Kraus, Alois (1840–1926), Tiergartendirektor und Marinesoldat

Kraus Alois, Tiergartendirektor und Marinesoldat. Geb. Wien, 22. 5. 1840; gest. ebd., 6. 4. 1926 (ehrenhalber gewidmetes Grab: Friedhof Hietzing). K. entstammte einer Familie von Watteerzeugern, die Ende des 18. Jahrhunderts von Karbitz in die Nähe Wiens übersiedelt war; uneheliches Kind von Eleonora Kraus; ab 1872 mit Adelheid Kraus, geb. Nothhacksberger, verheiratet; vier Kinder, darunter Obersenatsrat Dr. Robert Kraus, Leiter der Kulturabteilung der Stadt Wien (geb. 27. 1. 1890; gest. 1966). – Nach dem Besuch einer Privatschule und der Pfarrhauptschule in Wien 2 trat K. 1854 als Schiffsjunge in die österreichische Kriegsmarine ein. Er soll zu dieser Zeit bereits Vollwaise gewesen sein und wird in den Marineunterlagen als Buchbinderlehrling bezeichnet. K. wurde zunächst an Bord der Fregatte „Juno“ ausgebildet und wechselte 1855 auf die Fregatte „Novara“. Dort wurde dem 15-Jährigen die Betreuung von Tieren übertragen, die Erzherzog →Ferdinand Maximilian, damals Oberbefehlshaber der Kriegsmarine, aus Ägypten mitgebracht hatte. 1857–59 nahm K. an der Weltumsegelung der „Novara“ teil und unterstützte dabei v. a. →Georg von Frauenfeld und Johann Zelebor als Sammler und Präparator. Anschließend bildete er sich in der Präparationsabteilung des Naturhistorischen Hofmuseums weiter, ehe er ab Herbst 1859 Erzherzog Ferdinand Maximilian auf dessen Südamerika-Reise mit dem Schraubendampfer „Kaiserin Elisabeth“ (bis März 1860) begleitete. Danach betreute er die Tierhaltung des Erzherzogs im Garten der Villa Lazarovich in Triest. Nach deren Auflösung kehrte K. 1861 zur Kriegsmarine zurück. Er wechselte zur Marine-Artillerie und diente in der Adria auf dem Raddampfer „Andreas Hofer“, auf dem Kanonenboot „Narenta“, in der Gardasee-Flottille auf den Raddampfern „Franz Joseph“ und „Hess“ sowie auf dem Kanonenboot „Speiteufel“. 1864 wurde er Artillerie-Detail-Unteroffizier, 1866 kam er als Stückquartiermeister auf die Fregatte „Schwarzenberg“, auf der er auch die Seeschlacht bei Lissa mitmachte (Verleihung der Silbernen Tapferkeitsmedaille 2. Klasse). Im Frühjahr 1867 wurde K. als II. Artillerie-Unteroffizier auf die Fregatte „Adria“ versetzt und ein Jahr später zur Teilnahme an der zweiten österreichischen Weltumsegelung mit der Fregatte „Donau“ eingeladen (1868–71). Nach seiner Rückkehr nahm K. Abschied von der Kriegsmarine und trat 1871 als Unter-Aufseher der Menagerie Schönbrunn in den Hofdienst ein; 1873 Aufseher, 1875 Unter-Inspektor. K. unternahm bis etwa 1900 zahlreiche Reisen, um Tiere abzuholen oder zu erwerben, v. a. nach Triest und in Zoos im deutschsprachigen Raum. Wegen seiner Erfahrungen auf See und in fremden Erdteilen wurde er 1875 und 1879 nach Ägypten sowie 1878 nach Ägypten und Südostasien geschickt. 1879 folgte K. dem Menagerie-Leiter Alexander Schön nach und wurde zunächst provisorisch, 1884 unter Ernennung zum Menagerie-Inspektor definitiv mit der Leitung des Tiergartens Schönbrunn betraut. Seine wichtigsten Verdienste lagen in einer umfassenden Modernisierung der veralteten Anlage unter gleichzeitiger Bewahrung des historischen Ambientes sowie in zahlreichen Verbesserungen für Mitarbeiter und Besucher. K. erreichte trotz eines grundsätzlichen Sparkurses des Obersthofmeisteramts innerhalb von etwa 30 Jahren den Um- und Neubau der meisten Tierhäuser (u. a. erste Aquarienabteilung 1911), die Abtragung von fast vier Meter hohen Mauern im historischen Kern, Verbesserungen der Infrastruktur wie Nutz- und Trinkwasserleitungen sowie in vielen Fällen auch eine für damalige Verhältnisse artgerechte Einrichtung der Gehege. Ab den 1890er-Jahren wurde der Tiergarten erweitert und besser für Besucher erschlossen. 1906 wurden unter K. erstmals die Zutrittsmöglichkeiten in die Tierhäuser sowie das künstlerische Arbeiten im Tiergarten über eine allgemeine Besuchsordnung geregelt. Unter K. stieg auch der Tierbestand von etwa 800 im Jahr 1880 auf nahezu 3.500 Mitte 1914 und die Anzahl der Mitarbeiter um mehr als das Doppelte auf über 50 an. Bereits früh von K. formulierte Großprojekte wie die Einbeziehung des gesamten ehemaligen Kleinen Fasangartens, die Elektrifizierung der Tierhäuser oder die Nutzung eines Gewächshauses im botanischen Garten durch den Tiergarten (seit 2009 die Tiergarten ORANG.erie) konnten wegen der hohen Kosten nicht umgesetzt werden; ihre Realisierung blieb späteren Direktoren vorbehalten. 1919 trat er in den Ruhestand. K. war ab den 1880er-Jahren Mitglied des Ornithologischen Vereins in Wien und der Zoologisch-Botanischen Gesellschaft in Wien (1888–97) sowie ab 1888 Ehrenmitglied der Koninklijk Zoologisch Genootschap Natura Artis Magistra in Amsterdam. Er erhielt u. a. das Ritterkreuz des Franz Joseph-Ordens (1898) sowie den osmanischen Medschidje-Orden 5. Klasse, war Ritter des Ordine della Corona d’Italia und des Vasaordens; 1917 Regierungsrat.

W.: s. Heindl, 2006.
L.: NWT, WZ, 9. 4. 1926; Amtsblatt der Stadt Wien, 26. 5. 1965; J. Brachetka, Schönbrunn und sein Tiergarten, 1947, passim; H. Kraus, in: Tiergarten Schönbrunn – Geschichte und Aufgabe, ed. W. Fiedler, 1976, S. 89ff.; G. Heindl, in: Menagerie des Kaisers – Zoo der Wiener, ed. M. G. Ash – L. Dittrich, 2002, S. 117ff.; ders., in: Von Kaiser bis Känguru, ed. H. Pechlaner u. a., 2005, S. 19ff.; ders., in: Start in die Moderne. Die kaiserliche Menagerie unter A. K., 2006 (mit Bild und W.); HHStA, KA, Tiergarten Schönbrunn, alle Wien.
(G. Heindl)   
Zuletzt aktualisiert: 30.11.2015  
PUBLIKATION: ÖBL Online-Edition, Lfg. 4 (30.11.2015)
1. AUFLAGE: ÖBL 1815-1950, Bd. 4 (Lfg. 18, 1968), S. 222
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