen" (1927) wurde 1932 von Metro Goldwyn Meyer (MGM) unter dem Titel "Rasputin and the Empress" verfilmt und erreichte bis 1939 eine Gesamtauflage von 180.000 Stück. Seine in der Folge jedoch enttäuschenden Erfahrungen mit der Filmindustrie verarbeitete er zusammen mit Joseph Gregor in "Das amerikanische Theater und Kino" (1931). F.s Studie über Massenbewegungen, "Führer, Schwärmer und Rebellen. Die grossen Wunschträume der Menschheit" (1934), brachte ihm v. a. von Exilanten den Vorwurf ein, den Nationalsozialismus als eine von vielen Massenbewegungen zu verharmlosen. Nach der Trennung von seiner Frau 1935 verließ F. mit der Lyrikerin Erika Renon Österreich, lebte in Paris, Rom, Florenz, Oslo, New York sowie London und emigrierte im Oktober 1939 nach New York. Obwohl durch seine Werke in den USA nicht unbekannt, fand er schwer Arbeit, zumal er kaum Englisch sprach. Mäßig erfolgreich waren auch seine Projekte als Drehbuchautor für MGM: So wurde "Kampf gegen Schmerzen und Tod" (1938) über die Geschichte der Anästhesie unter dem Titel "The Great Moment" (1944) zwar verfilmt, jedoch ein Misserfolg. Seit 1941 lebte F. in Croton-on-Hudson, New York. 1943 US-Staatsbürger, übersiedelte er Ende der 1940er-Jahre nach Vermont. Mit Ludwig Fodor und Christopher Isherwood verfasste er das Drehbuch für Robert Siodmaks „The Great Sinner“ (1949) nach Dostojewskis „Der Spieler“. 1950–53 hielt F. Vorlesungen am Dartmouth College in Hanover über russische Kultur sowie Soziologie und war auf Vermittlung Friderike Zweigs 1953–60 Gastprofessor am Hunter College in New York City. Das zentrale Thema in F.s Werk ist die Religiosität, für ihn die treibende Kraft menschlicher Kultur und Ethik. Mit "Fyodor Dostoevsky. Insight, Faith, and Prophecy" (1950) griff er thematisch erneut auf einen seiner Erfolge der 1920er-Jahre zurück. Seine Darstellung von Dostojewskis Christus-Mystik als Antwort auf Probleme des Atomzeitalters wurde von der Kritik allerdings abgelehnt. "The Web. A Trilogy of Novellas" (1950) stand zu Beginn einer Reihe von Werken, die neben dem Versuch, seine Weltanschauung zu verdeutlichen, starke autobiographische Züge aufweisen. Zentrale Motive sind die Sinnlosigkeit des Krieges und Entfremdung des Einzelnen. F. war Mitglied des P.E.N.-Clubs.

Weitere W. (s. auch Bolbecher–Kaiser): Geist und Gesicht des Bolschewismus, 1926; Lenin und Gandhi, 1927; Leo XIII. und unsere Zeit, 1935; Kulturgeschichte der Heilkunde, 1937.
L.: Bolbecher–Kaiser (m. W.); Hall–Renner; Hdb. der Emigration 2; Kosch; NDB; Wer istʼs?, 1935; Twentieth century authors. A biographical dictionary of modern literature, 3. Aufl. 1950; Kürschners Deutscher Literaturkalender Nekrolog 1936–1970, 1973; Deutschsprachige Exilliteratur seit 1933, 2/1, ed. J. M. Spalek – J. Strelka, 1989, s. Reg., 3, ed. J. M. Spalek u. a., 2005, 4/1, ed. dies., 1994, s. Reg.; Literary exile in the twentieth century. An analysis and biographical dictionary, 1991; M. G. Hall, Der Paul Zsolnay Verlag, 1994, s. Reg.; R. Bulang, Eine biographische Skizze, in: R. F., Katzenmusik, 1998, S. 158–197 (m. B.); A. Széll, Heimatgedanken im Werk des freiwilligen Exilanten R. F., in: „Erliegst du der Götter Abgeschiedenheit“. Exil und Fremdheitserfahrungen in der deutschen Literatur, ed. A. Balogh – E. Vogel, 2007, S. 93–105; UA, WStLA, beide Wien.
(U. Oedl)  
Zuletzt aktualisiert: 1.3.2011  
PUBLIKATION: ÖBL Online-Edition, Lfg. 1 (01.03.2011)