Herzstark, Curt (1902–1988), Erfinder und Fabrikant

Herzstark Curt, Erfinder und Fabrikant. Geb. Wien, 26. 1. 1902; gest. Nendeln (FL), 27. 10. 1988; evang. AB. Sohn des Rechenmaschinenfabrikanten und Kinobesitzers Samuel Jakob Herzstark (geb. Wien, 10. 10. 1867; gest. Wien, 24. 10. 1937; mos., später aus dem Judentum ausgetreten), eines Cousins des Violinisten und Komponisten Fritz Kreisler, und seiner Frau Marie Amalie Herzstark, geb. Toman; ab 1946 mit Herta Herzstark, geb. Spindler, verheiratet. – H. besuchte ab 1912 das Realgymnasium, begann jedoch 1916 eine Lehre als Rechenmaschinenmechaniker im elterlichen Betrieb, dem Rechenmaschinenwerk Austria, Herzstark & Co., in Wien. 1918 trat er in die höhere Staatsgewerbeschule ein, wo er 1922 maturierte. Seine Volontärzeit verbrachte er in Deutschland, u. a. bei den Astra-Werken und den Wandererwerken in Chemnitz. 1924 in die elterliche Firma nach Wien zurückgekehrt, war er nachfolgend im Verkauf tätig, etwa als Gebietsvertreter für die Tschechoslowakei und Ungarn. 1928 erhielt er ein Patent für die automatische Spalten- und Summenberechnung mit einer Rechenmaschine. Dieser Herzstark-Multisummator, auch Multimator genannt, war H.s erste Erfindung und wurde auf der internationalen Büromaschinen-Ausstellung in Berlin der Weltöffentlichkeit vorgestellt. Ab 1934 entwickelte er einen völlig neuen, nahezu genialen Ansatz für eine kleine Taschenrechenmaschine, die später nach ihm benannte Curta. Ohne Rücksicht auf Technik und Realisierbarkeit interessierte ihn zunächst das Aussehen einer idealen Rechenmaschine. Diese sollte rund sein, ohne vorstehende Ecken, um sie in die Tasche stecken zu können. Damit dieser kleine Zylinder nicht aus der Hand rutschte, musste er oben mit einem Wulst versehen sein, den man zum Einstellen nutzen konnte. Anzeige und Kurbel sollten sich gleichfalls auf der Oberseite befinden, während seitlich am Zylinder Platz für die Einstellelemente blieb. Auf Basis dieses Ideals skizzierte H. die neue Maschine, deren Aussehen, Größe und Gewicht bereits feststanden. Mit Aluminium, Magnesium und neuen Leichtmetall-Legierungen hatte er sich schon zuvor befasst. Nach dem „Anschluss“ Österreichs 1938 musste H., der seit dem Tod seines Vaters den Betrieb leitete, jedoch hochpräzise Lehren für das Heer fertigen. Er wurde bald zu einem Experten auf diesem Gebiet, erwarb Patente und der Betrieb erhielt die Dringlichkeitsstufe I. 1943 wurde H. verhaftet, da er sich bei der Gestapo für zwei seiner Mitarbeiter eingesetzt hatte – für den als „Halbjuden“ Klassifizierten ein riskantes Unterfangen. Ihm wurden Unterstützung von Juden, Staatszersetzung sowie Beziehungen zu „arischen“ Frauen vorgeworfen. Über Linz, Prag und Eger wurde H. daraufhin in das Konzentrationslager Buchenwald deportiert und in das Gustloff-Werk, eine feinmechanische Fabrik, abkommandiert. Hier rettete H. vielen das Leben, indem er sie als Arbeitskräfte für die Fabrik anforderte. Während dieser Zeit erlaubte man ihm, abends und sonntags Pläne für seine neue kleine Rechenmaschine zu zeichnen. Diese sollte →Adolf Hitler als Siegergeschenk überreicht werden, wofür H. sogar die „Arisierung“ in Aussicht gestellt wurde. Nach der Befreiung des Lagers 1945 gelangte er über Umwege zurück nach Wien. Eine Weiterführung des Betriebs war nicht möglich, doch erhielt er schließlich ein Angebot des Fürstentums Liechtenstein, das nach geeigneten Fachleuten und Erfindungen suchte. So wurde H. 1946 technischer Direktor der Contina AG in Liechtenstein, und 1948 ging die erste Curta, die kleinste mechanische Rechenmaschine der Welt, in Serienfertigung. 1951 waren die Beziehungen zwischen Geldgebern, Verwaltung und Kaufleuten allerdings so zerrüttet, dass H. die Contina verließ. 1972 endete die Produktion der Curta. Insgesamt wurden von ihr etwa 150.000 Stück hergestellt. Sie sind heute weltweit bei Sammlern ein begehrtes Kultobjekt und Museumsstück. H. gelangte weder zu Ruhm noch zu Reichtum. Nur in einem kleinen Kreis von Wissenschaftlern, Technikern und Sammlern wird das Andenken an jenen Mann hochgehalten, dem die letzte große Erfindung auf dem Gebiet der mechanischen Rechenmaschinen gelang.

L.: C. Stoll, in: Spektrum der Wissenschaft, 2004, H. 4, S. 87ff. (mit Bildern); Ch. Holub, C. H. Kein Geschenk für den Führer. Schicksal eines begnadeten Erfinders, 2005 (mit Bild); Website C. H. und die Curta (mit Bildern, Zugriff 10. 4. 2017); Website Waldbauer Bürotechnik e. U. (Zugriff 10. 4. 2017).
(J. Meyer)   
Zuletzt aktualisiert: 27.11.2017  
PUBLIKATION: ÖBL Online-Edition, Lfg. 6 (27.11.2017)

Medien
Die Rechenmaschine Curta II
Die Rechenmaschine Curta II