Hammer-Purgstall, Joseph Frh. von (1774-1856), Orientalist

Hammer-Purgstall Joseph Frh. von, Orientalist. * Graz, 9. 6. 1774; † Wien, 23. 11. 1856. Entstammt einer im Stiefingtal bei Heiligenkreuz in der Steiermark seßhaften Bauernfamilie und ist Sohn des späteren k. k. Innerösterr. Gubernialrates und Staatsgüteradministrators Joseph Edlen v. H. sowie der Marianne, geb. Schabel (geb. 1752 Graz, gest. Graz 12. 1. 1787). Nachdem er in Graz die unteren Schulen und die unteren Gymnasialklassen besucht hatte, setzte er ab 1787 zu Wien im Barbarastift seine Stud. fort, um zugleich am Vorbereitungslehrgang an der k. k. Oriental. Akad. teilzunehmen. Nach einjähriger Probezeit wurde er in die Akad. aufgenommen und war (1789–99) Schüler von Propst F. Hoeck (1749–1835), dem Leiter der Anstalt, sowie vor allem von Th. Chabert, Ritter von Ostland (1766—1841), vornehmlich im Türk. und Pers. Das Pers. hatte es ihm damals besonders angetan, da er von einer iran. Reise träumte, die er freilich niemals verwirkliehen durfte. Ende 1794 machte er die Bekanntschaft des gefeierten Historikers J. v. Müller (1752–1809), der damals in Wien zusammen mit dem späteren Präfekten der Hofbibl., B. Frh. v. Jenisch (1734–1807), und dem späteren Internuntius zu Konstantinopel, I. Lor. Frh. v. Stürmer (1762–1829), im gleichen Zimmer der Staatskanzlei an seiner Allg. Geschichte arbeitete und sich für die morgenländ. Quellen der Hilfe J. v. H.s bediente. Diesem Schweizer Gelehrten verdankte er auch die Anregung zu seinen ersten literar. Bemühungen. J. v. Müller sandte 1797 H.s Verdeutschung eines türk. Gedichtes„Über die letzten Dinge“ an Chr. M. Wieland für dessen „Deutschen Mercur“, dem zwei, seinen Gönnern B. v. Jenisch und J. v. Müller gewidmete Oden „Asia“ und „Weidling“ (bei Wien) folgten. Am 29. 5. 1799 trat er als vom Min. des Auswärtigen F. Frh. v. Thugut erwählter sogenannter „Sprachknabe“ seine erste Reise auf dem Wasserweg über die Donau und das Schwarze Meer nach Stambul an. In seinen Lebenserinnerungen (1940) schilderte er auf prachtvolle, anschauliche Weise seine frühesten Eindrücke vom Orient. Damals zeigten sich die ersten Schwierigkeiten des selbstbewußten und eigenmächtigen H. im Verkehr mit den Behörden, die ihn bis an sein Lebensende in Unruhe hielten und in der Darstellung seines Lebensweges einen fast beklemmenden Ausdruck fanden. Der k. k. Internuntius P. Frh. v. Herbert- Rathkeal (1735–1802) war ihm schließlich doch noch ein gütiger Förderer geworden und ihm verdankte H., daß er wegen seiner sprachlichen Fähigkeiten im Februar 1800 den Auftrag erhielt, die Levante zu bereisen und über seine Eindrücke, vorzugsweise in Ägypten, Bericht zu erstatten. Die polit. Verwicklungen, die sich aus der Ermordung des Generals Jean-Bapt. Kléber in Kairo und aus der Haltung Englands ergaben, verzögerten die Durchführung dieses Vorhabens. H. verblieb vorerst an Bord des brit. Kriegsschiffes „Tiger“, das Sir S. Smith (1764–1840) befehligte. Dessen Bruder, der Min. Spencer Smith, zog den jungen Sprachknaben, an dem er Gefallen gefunden hatte, als Sekretär und Dolmetscher in seine Dienste. So machte H. den brit. Feldzug nach Ägypten (1801) mit, ordnete nach dessen Beendigung den umfangreichen türk. Briefwechsel und die den Feldzug betreffenden Urkunden und Aktenstücke, um schließlich im Auftrag des Frhn. v. Herbert nach der Übergabe Alexandriens nach England zu reisen. Dort verbrachte er seit Nov. 1801 nahezu 5 Monate und reiste am 1. 4. 1802, nachdem er Oxford und London mit ihren Smlgn. eifrig besucht hatte, über Deutschland nach Wien zurück. Bereits im Mai Legationssekretär, wurde er abermals nach Konstantinopel gesandt, wo er am 12. 8. 