Herzl, Theodor (1860-1904), Schriftsteller

Herzl Theodor, Schriftsteller. * Pest, 2. 5. 1860; †Edlach b. Reichenau (N.Ö.), 3. 7. 1904. Sohn wohlhabender Eltern. Stud. an der Univ. Wien 1878–84 Jus, 1884–85 prakt. Rechtstätigkeit an Gerichten in Wien und Salzburg. Von früher Jugend an schriftstellerisch tätig, wirkte er seit 1885 als freier Schriftsteller, besonders als Feuilletonist von Rang und als Theaterschriftsteller, dessen Lustspiele und Gesellschaftsstud. über viele Bühnen (einschließlich Burgtheater) gingen. 1891–95 Pariser Korrespondent, dann bis zu seinem Tode Feuilleton-Redakteur der Ztg. „Neue Freie Presse“. Seit dem Aufkommen des modernen Antisemitismus (E. Dühring, Die Judenfrage als Rassen-, Sitten- und Kulturfrage, 1881) beschäftigte ihn die Judenfrage, deren Lösung er zunächst in völligem Aufgehen der Juden in den anderen Völkern sah. Eindringliche Analyse der Stellung des Juden in der modernen Ges. ließen in ihm die Erkenntnis reifen, daß die Judenfrage eine nationale Frage und nur als solche zu lösen sei. Erster Ausdruck dieser Erkenntnis war das Drama „Das Neue Ghetto” (1. Fassung, November 1894). Unter dem Eindruck des Dreyfusprozesses in Paris standen erste Versuche zionist. Betätigung und die Niederschrift der Broschüre „Der Judenstaat” (dt. veröffentlicht Februar 1896, noch im selben Jahr in zahlreichen anderen Sprachen) mit dem Grundgedanken: Der Widerstand der nichtjüd. Umwelt (Antisemitismus) und der Lebenswille der jüd. Gesamtheit machen eine Lösung der Judenfrage auf dem Wege der Assimilation unmöglich. Die Judennot, die dauernd wächst, ist nur auf polit. Wege zu lösen, indem die Juden unter Zustimmung der Mächte ein eigenes Staatswesen gründen. Dort werden sie sich durch produktive Arbeit regenerieren. Der Aufbau ist systemat. und nach wirtschaftlichen und sozialen Gesichtspunkten durchzuführen, nachdem durch Verhandlungen die polit. Voraussetzungen geschaffen sind. Ein Bild des zu schaffenden Staatslebens in Palästina zeichnete H. 1902 in seinem Roman „Altneuland”. August 1897 wurde der 1. Zionistenkongreß als „Nationalversammlung” des jüd. Volkes einberufen, die Zionist. Weltorganisation gegründet, das „Basler Programm” („Der Zionismus erstrebt die Schaffung einer öffentlich-rechtlich gesicherten Heimstätte für das jüd. Volk in Palästina”) angenommen. 1898 erfolgte die Gründung der Zionist. Bank „Jewish Colonial Trust”, 1903 ihrer Tochterges. in Palästina „Anglo-Palestine Bank” (heute Jüd. Nationalbank „Bank Leumi Leisrael”, größte Bank des Staates Israel), 1901 des Jüd. Nationalfonds zur Erwerbung von Boden als Nationalbesitz des jüd. Volkes. 1896 unternahm H. eine Reise nach Konstantinopel, wurde 1898 durch Vermittlung des Großherzogs von Baden in Konstantinopel und Jerusalem durch K. Wilhelm II. empfangen, der dt. Protektorat in Aussicht stellte; eine Audienz bei Sultan Abdul Hamid II. (1901) blieb wegen ablehnender Haltung des Sultans und mangelnder Hilfe der jüd. Banken erfolglos. Verhandlungen (seit 1902) mit der engl. Regierung über jüd. autonome Siedlung auf der Sinai-Halbinsel scheiterten am Widerstand Ägyptens und Lord Cromers, Verhandlungen über Siedlung in Ostafrika auf Anregung des engl. Kolonialministers Joseph Chamberlain scheiterten an der Gegnerschaft der engl. Kolonisten und der zionist. Bewegung, die an Palästina als einzigem Siedlungsland festhielt. 1903/04 fanden Verhandlungen über Palästina mit der russ. Regierung (Plehwe), der italien. Regierung und dem Papst statt. Die Politik der zionist. Bewegung, die 1948 zur Gründung des Staates Israel führte, ist die Fortführung der Gedanken und Pläne H.s, des Begründers des polit. Zionismus.

W.: Tabarin, 1884; Seine Hoheit, 1885; Neues von der Venus, 1887; Wilddiebe, gem. mit H. Wittmann, 1888; Das Buch der Narrheit, 1888; Prinzen aus Genieland, 1892; Die Glosse, 1895; Das Palais Bourbon (Aufsatzsmlg.), 1895; Unser Käthchen, 1898; Gretel, 1899; Philosoph. Erzählungen, 1900; Feuilletons, 2 Bde., 1903; Salon in Lydien, 1904; etc. Gesammelte zionist. Werke, 5 Bde., 1934/35; Hebr. Gesamtausgabe seiner Schriften, 20 Bde., seit 1954 im Erscheinen begriffen.
L.: Wr.Ztg. vom 4. 7. 1904; N.Fr.Pr. vom 1. 7. 1905 und vom 30. 8. 1914; T. Nussenblatt, Zeitgenossen über H., 1929; S. Gorelik, H. in seinen Tagebüchern, 1929; M. Georg, Th. H. Sein Leben und sein Vermächtnis, 1932: A. Bein, Th. H., 1934: Z. F. Finkelstein, Schicksalsstunden eines Führers, 1934; J. Fraenkel, Th. H. Des Schöpfers erstes Wollen, 1934; J. Kastein, Th. H. Das Erlebnis des jüd. Menschen, in: Ring-Schriften, 1935, n. 1; Th. H. Jb., hrsg. von T. Nussenblatt, 1937; N. Broon Baker, Next Year in Jerusalem, The Story of Th. H., 1950; L. Lewisohn, Th. H. A Portrait for this Age, 1955; Brümmer; Giebisch–Pichler–Vancsa; Kindermann-Dietrich; Kosch; Nagl–Zeidler–Castle, s. Reg.; Jüd. Lex.; Wininger; Enc.Jud.; Jew. Enc.
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 2 (Lfg. 9, 1959), S. 299f.
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