Haider, Jörg (1950–2008), Politiker

Haider Jörg, Politiker. Geb. Goisern (Bad Goisern am Hallstättersee, Oberösterreich), 26. 1. 1950; gest. Lambichl (Kärnten), 11. 10. 2008 (Unfall); röm.-kath. Sohn des Schuhmachers, Mitglieds der Österreichischen Legion und späteren FPÖ-Bezirksparteisekretärs Robert Haider (geb. Goisern, 26. 3. 1914; gest. 2004) und der Dorothea Haider, geb. Rupp (1918–2016); ab 1976 verheiratet mit Claudia Haider, geb. Hoffmann. – Aus einer traditionell deutschnationalen Familie stammend, hatte H. den letzten Obmann der Großdeutschen Volkspartei Hermann Foppa zum Taufpaten. Er besuchte das Gymnasium in Bad Ischl und ab 1969 die Universität Wien, wo er Jus studierte; 1973 Dr. iur. Anschließend arbeitete er als Assistent bei Günther Winkler. Daneben war H. im Ring Freiheitlicher Jugend aktiv, als deren Obmann er 1971–75 fungierte. Weniger engagierte er sich im Ring Freiheitlicher Studenten, war allerdings gelegentlicher Besucher des Atterseekreises, den FPÖ-Chef Friedrich Peter gegründet hatte, um die Generationenablöse innerhalb der Partei voranzutreiben. Auf dessen Betreiben wurde H. 1976 zum Landesparteisekretär von Kärnten bestellt, wo er sich 1983 an die Spitze der Landespartei vorarbeitete. H. war 1979 mit Norbert Steger am Sturz von Peters Nachfolger Alexander Götz beteiligt, entwickelte sich in der Ära Steger ab 1980 aber zum prominentesten Kritiker der Bundespartei. Sein allein dastehender Erfolg bei der Kärntner Landtagswahl 1984 ließ ihn zum Kristallisationspunkt aller Gegner Stegers werden. Doch erklärte sich H. erst unmittelbar vor dem Bundesparteitag in Innsbruck 1986 zu einer Gegenkandidatur bereit. Im September 1986 wurde er zum neuen Obmann der FPÖ gewählt. Für H. überraschend, kündigte Bundeskanzler Franz Vranicky daraufhin bereits am nächsten Tag die SPÖ-FPÖ-Koalition. H. gelang bei den darauffolgenden Nationalratswahlen vom November desselben Jahres mit der Verdoppelung der FPÖ-Stimmen ein Überraschungserfolg. ÖVP-Obmann Alois Mock wollte H. daraufhin als Juniorpartner einer bürgerlichen Koalition kooptieren, setzte sich damit in der eigenen Partei aber nicht durch. In der Opposition entwickelte H. einen eigenen Stil, der später vielfach zum Muster „rechtspopulistischer“ Parteien wurde. Er integrierte Quereinsteiger und verwandelte die elitäre Honoratiorenpartei mit dem Rückenwind der Umbrüche nach 1989 in eine breitgefächerte Bewegung, die auch für Außenstehende attraktiv war, mit modischen Auftritten bei der Jugend punktete und in den 1990er-Jahren im Zuge der Zuwanderungsdebatten große Erfolge im Arbeitermilieu erzielte. Wirtschaftsliberale Anliegen (Privatisierung, faire Marktwirtschaft, flat tax) wurden verbunden mit einer Betonung sozialer Aspekte und der Polemik gegen die Privilegien des „geschützten“ staatsnahen Sektors. Der deutschnationalen Tradition der FPÖ zollte H. noch in den 1980er-Jahren seinen Tribut, forderte jedoch schon 1995 „Schluss mit der Deutschtümelei“ und nannte das neue Programm der FPÖ „Österreich zuerst“. Seine nationale Komponente stützte sich mehr auf den „Schutz vor Überfremdung“ als auf eine gesamtdeutsche Orientierung. 1989 in Koalition mit der ÖVP zum Kärntner Landeshauptmann gewählt, wurde er 1991 im Zuge eines Misstrauensvotums nach einer im Landtag gefallenen Bemerkung über die „ordentliche Beschäftigungspolitik des Dritten Reiches“ wieder abgewählt. 