Hohenwart, Karl Sigmund Gf. von (1824-1899), Ministerpräsident

Hohenwart Karl Sigmund Graf von, Staatsmann. * Wien, 12. 2. 1824; † Wien, 26. 4. 1899. H. stammte aus alter, adeliger Familie, welche 1767 in den Grafenstand erhoben worden war. Großneffe des Fürsterzbischofs von Wien, Sigmund Anton Gf. v. H. (s. d.), Großneffe weiteren Grades des Folgenden. Nach Absolv. des Theresianums trat H. in den Staatsdienst, wurde 1848 Abg. für die Frankfurter Nationalversammlung und war bis 1854 in Krain, 1855 im k. k. Min. des Inneren, seit 1856 in Fiume, 1862 Leiter der Statthaltereiabt. Trient und seit 1862 Landeshptm. von Krain, 1867 Landespräs. in Kärnten, 1868 Statthalter von O.Ö. Von K. Franz Joseph (s. d.) zur Abfassung einer Denkschrift über innenpolit. Fragen beauftragt, nahm H. an den in Wien stattfindenden Verhandlungen über das Böhm. Staatsrecht teil und wurde am 7. 2. 1871 österr. Ministerpräs. In Kronländern mit slaw., italien, und dt. sprechender Bevölkerung seine Erfahrungen sammelnd, hatte er den Entschluß gefaßt, die österr. Landtage zu größerer polit. Bedeutung zu erheben. Dem entsprachen sein Antrag, den Landtagen Gesetzesinitiative einzuräumen (April 1871), sein Versuch, durch ein Statut für Galizien ein Muster für die Autonomie auch anderer Kronländer aufzustellen (Mai 1871) und sein Bestreben, durch eine neue Landtagswahlordnung für Böhmen, durch ein Gesetz zum Schutze der Nationalitäten und durch die sogenannten „Fundamentalartikel“ den Ländern der Böhm. Krone – analog der Stellung Ungarns – größere Selbständigkeit innerhalb der Monarchie zu gewähren. Seine Politik, die als der bedeutendste Versuch gelten kann, über den österr.-ung. Dualismus hinaus zu einer föderalist. Lösung des Gesamtstaatsproblems zu gelangen, scheiterte u.a. an den zu hochgespannten Wünschen des Gf. H. v. Clam-Martinic (s. d.), an den mit unzulänglicher Sachkenntnis geführten Verhandlungen A. Schäffles, wohl auch am Widerstande Andrássys (s. d.) und der moral. Wirkung einer kroat. Erhebung vom 8. 10. 1871. Nach Niederlegung seines Amtes (30. 10. 1871) trat H. zunächst in den Hintergrund, um 1873 als führender konservativer Staatsmann in den Reichsrat einzuziehen und später (1879–91) als Führer der geeinigten „Rechten“ (H.-Klub) die Reichsratsmehrheit und die Stütze der Regierung Taaffe zu bilden. Auch als Parlamentarier versuchte H. mit Hilfe gleichgesinnter Abg. unter konservativen Deutschen, tschech., böhm. und mähr. Feudalen, aber auch Slowenen, Kroaten und Rumänen die Ideen der Länderautonomie und des Föderalismus hochzuhalten. 1885 Präs. des Obersten Rechnungshofes. Nach dem Sturze Taaffes (1893), den er nicht verhindern konnte, und nach dem Abbröckeln wesentlicher Teile seiner als „Eiserner Ring“ bezeichneten Reichsratsgruppe (1895) zog sich H. durch Niederlegung seines Mandates aus der Politik zurück (1897). Kurze Zeit nachher wurde er lebenslängliches Mitgl. des österr. Herrenhauses. H. war als Staatsmann eine der eigenartigsten, interessantesten und am meisten verkannten Persönlichkeiten im polit. Leben der Monarchie.

L.: N.Fr.Pr. und Wr.Ztg. (Abendpost) vom 26. 4., R.P. vom 28. 4. 1899; Österr. Rundschau 33, 1912, S. 257; Biogr. Jb. 1900; Wurzbach; E. Ch. Büchsel, Die Fundamentalartikel des Min. H.-Schäffle von 1871, 1941; Czedik, Bd. 1, 1917, S. 179 ff., 548ff.; H. Hantsch, Die Geschichte Österr., Bd. 2, 2. Aufl. 1953; J. A. v. Helfert, Die böhm. Frage in ihrer jüngsten Phase, 1873; A. J. May, The Hapsburg Monarchy 1867–1914, 1951; E. Schenk-Sudhof, K. Gf. H., Diss. Wien, 1952; Uhlirz, s. Reg.; H. Hantsch, Die Nationalitätenfrage im alten Österr., 1953, S. 58, S. 120 u.ö.; R. Charmatz, Österr. innere Geschichte 1848–1907, 1909; F. Funder, Vom Gestern ins Heute, 1952.
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 2 (Lfg. 10, 1959), S. 396
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