Hansen, Theophil (Theophilos) Freiherr von (1813–1891), Architekt

Hansen Theophil (Theophilos) Freiherr von, Architekt. Geb. Kopenhagen (København, DK), 13. 7. 1813; gest. Wien, 17. 2. 1891 (Ehrengrab: Wiener Zentralfriedhof); evang. AB. Sohn des Versicherungsangestellten Rasmus Hansen und dessen Frau Sophie Hansen, geb. Jensen, Bruder des Architekten Hans Christian Hansen (geb. Kopenhagen, 20. 4. 1803; gest. Wien, 2. 5. 1883); ab 1851 verheiratet mit Sophie Förster (gest. 1851), der Tochter von →Ludwig Förster. – 1827–38 an der königlichen Bauakademie in Kopenhagen ausgebildet (1836 Diplom), arbeitete H. dort ab 1831 als Assistent bei dem Architekten Gustav Friedrich Hetsch. Mit einem Stipendium bereiste er 1838 Deutschland, wo er die Werke Friedrich Schinkels, Leo Klenzes sowie Friedrich Gärtners studierte, und Oberitalien. Auf Einladung seines Bruders Hans Christian, der seit 1833 Hofarchitekt König Ottos I. war, übersiedelte H. in der Folge nach Athen, wo er am Bau der Universität mitarbeitete und antike und byzantinische Architektur (z. B. das Lysikrates-Denkmal) studierte. 1839–43 war er Zeichenlehrer an der technischen Lehranstalt und errichtete ab 1842 selbstständig Bauten, u. a. die Sternwarte (1842–46) für →Georg Simon Freiherr von Sina zu Hodos und Kizdia. Auf Einladung Försters kehrte H. nach Wien zurück und arbeitete 1846–52 mit ihm in dessen Atelier (Gustav-Adolf-Kirche, 1846–49, Wien 6; Palais Klein, 1847–48, Brünn). Den gemeinsam mit Förster begonnenen Bau des Waffenmuseums im Arsenal (1850–57, Wien 3) vollendete H. allein. Byzantinische, islamische und mittelalterliche Stilelemente charakterisieren auch die Kirche auf dem evangelischen Friedhof Matzleinsdorf (1858–60) und die griechisch-orthodoxe Kirche am Fleischmarkt (1857–61). 1856 begannen Umbau und Innenausstattung von Schloss Hernstein in gotisierenden Formen als frühes Beispiel eines „Gesamtkunstwerks“. Auch später entwarf H. Möbel und kunstgewerbliche Arbeiten wie Schmuck für den Hofjuwelier →Alexander Emanuel Köchert. Daneben wirkte er 1850–51 als Zivillehrer an der militärischen Ingenieur-Akademie. H. arbeitete intensiv mit den Malern →Karl Rahl (u. a. Entwürfe für das Waffenmuseum und das Palais Todesco), →Christian Griepenkerl und →Eduard Bitterlich zusammen. Bereits mit seinem Wettbewerbsbeitrag für das Bank- und Börsengebäude in der Herrengasse in Wien 1 (1855) – und nicht wie bisher von der Forschung angenommen mit dem Palais Sina am Hohen Markt (1859–60, nach 1945 demoliert) – schuf er stilistische Grundlagen des späteren „Wiener Stils“ der Neorenaissance (dreizoniger Fassadenaufriss, klassische Dekorationsformen nach venezianischen und römischen Vorbildern). Der Heinrichhof für →Heinrich von Drasche-Wartinberg in Wien 1 (1861–63, nach 1945 demoliert) wurde als monumentale Form der Blockbebauung (einheitliche Gestaltung eines aus mehreren Parzellen bestehenden Häuserblocks) vorbildhaft für den Wiener Zinshausbau. In der neu angelegten Ringstraßenzone (1859 war H. Mitglied der Beurteilungskommission für den Grundplan) schuf H. zahlreiche öffentliche Monumentalbauten und private Paläste für Mitglieder des Kaiserhauses und Bankiers sowie den für die Ringstraßenzone einzigartigen Rudolf-Hof (1871–72) als Wohnhaus für Beamte aus der Mittelschicht. Als angesehener Architekt erhielt H. besondere Unterstützung von Kollegen und Kulturkritikern, v. a. im Zusammenhang mit dem konfliktreichen Wettbewerb um die Hofmuseen 1866–68, da man seinen Weggang aus Wien befürchtete, wenn er keine prestigeträchtigen öffentlichen Bauaufträge bekäme. An seinem Hauptwerk, dem Reichsratsgebäude (1871–83, heute Parlament), verband er die von ihm bevorzugten hellenischen Architekturformen in letztlich barocker Baukörpergliederung mit