Holzmeister, Clemens (1886–1983), Architekt, Bühnenbildner, Maler und Graphiker

Holzmeister Clemens, Architekt, Bühnenbildner, Maler und Graphiker. Geb. Fulpmes (Tirol), 27. 3. 1886; gest. Hallein (Salzburg), 12. 6. 1983 (begraben: Salzburg); röm.-kath. Sohn des Privatiers Johann Holzmeister (gest. 1899), der 1876 aus Brasilien in seine Heimat zurückgekehrt war, und von Maria Holzmeister, geb. Kirchstätter, Vater der Schauspielerin Judith Holzmeister (geb. Innsbruck, Tirol, 14. 2. 1920; gest. Baden, Niederösterreich, 23. 6. 2008); ab 1914 mit Judith Bridarolli verheiratet, nach der Scheidung ab 1939 mit der aus München stammenden Gunda Lexer. – Nach Absolvierung der Oberrealschule in Innsbruck studierte H. Architektur an der Technischen Hochschule in Wien (1906–13). Als brasilianischer Staatsbürger musste er keinen Militärdienst leisten und wirkte 1913–19 als Assistent an der Technischen Hochschule Wien bei →Max Freiherr von Ferstel; 1919 Dr. techn. Eine große Weichenstellung war die frühe Verankerung im katholischen Verbindungswesen (1902 in der Mittelschulverbindung Cimbria zu Innsbruck, 1906 in der katholischen akademischen Verbindung Norica im Cartellverband zu Wien), wodurch er Persönlichkeiten aus Politik, Wissenschaft und Kunst kennenlernte und zum Verein für Heimatkunde, Heimatschutz und deutsches Kulturleben in Österreich, Deutsche Heimat, Kontakt aufnahm. Letzterer strebte im Bauwesen nach einer Weiterführung der einfachen Baugedanken der vorindustriellen Zeit und nach einer Symbiose von Alt und Neu. H., der eine große zeichnerische Begabung aufwies, wurde Leiter von dessen Bauberatungsstelle und erhielt noch 1912 seinen ersten Entwurfs- und Bauauftrag (Volksschule Marbach an der Donau, 1914). 1919 übersiedelte er nach Innsbruck, wurde österreichischer Staatsbürger und fungierte 1920–23 als Lehrer an der Bauabteilung der Staatsgewerbeschule Innsbruck. Von →Sigismund Waitz bekam er seinen ersten Auftrag für einen Kirchenbau, die Kirche von Batschuns (1921), die schon viele Qualitäten seiner späteren Sakralbauten aufwies. 1923–27 betrieb H. in Bozen ein gemeinsames Atelier mit seinem Schulkameraden, dem späteren Architekten und Schauspieler Luis Trenker; ihr bedeutendstes Werk war der Ansitz Pretz (1926/27, Bozen). Zu H.s größtem Erfolg wurde der Bau der Feuerbestattungsanlage auf dem Wiener Zentralfriedhof (1921), die rasch zu einer Sehenswürdigkeit des sozialdemokratischen Wien wurde. Die Gegnerschaft der Christlichsozialen und ihr Versuch, den Betrieb der Anlage zu unterbinden, führte zu hoher Aufmerksamkeit und dazu, dass H. sehr bald in weiten Kreisen bekannt wurde. 1924 erhielt H. eine Berufung an die Meisterschule für Architektur an der Akademie der bildenden Künste in Wien, 1936–38 Leiter der Meisterklasse für szenische Kunst; Rektor 1931–33 und 1935–37, dazwischen Prorektor. →Franz Rehrl beauftragte H. im März 1926 mit einer raschen Umgestaltung der ehemaligen fürsterzbischöflichen Sommerreitschule, der späteren Felsenreitschule. Er stand in enger Beziehung zu →Max Reinhardt, →Alfred Roller, →Oskar Strnad u. a. Dies war auch der Beginn seines Wirkens als Bühnenbildner (Die Fauststadt, 1932/33; Umbau des kleinen Festspielhauses, 1936–38). Weiters arbeitete er mit Jakob Adlhart, →Anton Faistauer, →Anton Kolig u. a. zusammen. 1927/28 übernahm er eine zusätzliche Professur an der Kunstakademie in Düsseldorf und machte sich schnell mit den liturgischen Reformbewegungen im Kirchenbau vertraut (Pfarrkirchen Maria Grün, Hamburg-Blankenese, 1929/30; Pfarrkirche St. Agatha, Merchingen im Saarland, 1928/30). 