Helmer, Hermann (1849–1919), Architekt

Helmer Hermann, Architekt. Geb. Harburg an der Elbe, Hannover (Hamburg, D), 13. 7. 1849; gest. Wien, 2. 4. 1919 (Ehrengrab: Wiener Zentralfriedhof); röm.-kath. Sohn des Goldschmieds und Kleinhändlers Adolph Helmer und der Louise Amanda Helmer, geb. Fritz, Vater des Architekten Hermann Helmer (geb. 1878; gest. 7. 10. 1938); verheiratet mit Philippine (Filippine) Levancic; vier Kinder. – H. absolvierte eine Maurerlehre, die Baugewerbeschule Nienburg an der Weser sowie ein Architekturstudium an der Polytechnischen Schule in München (nicht nachweisbar). Um 1871 trat er als Architekturzeichner in das Atelier von →Ferdinand I. Fellner ein. 1873 erfolgte mit dessen Sohn →Ferdinand II. Fellner die Gründung der Bürogemeinschaft Fellner & Helmer. Das Atelier war v. a. für seine Effizienz, die Kostengünstigkeit sowie die Verlässlichkeit bei der Bauausführung bekannt. Es beschäftigte zeitweise bis zu 20 Architekten und errichtete eine Vielzahl an Theaterbauten in Österreich-Ungarn sowie in etlichen Städten v. a. Mitteleuropas. Daneben wurden auch Wohn- und Geschäftshäuser, Hotels, Landhäuser, Villen etc. ausgeführt. Auf Grund der strengen Feuerschutzbestimmungen, die nach dem Ringtheaterbrand (1881) in Kraft traten, beschäftigte sich das Architektenteam intensiv mit dem Brandschutz im Theaterbau und erarbeitete einen dreigeteilten Bautypus, bestehend aus dem Foyer mit Treppenhaus, dem Zuschauersaal sowie dem durch einen Eisernen Vorhang abgetrennten Bühnenhaus. Dieses Schema wurde beim Deutschen Volkstheater in Wien (Wien 7, 1888–89) beispielhaft ausgeführt und fand weite Verbreitung. Aus arbeitsökonomischen Gründen entwickelte das Atelier vier Fassadentypen, die mit unterschiedlichen Dekorationselementen zum Einsatz kamen. Stilistisch modifizierte das Atelier Formen aller Spielarten der Renaissance. Als die Söhne von H. und Fellner um 1900 in das Atelier eintraten, wurden auch secessionistische Elemente aufgegriffen. Die Wohn- und Geschäftshäuser zeigen das gleiche Formenrepertoire und zeichnen sich durch funktionale und zugleich repräsentative Gestaltungsweisen aus. Für den außerstädtischen Hotel-, Landhaus- und Villenbau wurden v. a. Formen des Heimatstils verarbeitet. Nach dem Tod H.s führte sein Sohn Hermann das Atelier weiter. H. war in vielen Bauausschüssen aktiv und Träger zahlreicher Orden (etwa 1883 Ritterkreuz des Franz Joseph-Ordens, 1895 preußischer Kronen-Orden IV. Klasse, 1912 Orden der Eisernen Krone III. Klasse), 1891 wurde er Baurat, 1904 Oberbaurat. Er war u. a. ab 1873 Mitglied der Genossenschaft der bildenden Künstler Wiens (Künstlerhaus), ab 1876 des Österreichischen Ingenieur- und Architekten-Vereins, ab 1908 der Zentralvereinigung der Architekten Österreichs (1919 dessen Ehrenmitglied), Mitglied des Vereins des Deutschen Volkstheaters, Mitglied der Theater-Landes-Kommission für Nieder-Österreich in Wien sowie der Kommission für die Abhaltung der 2. Staatsprüfung für das Bau(Architektur)fach.

Weitere W. (s. auch Hoffmann; Fellner & H.; Architektenlexikon): Palais Sturany, 1874–80 (Wien 1); Wohn- und Geschäftshaus Thonethof, 1882–84 (Wien 1); Stadttheater Odessa, 1884–86; Stadttheater Zürich, 1890–91; Nationaltheater Agram, 1894–95; Stadttheater Graz, 1898–99; Hotel Erzherzog Johann, 1899 (Semmering); Deutsches Schauspielhaus Hamburg, 1899–1900; Stadttheater Klagenfurt, 1909–10; Wiener Konzerthaus, Akademietheater und Hochschule für darstellende Kunst, 1910–13 (Wien 3, gem. mit Ludwig Baumann); Hotel Panhans, 1912–13 (Semmering). – Publ.: Über die Feuersicherheit der Theater und die notwendigen Reformen, in: ZÖIAV 56, 1904; Bericht des Ausschusses für die Durchführung der Theater-Modell-Brandversuche, ebd. 58, 1906; Sammelwerk der ausgeführten Bauten und Projekte in den Jahren 1870/1914, (1914, gem. mit F. Fellner).
L.: NFP, 3. 4. 1919; AKL; Czeike; Die Wr. Ringstraße 1, 2, 4, 7, 8/1, 11; Eisenberg 1; NDB; NÖB 7, S. 123ff. (m. B.); Thieme–Becker; F. Krauss, in: ZÖIAV 71, 1919, S. 376f. (mit Bild); H.-Ch. Hoffmann, Die Theaterbauten von Fellner und H., 1966 (mit W.); R. Wagner-Rieger, Wiens Architektur im 19. Jahrhundert, 1970, s. Reg.; dies., in: Geschichte der bildenden Kunst in Wien, 1973, s. Reg.; F. Achleitner, Österreichische Architektur im 20. Jahrhundert 1–3/2, 1981–95, s. Reg.; J. Brabenec, Fellner & H. Architekten, 1992; D. Klein, in: Baukultur 4, 1997, S. 34ff.; Fellner & H. Die Architekten der Illusion. Theaterbau und Bühnenbild in Europa, ed. G. M. Dienes, Graz 1999 (Kat., mit W.); ders., Fellner und H. Theaterarchitekten Mitteleuropas 1870–1920, Graz 2001 (Kat., mit Bild); G. Doytchinov – Ch. Gantchev, Österreichische Architekten in Bulgarien 1878–1918, 2001, S. 94ff. (mit Bild); H. Weihsmann, In Wien erbaut, 2005 (mit Bild); Geschichte der bildenden Kunst in Österreich 5, ed. G. Frodl, 2002, s. Reg.; W. Aichelburg, 150 Jahre Künstlerhaus Wien 1861–2011, www.wladimir-aichelburg.at (Zugriff 24. 2. 2015); Architektenlexikon Wien 1770–1945, www.architektenlexikon.at (mit Bild und W., Zugriff 13. 2. 2015).
(I. Scheidl)   
Zuletzt aktualisiert: 30.11.2015  
PUBLIKATION: ÖBL Online-Edition, Lfg. 4 (30.11.2015)
1. AUFLAGE: ÖBL 1815-1950, Bd. 2 (Lfg. 8, 1958), S. 269
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