1994 verschrieb er seiner traditionell europafreundlichen Partei ein Nein bei der Volksabstimmung über den Beitritt zur EU. In den späten 1990er-Jahren bemühte sich H. um gute Kontakte zu den USA, erregte aber nach 2000 Aufsehen mit kontroversen Beziehungen zu Staatschefs des arabischen Raums, etwa zu Saddam Hussein. Immerwährender Kritikpunkt an H. war seine ambivalente Haltung zum „Dritten Reich“, etwa sein Auftritt vor Veteranen der Waffen-SS 1995. Im März 1999 errang er mit der Kärntner FPÖ die relative Mehrheit in Kärnten und wurde ohne großen Widerstand erneut zum Landeshauptmann gewählt. Bei der Nationalratswahl im Herbst desselben Jahres erzielte die H.-FPÖ Platz zwei noch vor der ÖVP. In der darauffolgenden Koalition zwischen der ÖVP unter Wolfgang Schüssel und der FPÖ vom Februar 2000 übernahm H. selbst kein Regierungsamt und übergab auf dem Parteitag im Mai auch die Obmannschaft an die langjährige geschäftsführende Stellvertreterin Susanne Riess-Passer. H. hatte die Regierungsbeteiligung bewusst angepeilt und Verluste vorausgesagt, entzog sich jedoch der Verantwortung für seine Entscheidung und geriet zunehmend in Opposition zur eigenen Regierungsmannschaft. Die Situation eskalierte im Sommer 2002 in der Delegiertenversammlung in Knittelfeld und führte zum Rücktritt Riess-Passers sowie zu Neuwahlen, die der FPÖ einen Absturz von 27 % auf 10 % einbrachten. H. reagierte auf das Desaster mittelfristig mit einer vollständigen Kehrtwende, entschuldigte sich bei den Wählern für Knittelfeld und gewann überlegen die Kärntner Landtagswahl 2004. Ohne entsprechende Vorbereitungen gründete er 2005 das Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ), wobei er nur einen kleinen Teil der FPÖ-Strukturen für ein Überwechseln gewinnen konnte. Nach dem Ausscheiden aus der Regierung 2006 führte H. das BZÖ bei den Nationalratswahlen 2008 jedoch zu einem Überraschungserfolg. Eine Woche später kam er bei einem selbstverschuldeten Autounfall ums Leben. Nach seinem Tod wurde H. einerseits in Kärnten zur Kultfigur stilisiert, andererseits wurden von ihm angebahnte riskante Geschäft der landeseigenen Hypo-Bank bekannt, die enorme Verluste nach sich zogen. H. war zweifellos einer der begabtesten Politiker der 2. Republik und in vieler Beziehung sogar richtungsweisend für einen europäischen Trend: Er übernahm Elemente der Reagan-Revolution und verband sie mit einem defensiven Nationalismus neuen Typs. Besonders gute Kontakte pflegte er zur italienischen Lega Nord. Zum Unterschied von vielen anderen rechtspopulistischen Politikern gründete H. vorerst keine eigene Partei, sondern übernahm eine bereits alteingesessene – ein Umstand, der ihm ein kokettes Verhältnis zum politischen Establishment ermöglichte, das er abwechselnd umwarb und bekämpfte.

W.: Die Freiheit, die ich meine, 1993; Befreite Zukunft jenseits von links und rechts, 1997.
L.: C. Zöchling, H. Eine Karriere, 1999; L. Höbelt, Defiant Populists, 2003; K. R. Luther, in: Politik in Österreich, ed. H. Dachs u. a., 2006, S. 364ff.; H. Schafranek, Söldner für den „Anschluss“, 2011, S. 300f. (mit Bild); Pfarre Bad Goisern, Oberösterreich.
(L. Höbelt)   
Zuletzt aktualisiert: 27.11.2017  
PUBLIKATION: ÖBL Online-Edition, Lfg. 6 (27.11.2017)