1802 anlangte. Die „große Freiheit“, in der H. unter Engländern „auf der Flotte, im Heere und in London“ gelebt hatte, bereitete ihm Schwierigkeiten, sich „in dem zeremoniösen Formenwesen kleinstädt. Diplomatie in Pera und den jesuit. Pedantismus“ seines neuen Vorgesetzten I. Lor. Frhn. v. Stürmer, des neuernannten Internuntius, zurechtzufinden. Zahllose Unannehmlichkeiten, auch Kränkungen aller Art waren die unausbleibliche Folge; sie werden in den „Erinnerungen“ mit allem Freimut und nicht ohne Selbstbewußtsein dargestellt. In seinen Mußestunden befaßte sich H. damals mit einer Verdeutschung der Märchen von 1001 Nacht und mit Auszügen aus einem Werk über den Heiligen Krieg, die J. v. Müller schließlich unter dem Titel „Die Posaune des Heiligen Krieges“ ohne Namensnennung im Druck herausgab (1806). Im Sommer wurde er zum „Agenten“ (Konsul) in der Moldau bestimmt und 14 Tage nach seinem Aufbruch von Konstantinopel traf er in Jassy ein. Dort erschien bald danach der französ. Generalkonsul und frühere (1799) Min. des Auswärtigen K.-F. Gf. v. Reinhard (1761–1837) gleichsam in der Verbannung und zwischen beiden Männern entwickelte sich ein freundschaftliches Verhältnis, das sich später in einem Briefwechsel fortsetzte. Auch an seinem neuen Wirkungsorte gab es Verleumdungen sowie rügende Depeschen der Wr. Staatskanzlei und H., der sich als „allzu wachsamer Agent“ bekundete und deshalb bei seinen Kollegen, vor allem vom russ. Konsul, heftige Gegnerschaft erfuhr, kam seine am 14. 7. 1807 erfolgte Rückberufung nach Wien keineswegs ungelegen. Damals kehrte er „der Türkei als Reisender und Diplomat, aber nicht als Orientalist und Literat“ den Rücken. In Wien kam ihm für seine Stud. die Bekanntschaft und nachmalige enge freundschaftliche Verbundenheit mit dem poln. Orientalisten W. Gf. Rzewuski (1765–1832) und dessen geistreicher Gattin Rosalie, geb. Prinzessin Lubomirska, überaus zustatten. Damals entstand der Plan zur Herausgabe der „Fundgruben des Orients“, deren Programm am 9. 1. 1809 veröffentlicht wurde und wovon insgesamt 6 Bde. (1810–19) erschienen. H. durfte auch Aug.-Wilh. v. Schlegel und Anne-Germ. de Staël-Holstein (1766–1817) näherkommen und in deren Salon den Glanz des österr. Adels, der Gelehrten und der Staatsmänner kennenlernen. Daneben traten seine Amtsgeschäfte, die sich meist in der Sichtung und Lesung türk. Akten in der Staatskanzlei erschöpften, gänzlich in den Hintergrund. 1809 rückte das französ. Heer gegen Wien vor, und H. blieb durch ein Versäumnis dort zurück, während der Hof und die Staatsbehörden allesamt die Stadt verließen. Er verhütete damals, unterstützt durch ein Empfehlungsschreiben des großen französ. Arabisten Sylv. Baron de Sacy die völlige Plünderung morgenländ. Handschriften der k. Hofbibl. Etwa 200 Stücke brachte er 1810 durch persönliche Rücksprache in Paris wieder nach Wien zurück. 1811 Wirkl. Staatskanzleirat und Hofdolmetsch. Von wenigen Ausnahmen abgesehen sind die vielen hundert Veröffentlichungen H.s trotz mancher Flüchtigkeiten wahre Fundgruben und erschließen wirkliches Neuland. Mit ihnen hat H. den morgenländ., zumal den türk. Stud. einen großen Auftrieb verliehen, und noch lange Zeit werden seine bahnbrechenden Werke richtunggebend bleiben. 1815/16 erschien in zwei Bänden „Die Staatsverfassung und Staatsverwaltung des osman. Reiches, dargestellt aus den Quellen seiner Grundgesetze“, zu deren Abfassung er die unfreiwillige Muße eines 5monatigen Krankenlagers benutzt hatte. Auszeichnungen und Ehrungen aller Art, denen H. keineswegs, trotz seiner gegenteiligen Beteuerung, abhold war, häuften sich in der Folge. Seine rechthaberische, sehr leicht verletzbare und eitle Wesensart schaffte ihm viele Widersacher. Mit seiner freilich wenig geglückten Verdeutschung des Hafisschen Divans (2 Tle., 1813/14) machte sich H. dadurch unsterblich, daß er Goethe mit zu seinem Westöstlichen Divan anregte und mit ihm in brieflichen Gedankenaustausch trat. Seine weiteren, in rascher Folge entstehenden Werke widmete er zumeist hochgestellten Persönlichkeiten, deren Erkenntlichkeit sich dann in hohen Orden und anderen Beweisen der Gunst zu äußern pflegte. So der der Kn. von Österr. zugeeignete „Umblick auf einer Reise von Constantinopel nach Brussa“ (1818) und seine „Geschichte der Assassinen“ (1818). Seine freie Zeit füllte H. in jenen Jahren mit den Vorarbeiten zu seiner zehnbändigen Geschichte des Osman. Reiches, für die er 1821 eine amtliche Reise nach Dresden und Berlin zum Stud. der dortigen Handschriften unternehmen konnte. An seinem Geburtstag 1816 vermählte sich J. v. H. mit Karoline von Henikstein (1797–1844), Tochter des jüdischen Bankherrn Jos. v. Henikstein, die ihm 10 Kinder schenkte, von denen nicht alle zu Jahren kamen. 