auf strengem Achsensystem funktional hochentwickelten Grundrisslösungen, unter Berücksichtigung des umgebenden Stadtraums und der Anwendung von Polychromie. Als Professor an der Akademie der bildenden Künste (1868–84 Leiter einer Spezialschule für Architektur, 1869–72 unterrichtete er auch Perspektive für Maler) zählte H. zu den einflussreichsten Architekten der 2. Jahrhunderthälfte in Wien (so wurde etwa zu seinen Ehren der 1877 an der Akademie gegründete Verein der Architekten 1883 in Hansen-Verein, 1886 in Hansen-Club umbenannt, der 1887 den Hansen-Preis für Antikenstudien stiftete). Nach seiner Pensionierung beteiligte er sich am Wettbewerb um den Berliner Reichstag (1882) und die Museumsinsel (1883). Er schuf auch Projekte für Athen (Akropolismuseum, 1887–88, Königsschloss in Piräus, 1888) und Kopenhagen (Königspalast und Parlament, 1884–87). H. war ab 1861 Mitglied, ab 1883 Ehrenmitglied der Genossenschaft der bildenden Künstler Wiens (Künstlerhaus), ab 1864 Mitglied des Österreichischen Ingenieur- und Architekten-Vereins, wurde 1848 bzw. 1866 Mitglied, 1884 Ehrenmitglied der Akademie der bildenden Künste und erhielt 1866 die österreichische Staatsbürgerschaft mit dem Heimatrecht in Wien. 1868 wurde er Oberbaurat, 1883 Dr. h. c. der Universität Wien und Ehrenmitglied des Ungarischen Ingenieur- und Architektenvereins; 1888 Mitglied des Royal Institute of British Architects. H. war Träger zahlreicher nationaler und internationaler Auszeichnungen und Orden: u. a. kleine und große Goldmedaille der Kongelige Academie for de skjønne Kunster (1835 bzw. 1838), Goldene Staatsmedaille (1888); 1856 Orden der Eisernen Krone III. Klasse, 1884 der II. Klasse, 1867 königlich dänischer Danebrog-Orden III. Klasse, 1872 Komturkreuz desselben, 1877 Komturkreuz mit Stern des Franz Joseph-Ordens, 1878 Chevalier de la Légion d’Honneur, 1887 Kommandeurkreuz des königlich griechischen Erlöser-Ordens und Kommandeurkreuz I. Klasse des königlich schwedischen Wasa-Ordens, 1888 Goldene Medaille des Royal Institute of British Architects. 1867 wurde er in den Ritter-, 1884 in den Freiherrenstand erhoben.

Weitere W.: Invalidenhaus, 1854–61 (Lemberg); Akademie der Wissenschaften, 1859–87 (Athen); Evangelische Volksschule am Karlsplatz, 1860–62 (Wien 4); Umbauprojekt für das Äußere Burgtor, 1863 (Wien 1); Schloss Montpreis bei Cilli, ab 1863; Deutschmeisterpalais für Erzherzog Wilhelm, 1864–68 (Wien 1); Landeskrankenhaus St. Anna, 1864–68 (Brünn); Innenausstattung Palais Todesco, 1865 (Wien 1); Haus der Gesellschaft der Musikfreunde, 1867–70 (Wien 1); Grabmal Karl Rahl, 1868 (Wiener Zentralfriedhof); Palais Epstein, 1868–73 (Wien 1); Besední dům, 1869–72 (Brünn); Palais Ephrussi, 1869–73 (Wien 1); Schloss Rappoltenkirchen, 1869–74; Grabkapelle für Anton Graf Prokesch von Osten, 1872 (Graz); Palais Pražák, 1872–74 (Brünn); Akademie der bildenden Künste, 1872–77 (Wien 1); Wiener Börse, 1872–77; Villa Giulia mit Mausoleum für Graf Blome, 1873 (am Comer See); Nationalbibliothek, 1883–88 (Athen).
L.: WZ, 18. 2. 1891; Die Presse, 19. 2. 1891; AKL; Die Wr. Ringstraße 1–4, 7, 8/4, 11; NDB; Thieme–Becker; Th. H. und seine Werke, ed. G. Niemann – F. v. Feldegg, 1893 (mit Bild); Th. H. und die Bibliothek der Akademie der bildenden Künste Wien, ed. B. Bastl u. a., 2011 (mit Bild); Th. H. Architekt und Designer, ed. C. Reiter – R. Stalla, Wien 2013 (Kat., mit Bild); Th. H. Ein Resümee, ed. B. Bastl u. a., 2013; Architektenlexikon Wien 1770–1945, www.architektenlexikon.at (mit Bild, Zugriff 20. 3. 2015); ABK, Wien.
(R. Kurdiovsky)   
Zuletzt aktualisiert: 30.11.2015  
PUBLIKATION: ÖBL Online-Edition, Lfg. 4 (30.11.2015)
1. AUFLAGE: ÖBL 1815-1950, Bd. 2 (Lfg. 7, 1958), S. 181f.
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