Grasel (Graßl), Johann Georg; genannt Großer Hansjörgel, Niklo (1790–1818), Bandenführer

Grasel (Graßl) Johann Georg, genannt Großer Hansjörgel, Niklo, Bandenführer. Geb. Neu-Serowitz, Mähren (Nové Syrovice, CZ), 4. 4. 1790; gest. Wien, 31. 1. 1818 (hingerichtet); röm.-kath. Sohn des gewalttätigen und trunksüchtigen Abdeckergehilfen („Schinderknechts“) Thomas Graßl und der aus einer Abdeckerfamilie stammenden Regina, geb. Fleischmann. – Aufgrund seiner Herkunft besuchte G. keine Schule und konnte weder lesen noch schreiben. Bereits als Neunjähriger wurde er erstmals wegen Diebstahls festgenommen. Er begleitete seinen Vater bei Diebstählen und Einbrüchen, arbeitete kurz als Abdeckergehilfe, verübte aber bald wieder Eigentumsdelikte – meist mit einigen Komplizen. Er versteckte sich vorwiegend bei Abdeckerfamilien, aus denen einige seiner Geliebten und Komplizen stammten. Immer mehr Männer, darunter Deserteure, schlossen sich dem als brutal und gefühllos beschriebenen G. an, insgesamt dürften es mehrere Dutzend gewesen sein. Die Diebstähle und Raubzüge erfolgten im nördlichen Niederösterreich sowie in Südböhmen und Mähren in wechselnder Besetzung. G. und seine Mittäter überfielen u. a. Bauernhöfe, fesselten die Bewohner und folterten sie, bis sie die Verstecke für Wertsachen verrieten. Die Beute bestand meist aus Lebensmitteln, Kleidung und Bettwäsche, seltener aus Geld, Uhren und Schmuck. Im Jänner 1810 überfiel G. mit sieben Komplizen in Budkau einen Kaplan, im Juni des Jahres raubte er den Wundarzt von Pernegg aus, im Dezember 1811 stach er einen Tabakhändler nieder, der an den Verletzungen starb, und 1811 ermordete er einen Wirt aus Obergrünbach. 1812 wurde er in Horn wegen Randalierens festgenommen, kam jedoch durch Bestechung des Amtsschreibers frei. Nach einem Raubüberfall wurden G. und sein Komplize Ignatz Stangel („Natzl“) im April 1813 in Mallebarn festgenommen. Sie gaben falsche Namen an und behaupteten, Deserteure zu sein, da sie hofften, aus einem Militärgefängnis leichter ausbrechen zu können. Im Juli desselben Jahres gelang es G., aus der Rennwegkaserne in Wien zu flüchten. Auf der Flucht lernte er Jakob Fähding („Gams“) kennen, der neben Stangel sein wichtigster Komplize wurde. Um der Fahndung zu entkommen, meldete sich G. im April 1815 unter falschem Namen in Prag zum Militärdienst, desertierte aber nach sechs Wochen. Im Oktober wurde das Wiener Kriminalgericht mit den Ermittlungen betraut. Bis zu 800 Soldaten fahndeten nach G. und seinen Bandenmitgliedern, es wurde eine hohe Belohnung ausgesetzt. Eine Reihe seiner Komplizen und Hehler wurden festgenommen, einige bei Fluchtversuchen erschossen. G. wurde durch die List eines Polizeispitzels im November 1815 in einem Gasthaus im Mörtersdorf festgenommen und nach Wien gebracht. Als Deserteur unterstand er dem Militärgericht, die Straftaten vor seiner Desertion wurden nach dem zivilen Strafgesetz abgehandelt. G. gestand 205 Straftaten, darunter den Raubmord an Anna Marie Schindler im Mai 1814 in Zwettl. Das Militärgericht verurteilte ihn und seine Mittäter Fähding und Stangel im Jänner 1818 zum Tod durch den Strang. Sie wurden drei Tage später vor dem Neutor in Wien hingerichtet. Weitere Bandenmitglieder wurden zu langjährigen Kerkerstrafen verurteilt. In Büchern, Gedichten, Theaterstücken und Filmen wurde der brutale und rücksichtslose Gewohnheitskriminelle teilweise als „edler Räuber“ verklärt. Im Tschechischen dient der Ausdruck grázl noch heute als Synonym für Gauner.

L.: J. G. G. und seine Kameraden, ed. R. Bartsch – L. Altmann, 1924; R. Bletschacher, Der G. Chronik eines Räuberlebens, 1995; J. G. G. – Räuber ohne Grenzen, ed. H. Hitz, 3. Aufl. 1999 (mit Bildern); W. Brandstetter – W. Platzgummer, G.s Raubüberfälle und Bluttaten im Spiegel der Verhörprotokolle des Wiener Kriminalgerichtes und des Stabsauditoriats zu Wien, 2004; W. Platzgummer – Ch. Zolles, J. G. G. vor Gericht. Die Verhörsprotokolle des Wiener Kriminalgerichts und des Kriegsgerichts in Wien, 2013; W. Sabitzer, in: Öffentliche Sicherheit, 2015, Nr. 9–10, S. 43ff. (mit Bildern); Pfarre Moravské Budějovice, CZ.
(W. Sabitzer)   
Zuletzt aktualisiert: 20.12.2021  
PUBLIKATION: ÖBL Online-Edition, Lfg. 10 (20.12.2021)