1927 erreichte H. eine Einladung nach Ankara, wo er bis 1935 13 Gebäude, hauptsächlich für den türkischen Staat, errichtete, die das Stadtbild prägten. 1929 bekam er den Auftrag für das Schlageter-Denkmal (Düsseldorf), bestehend aus einer architektonisch gefassten Mulde in Arenaform, aus der als einziges Symbol ein 27 Meter hohes Stahlkreuz emporragte, einem tiefliegenden Gruftraum und mehreren Straßenringen, die zehntausenden Kundgebungsteilnehmern Platz boten (Einweihung 1931). Durch seine Leidenschaft zum Theater und seinen Hang zum Monumentalen leistete H. einen wesentlichen Beitrag zur nationalen Inszenierungskunst der damaligen Zeit. 1932 wurde er mit der künstlerischen Gestaltung des Allgemeinen Deutschen Katholikentags in Wien 1933 beauftragt (in der Folge auch zu dessen Präsident gewählt), wobei er diesen als Gesamtkunstwerk konzipierte. Im Zuge der politischen Veränderungen verlor H. Mitte 1933 mit sofortiger Wirkung sein Lehramt an der Düsseldorfer Kunstakademie. Die Erfolge seiner Schöpfungen und sein Auftreten als Präsident des Katholikentags mehrten jedoch sein Ansehen in Österreich, tagelang stand er neben dem päpstlichen Legaten und Bundeskanzler →Engelbert Dollfuß im Blickpunkt der Öffentlichkeit. H. nahm nun zahlreiche öffentliche Ämter ein: Präsident der Zentralvereinigung der Architekten Österreichs (1932–36), Präsident des Neuen Österreichischen Werkbunds (ab 1934), Ehrenmitglied der Deutschen Heimat (1936), Leiter des Arbeitskreises bildende Kunst im Kulturreferat der Vaterländischen Front (1934–38), Juni–Oktober 1934 Rat in der Bürgerschaft der Stadt Wien, Mitglied im Staatsrat (1934–38). Der überragende Einfluss H.s lag in seinem großen Bekannten- und Freundeskreis mit Persönlichkeiten aller Lager begründet. Er wurde eine gesellschaftliche Institution, umweht von der Aura eines begnadeten Künstlers. Die persönliche Beziehung H.s zum türkischen Staatspräsidenten Mustafa Kemal Atatürk verstärkte sich durch den Auftrag für dessen privates Palais 1931/32. 1937 beteiligte er sich an der internationalen Ausschreibung für den Palast der Großen Nationalversammlung der Türkei. H. erzielte den 1. Platz und erhielt 1938 den Bauauftrag. Während des nationalsozialistischen Regimes wurde er als Mandatar des Ständestaats zunächst an der Akademie der bildenden Künste vom Dienst enthoben und mit der Hälfte des Pensionsanspruchs in den Ruhestand versetzt. Seine Absicht, nach Wien zurückzukehren, ließ er, nach einer Warnung aus Wien, fallen. Das Ansuchen H.s vom Juni 1939, seinen Wohnsitz von Wien nach Istanbul verlegen zu dürfen (Unabkömmlichkeit wegen der großen Bauaufträge), wurde vom Reichserziehungsministerium in Berlin genehmigt. So verbrachte er die Jahre 1938–45 in Istanbul, danach bis 1954 in Ankara. Von großer Bedeutung war die Ernennung Franz von Papens zum deutschen Botschafter in Ankara 1939. Dieser unterstützte H. in jeder Hinsicht und war maßgeblich an der im Frühjahr 1942 erfolgten Aufhebung der Pensionskürzung seines Freundes beteiligt. H. führte in Istanbul ein offenes Haus, das zu einem legendären Treffpunkt für Auslandsdeutsche, Emigranten und Besucher aus anderen Ländern wurde. So verkehrte dort auch sein Mitarbeiter, der Architekt →Herbert Eichholzer. Die Grundsteinlegung für das Parlament in Ankara erfolgte im Herbst 1939, jedoch kamen die Bauarbeiten während des 2. Weltkriegs nur langsam voran, da die Türkei trotz ihrer Neutralität mit schweren wirtschaftlichen Problemen und Einschränkungen zu kämpfen hatte. Daneben lehrte H. 1940–50/51 Architektur an der Technischen Hochschule in Istanbul. Nach dem Tod seines wichtigsten Mitarbeiters Arthur