1817 Hofrat, 1825 Ritterstand. Im gleichen Jahre begab er sich nach Italien, wo er die dortigen Büchersmlgn. stud. und deren Schätze in ausführlichen Beschreibungen bekanntmachte. 1825–35 fallen u. a. beiden Ausgaben der „Geschichte des Osman. Reiches“ (1. Aufl., 10 Bde., 1827–33, 2. Aufl., 4 Bde., 1834/35, auch franz. und italien.) sowie die 1832 von der Preuß. Akad. d. Wiss. zu Berlin preisgekrönte Schrift „Über die innere Verwaltung des Chalifats“ (1835). Auf westliche und östliche Quellen gestützt, begründete die osman. Reichsgeschichte in aller Welt H.s wiss. Ruhm. Bis heute ist dieser Darstellung nichts Ebenbürtiges an die Seite gerückt worden. 1835 wurde H. durch letztwillige Verfügung der verwitweten und kinderlosen Gfn. Johanna-Anna Purgstall, geb. Cranstone (l765 bis 1835), mit der ihn langjährige Freundschaft verband, Erbe von Schloß und Gut Hainfeld in Steiermark, Frh. In jene Tage reichen seine ersten Bemühungen zur Errichtung einer Akad. der Wiss. zurück, aber erst nach 12jährigem Zuwarten erlebte er im Mai 1847 die Erfüllung seines Herzenswunsches und zugleich seine Wahl zum ersten Präs. Noch im Greisenalter war H. unablässig schriftstellerisch tätig. Neben verschiedenen Verdeutschungen morgenländ. Dichtungen entstanden zwei umfangreiche Darstellungen: „Geschichte der Goldenen Horde in Kiptschak, d. i. der Mongolen in Rußland“ (1840), „Geschichte der Ilchane, d. i. der Mongolen in Persien“ (2 Bde., 1842–44) sowie zahlreiche Veröffentlichungen in den Denkschriften Wien über Gegenstände der muslim. Dingwelt, wie über die Siegel der Araber, Perser und Türken (1850), über Bogen und Pfeil bei den Arabern und Türken (1852), über die Überlieferung des Wortes Mohammed (1853), das Pferd bei den Arabern (1856) usw. Noch 1856 erschien die „Geschichte der Chane der Krim unter osman. Herrschaft“. Damals begann er auch mit der Herausgabe der „Geschichte der Wissenschaften und Literatur bei den Arabern“, die er auf 12 Bde. berechnete, von denen 7 erschienen. Diesem Riesenwerk war er körperlich und wohl auch fachlich nicht gewachsen und seine kleinlichen Gegner haben gerade an diesem gigant. Versuch einer Darlegung des arab. Schrifttums auf billige Weise vernichtende Kritik geübt. Vielfach geehrt und ausgezeichnet, besaß H. 19 hohe Orden, zwei Ehrendoktorate (Graz und Prag) sowie die Mitgliedschaft von einem halben Hundert Akad. und gel. Ges.

L.: J. Frh. von H.-P., Erinnerungen aus meinem Leben 1774–1852, bearb. von R. Bachofen von Echt, in: Fontes Rerum Austriacarum, Abt. 11, Diplomataria et Acta, Bd. 70, 1940; A. Popek, Nachträge zu J. Frh, v. H.-Ps. Erinnerungen aus meinem Leben 1774–1852, in: Anz. der phil. hist. Kl. der Akad. d. Wiss. Wien, Jg. 79, 1942, S. 33 ff.; Almanach Wien, 1851 (tw. Werksverzeichnis); Feierliche Sitzung, 1857 (mit Werksverzeichnis); K. Schlottmann., J. v. H.-P. Ein krit. Beitrag zur Geschichte neuerer dt. Wiss. Aus der Ms. des Züricher wiss. Ver. abgedruckt, 1857; J. Phil. Fallmerayer, Gesammelte Werke, hrsg. von G. M. Thomas, Bd. 2, 1861, S. 379 ff., 398 ff.; Erzh. Johann’s Briefe an J. Frh. von H.-P., hrsg. von F. Ilwof, in: Mitt. des hist. Ver. für Stmk., Bd. 37, 1889, S. 3 ff.; H. Löschnigg, J. Frh. v. H.-P. Eine Physiognomie aus Alt-Österr., in: Oststeir. Heimat, hrsg. von F. Hausmann, 1923, S. 165–174; W. Bietak, Gottes ist der Orient, Gottes ist der Okzident. Eine Studie über J. v. H.-P., 1948; Goedeke, Bd. 7, S. 747–70; Kosch; Wurzbach; Kosch, Das kath. Deutschland; ADB.
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 2 (Lfg. 7, 1958), S. 165ff.
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