Kamitz, Reinhard (1907–1993), Ökonom und Politiker

Kamitz Reinhard, Ökonom und Politiker. Geb. Halbstadt, Böhmen (Meziměstí, CZ), 18. 6. 1907; gest. Wien, 9. 8. 1993. Sohn des Juristen Dr. Wenzel Kamitz (1870–1954), Präsident des Verwaltungsgerichtshofs 1931–34. – K. kam mit seinen Eltern 1910 nach Wien, maturierte 1925 am dortigen Technologischen Gewerbemuseum, studierte anschließend an der Hochschule für Welthandel in Wien und promovierte, nach kurzen Auslandsaufenthalten, 1933 zum Dr. der Handelswissenschaften. Im Dezember 1938 erwarb er die Venia docendi für Volkswirtschaftslehre an dieser Hochschule, wurde im November 1944 außerplanmäßiger Professor und nach Ende des „Dritten Reichs“ des Dienstes enthoben. Seine hauptberufliche Laufbahn hatte er 1934 am Österreichischen Institut für Konjunkturforschung, dessen Leitung er 1936 übernahm, begonnen. Nach der Eingliederung des Instituts in das Berliner Institut für Wirtschaftsforschung 1938 wechselte K. 1939, vorerst als Konzeptsbeamter, in die Wiener Handelskammer, avancierte 1940 zum Leiter der volkswirtschaftlichen Abteilung und übernahm im März 1944 die Geschäftsführung der bereits 1943 in Gauwirtschaftskammer umbenannten Interessenvertretung. Der Zusammenbruch des „Dritten Reichs“ bedeutete für K., der vermutlich 1940 der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei beigetreten war, auch den Verlust seiner führenden Position in der Kammer. Er begann dort wieder als Konzeptsbeamter bzw. Referent für volkswirtschaftliche Fragen. Im Jänner 1947 wechselte er in die Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft, wo er, da er als „Minderbelasteter“ unter die große Amnestie des Mai 1948 fiel, bereits im Juni desselben Jahres zum Leiter der wirtschaftspolitischen Abteilung und 1950 zum stellvertretenden Generalsekretär bestellt wurde. Den Höhepunkt seiner Karriere erreichte der parteilose K. durch die Berufung zum Bundesminister für Finanzen im Februar 1952. Unterstützt von Bundeskanzler Julius Raab, setzte er einen wirtschaftspolitischen Kurswechsel, den später so benannten Raab-Kamitz-Kurs, durch. Die weitgehend regulierte Nachkriegswirtschaft wurde schrittweise durch ein gemischtwirtschaftliches System ersetzt, das marktwirtschaftliche Elemente und staatliche Steuerung verband, abgestimmt auf die spezifisch österreichischen Gegebenheiten und unter Ausnutzung der äußerst günstigen weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen. 1960 erfolgte die Berufung K.’ zum Präsidenten der Oesterreichischen Nationalbank. Gleichzeitig nahm er als Honorarprofessor für Volkswirtschaftslehre, Volkswirtschaftspolitik und Finanzwissenschaft seine akademische Laufbahn an der Universität Wien wieder auf. Im Herbst 1966 musste er sich allerdings krankheitsbedingt ins Privatleben zurückziehen und 1968 auch sein Amt als Nationalbankpräsident abgeben. K. verfasste im Lauf seiner Karriere zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten, hielt viele Vorträge im In- und Ausland und übernahm leitende Funktionen u. a. als Präsident des Ford-Instituts bzw. des Instituts für Höhere Studien und des Akademikerbunds. Er war ferner Vorstandsmitglied des Wirtschaftsforschungsinstituts, gründete 1957 die Investitionskredit-AG und fungierte auf internationaler Ebene als Präsident der International Freedom Academy in Zürich. K. erhielt zahlreiche Auszeichnungen.

W. (s. auch F. Diwok – H. Koller): Die österreichische Geld- und Währungspolitik von 1848–1948, in: Hundert Jahre österreichische Wirtschaftsentwicklung, ed. H. Mayer, 1949; etc.
L.: F. Diwok – H. Koller, R. K., 1977 (m. B. u. W.); H. Hemetsberger-Koller, in: Die Politiker, ed. H. Dachs u. a., 1995, S. 257–264 (m. B.); W. Fritz, Für Kaiser und Republik, 2003, S. 229–233; H. Seidel, Österreichs Wirtschaft und Wirtschaftspolitik nach dem Zweiten Weltkrieg, 2005, S. 67, 100, 495–499; O. Rathkolb, Die paradoxe Republik, 2005, s. Reg.
(H. Hemetsberger-Koller)   
Zuletzt aktualisiert: 15.3.2013  
PUBLIKATION: ÖBL Online-Edition, Lfg. 2 (15.03.2013)