Grosz, Paul (1925–2009), Funktionär und Kürschner

Grosz Paul, Funktionär und Kürschner. Geb. Wien, 18. 7. 1925; gest. ebd., 29. 8. 2009; mos. Sohn des aus der heutigen Slowakei stammenden Kürschnermeisters Leopold Grosz und dessen als Findelkind aufgewachsener und vor der Heirat zum Judentum übergetretener Frau Valerie Grosz, Bruder des infolge von Misshandlungen durch SA-Männer ums Leben gekommenen Alfred Grosz (geb. ca. 1921; gest. Wien, 11. 7. 1940), Vater von Dr. Roni (Ronald) Grosz, Leiter der Bibliothek des Wiener Jüdischen Museums und später Direktor des Albert-Einstein-Archivs an der der Hebräischen Universität in Jerusalem; verheiratet mit Henriette Drill. – G. wuchs in bescheidenen Verhältnissen in Wien-Ottakring auf. Die Werkstatt seines Vaters befand sich gegenüber dem 1885/86 erbauten Tempel der Israelitischen Kultusgemeinde in der Hubergasse. Er sang im Kinderchor des Tempels und erlebte dort 1938 seine Bar Mizwa. Nach dem „Anschluss“ wurde der Familie die Wohnung gekündigt und man zwang sie, in eine „Sammelwohnung“ in der Josefstadt zu ziehen. G. musste auch das Gymnasium verlassen und eine Schule ausschließlich für jüdische Kinder in Wien 6 besuchen. Nach deren Schließung 1939 ging er als Mitglied der Jugendbewegung Hanoar Hazioni bis 1941 in die Jugendalijahschule in Wien 1. In den Werkstätten der Schule in Wien 2 wurde er zum Elektriker, Schlosser und Spengler ausgebildet und arbeitete in den Rothschildgärten in Döbling. Die Schule stand unter der Leitung des charismatischen Aron Menczer, der 1942 nach Theresienstadt deportiert und 1943 in Auschwitz ermordet wurde. Nach der Schließung der Schule mussten G. und sein Vater bis 1944 in einem Betrieb, in dem Uniformen für die Wehrmacht hergestellt wurden, arbeiten, danach gingen sie in den Untergrund. G. holte 1947 die Matura nach, begann Chemie zu studieren und engagierte sich als Sozialreferent in der Vereinigung jüdischer Hochschüler. 1950–57 lebte er in den USA, kehrte jedoch nach der Erkrankung seines Vaters nach Wien zurück und übernahm nach dessen Tod die Kürschnerei in Wien 5. In den 1960er-Jahren war G. im Sportklub Hakoah aktiv und gründete dessen Judosektion. Ab 1968 wurde er auf Anregung von Simon Wiesenthal in der Israelitischen Kultusgemeinde aktiv, in deren Vorstand er 1972 gewählt wurde. 1975 war G. einer der Gründer des Vereinigten Jüdischen Wahlblocks – Alternative. Er engagierte sich im Hilfskomitee für sowjetische Juden in Wien und sprach 1978 mit Wiesenthal auf einer Solidaritätskundgebung für den jüdischen Dissidenten Natan Scharanski. 1987–98 war er Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, danach ihr Ehrenpräsident. Sein Vorgänger war der Rechtsanwalt Ivan Hacker, sein Nachfolger der Unternehmer Ariel Muzicant. G.ʼ Präsidentschaft fiel in die Zeit der Waldheim-Affäre. Bereits als Vizepräsident verwehrte er sich im Juni 1986 auf einer Tagung des World Jewish Congress in Genf dagegen, alle Österreicher als Nazis zu betrachten. In seiner Amtszeit kam es zu zahlreichen Neuerungen betreffend die Infrastruktur der jüdischen Gemeinde: 1988 Einweihung des Stadttempels nach einer Generalrenovierung und Beginn der Reorganisation des Elternheims als Maimonides-Zentrum, 1989 Rückkehr der Verwaltung der Kultusgemeinde in das historische Gebäude in der Seitenstettengasse (Wien 1) sowie Schaffung des Jüdischen Instituts für Erwachsenenbildung, 1992 Eröffnung des Sefardischen Zentrums mit zwei Synagogen für die bucharischen und die georgischen Juden, 1994 Gründung des Psychosozialen Zentrums ESRA. 1993 wurde ein von G. initiiertes Denkmal für Menczer im Foyer des Stadttempels enthüllt. Als sich 1992 der Kolumnist der „Neuen Kronen Zeitung“ Richard Nimmerrichter (Pseudonym: Staberl) in seiner Kolumne in antisemitischer Weise über G. äußerte, klagte Letzterer und gewann in der ersten, jedoch nicht in der zweiten Instanz. 1992 wurde G. mit dem Titel Hofrat ausgezeichnet.

L.: Jüdische Schicksale. Berichte von Verfolgten, 1992, S. 205ff. (mit Bild); Die Gemeinde. Offizielles Organ der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, September 2000, Nr. 511, S. 6f. (mit Bild); E. Adunka, Die vierte Gemeinde. Die Geschichte der Wiener Juden von 1945 bis heute, 2000, s. Reg. (mit Bild); E. Adunka – G. Anderl, Jüdisches Leben in der Wiener Vorstadt. Ottakring und Hernals, 2013, S. 119ff.
(E. Adunka)   
Zuletzt aktualisiert: 14.12.2018  
PUBLIKATION: ÖBL Online-Edition, Lfg. 7 (14.12.2018)