Waldapfel musste er von Istanbul nach Ankara übersiedeln, da die Baudurchführung in einer sich verändernden Türkei immer schwieriger wurde (die monumentale Anlage konnte erst 1963 fertiggestellt werden). Im Juni 1946 beschloss das Kollegium der Akademie der bildenden Künste in Wien H.s Wiederberufung. Zunächst ließ er sich vertreten, später übernahm er geblockt Lehrveranstaltungen; 1949–61 Leiter einer Meisterschule für Architektur, 1958–61 des Instituts für sakrale Kunst. Trotz rastloser Bemühungen gelang es H. nicht, größere Bauaufträge zu bekommen, die er als Grundlage für den Aufbau einer neuen Existenz in Österreich sah, und verschob daher seine Rückkehr. Das Schaffen als Bühnenbildner konnte er ab 1950 wieder aufnehmen. Die Salzburger Festspiele hatten in Landeshauptmann Josef Klaus 1953 einen neuen Förderer gefunden und bald wurde der Bau eines zweiten Festspielhauses geplant. H. legte diesbezügliche Pläne und eine Denkschrift vor und kehrte Ende 1954 nach Österreich zurück. Die Eröffnung des Großen Festspielhauses erfolgte im Juli 1960. Wie sehr H. Salzburg verbunden war, zeigte 1962 seine Übersiedlung ins Nonntal, wo er bis zu seinem Tod lebte. 1955–57 fungierte er wieder als Rektor an der Akademie der bildenden Künste Wien, 1957–60 Prorektor, 1955–75 Präsident des Auslandsösterreicher-Werks, 1954–67 Präsident des Österreichischen Kunstsenats. H.s Verzeichnis an Bauten, Projekten, Wettbewerben und Bühnenbildern umfasst rund 680 Werke. Seine Arbeiten waren nicht avantgardistisch, zeichneten sich aber durch echtes baumeisterliches Können aus. H. wurde 1961 Ehrenmitglied der Akademie der bildenden Künste, Wien, 1941 korrespondierendes Mitglied der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, 1952 Dr. h. c. der Technischen Hochschule Graz, 1965 Dr. h. c. der Technischen Hochschule Wien. 1957 erhielt er das Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst, 1958 das Große Verdienstkreuz mit Stern der Bundesrepublik Deutschland und 1981 das Große Goldene Ehrenzeichen mit dem Stern der Republik Österreich.

Weitere W. (s. auch Posch; Architektenlexikon; W. Greisenegger u. a., C. H. Architekt in der Zeitenwende 2. Sakralbau, Profanbau, Theater, 1978): Pfarrkirche Mariahilf, 1925–31 (Bregenz); Seipel-Dollfuß-Gedächtniskirche, 1933–34 (Wien 15); Pfarrkirche Allerheiligen, 1963–65 (Innsbruck); Pfarrkirche zur Heiligen Familie, 1965–66 (Wien 10). – Publ.: Aus der Bauberatungsstelle, in: Deutsche Heimat 23/24, 1911; Das Cistercienserstift Stams in Tirol mit besonderer Berücksichtigung seines ursprünglichen Zustandes, techn. Diss. Wien, 1919; Bauten, Entwürfe und Handzeichnungen, 1937; Kirchenbau – ewig neu. Baugedanken und Beispiele, 1951; Bilder aus Anatolien. Höhlen und Hane in Kappadokien, 1955; Architekt in der Zeitenwende, 1976 (mit W.).
L.: Salzburger Nachrichten, 14. 6. 1983; A. Roessler, in: Der getreue Eckart, 1931/32, S. 137ff.; M. Knofler, C. H., Diss. Innsbruck, 1976; W. Bandion, in: 100 Jahre Norica, 1983, S. 4ff.; C. H., ed. G. Rigele – G. Loewit, Innsbruck 2000 (Kat.); Salzburger Kulturlexikon, ed. A. Haslinger – P. Mittermayr, 2001; B. Humpeler, C. H. und die Türkei, 2008; W. Posch, C. H., 2010 (mit Bild und W.); Gibt es eine Holzmeister-Schule?, ed. Ch. Hölz, 2015; Architektenlexikon Wien 1770–1945 (mit Bild und W., online, Zugriff 27. 3. 2018); Archiv für Baukunst. Universität Innsbruck (mit Bild, Zugriff 27. 3. 2018); ABK, TU, beide Wien; Standesamt Hallein, Salzburg; Pfarre Fulpmes, Pfarre Innsbruck-Wilten, beide Tirol.
(W. Posch)   
Zuletzt aktualisiert: 14.12.2018  
PUBLIKATION: ÖBL Online-Edition, Lfg. 7 (14.12.2018)