Kadmon, Stella (1902–1989), Bühnenleiterin und Schauspielerin

Kadmon Stella, Bühnenleiterin und Schauspielerin. Geb. Wien, 16. 7. 1902; gest. ebd., 12. 10. 1989; mos. Tochter des aus einer Belgrader sephardischen Familie stammenden Beamten Moritz Kadmon (geb. 18. 11. 1871; mos.), der 1942 in das KZ Theresienstadt, von dort 1944 nach Auschwitz deportiert und ermordet wurde, und der Konzertpianistin und Musikpädagogin Malvine Kadmon, geb. Nelken (1878–1953), Schwester von Ing. Richard Kadmon (1900–1971), Ringer beim jüdischen Sportverein Hakoah in Wien, der in der Emigration in Palästina eine Ringerschule betrieb und später Unternehmer in Wien war, sowie des Rechtsanwalts Otto Kadmon (1907–1995), der sich in den 1930er-Jahren in Wien für die kommunistische „Rote Hilfe“ engagierte und über die Schweiz und Frankreich in die USA flüchtete. – Nach Absolvierung der Akademie für Musik und darstellende Kunst in Wien erhielt K. 1922 ein Engagement als Schauspielerin am Linzer Landestheater und feierte erste Erfolge als Lulu in Wedekinds „Die Büchse der Pandora“, trat dann in Ostrava auf sowie zuletzt mit einem Soloprogramm an verschiedenen Kleinkunstbühnen in Deutschland und Wien. Der Wunsch, sesshaft zu werden und ein eigenes Theater zu führen, veranlasste sie, gemeinsam mit einigen engagementlosen Künstlern nach dem Vorbild von Werner Fincks Berliner „Katakombe“ eine Kabarettbühne in Wien zu gründen. Ohne finanziellen Hintergrund und Erfahrungen als Theaterleiterin eröffnete sie im November 1931 im Kellerlokal des Café Prückel in Wien 1 den „Lieben Augustin“, ein für Wien richtungweisendes Theaterexperiment, das nach Anfangsschwierigkeiten bald so erfolgreich war, dass ab dem Sommer 1935 auch Freiluftaufführungen („Der liebe Augustin im Grünen“) auf der Hohen Warte in Wien 19 geboten werden konnten. K. gelang es, einerseits begabte Autoren (etwa Peter Hammerschlag und Gerhart Hermann Mostar), Komponisten (Franz Eugen Klein) oder Graphiker (Alex Sekely) um sich zu scharen, anderseits war der „Augustin“ Sprungbrett für viele später bekannte Schauspieler, wie Leon Askin, Gusti Wolf, die Pantomimin Cilli Wang etc. Aufgrund seiner antinationalsozialistischen Ausrichtung wurde das Theater im März 1938 geschlossen; K. flüchtete über Jugoslawien und Griechenland nach Palästina. In Tel Aviv eröffnete sie 1940 wiederum eine Kabarettbühne, den kurzlebigen hebräischsprachigen „Papillon“, trat mit Soloprogrammen in ganz Palästina auf und veranstaltete ab September 1943 Chanson- und szenische Leseabende in Tel Aviv. Zudem engagierte sie sich im Free Austrian Movement. Nach ihrer Remigration im April 1947 konnte K. erst nach anfänglichen Problemen ihre Theaterkonzession zurückerhalten und die Direktion des „Lieben Augustin“ im Herbst desselben Jahres wieder übernehmen. Dem geänderten Zeitgeist gemäß wandelte sie ihre Bühne in ein avantgardistisches Kellertheater um, das ab Herbst 1948 mit dem programmatischen Namen „Theater der Courage“ wiederum beispielgebend für Wiens Theaterszene wurde. Der Spielplan war sowohl von internationalen Erstaufführungen als auch von der Suche nach neuen österreichischen Autoren bestimmt. Wiederum war K.s Bühne Ausgangspunkt für viele Künstlerkarrieren. K. führte das Theater, das 1960 eine neue Spielstätte am Franz-Josefs-Kai in Wien 1 bezog, bis zur Schließung 1981. Ihr Versuch, es ab 1970 im Kollektiv mit den Schauspielern und Regisseuren Dieter Berner, Werner Prinz und Wolfgang Quetes zu leiten, scheiterte allerdings bereits im übernächsten Jahr. K. erhielt neben Auszeichnungen der Stadt Wien 1982 den Professorentitel verliehen.

L.: Czeike (m. B.); Hdb. der Emigration 2; M. Joukhadar, „Theater der Courage“, grund- und integrativwiss. Diss. Wien, 1981; H. Lederer, Bevor alles verweht ..., 1986, s. Reg.; S. Bolbecher, Vom „Lieben Augustin“ zum „Theater der Courage“, in: Zwischenwelt 2, 1991, S. 99–114; H. Mandl, Cabaret und Courage, 1993 (m. B.); R. Wagner, Heimat bist du großer Töchter, 1996, S. 193–197 (m. B.); B. Peter, Gewitzt. S. K.s Kabarett „Der Liebe Augustin“, grund- und integrativwiss. DA Wien, 1996; dies., Geschichte schreiben und Geschichtsschreibung. S. K. – eine Wiener Legende, in: Verspielte Zeit, ed. H. Haider-Pregler – B. Reiterer, 1997, S. 247–255; dies., S. K.s Courage. Stationen einer Theaterdirektorin, in: Zeit der Befreiung. Wiener Theater nach 1945, ed. H. Haider-Pregler – P. Roessler, 1998, S. 226–244; S. Perthold, Theaterfrauen in Österreich, in: Frauen im europäischen Theater heute, ed. K. Uecker, 1998, S. 155–161; H. Kratzer, Die großen Österreicherinnen, 2001, S. 148f.; E. Lebensaft, S. K. and the Development of the Viennese Theatre within the 20th century, 2003 (online); I. Reisner, Kabarett als Werkstatt des Theaters, 2004, passim; Datenbank biografiA (m. B. u. L., nur online, Zugriff 28. 6. 2012).
(E. Lebensaft)   
Zuletzt aktualisiert: 15.3.2013  
PUBLIKATION: ÖBL Online-Edition, Lfg. 2 (15.03.2013)