Lindenthal, Gustav (1850-1935), Techniker

Lindenthal Gustav, Techniker. * Brünn, 21. 5. 1850; † New Jersey (USA), 31. 7. 1935. Von der väterlichen Tischlerwerkstatt weg wandte sich L. dem techn. Stud. zu, das er in Brünn begann und an der Techn. Hochschule in Wien fortsetzte. Als Bauleiter einer Seilbahn auf den Leopoldsberg b. Wien, beim Bau der schweizer. Eisenbahnlinie Seuzach–Andelfingen sowie auf ausgedehnten Studienreisen durch Deutschland und Frankreich erweiterte L. sein allg. und fachliches Wissen, ehe er 1874 nach Nordamerika auswanderte, wo er zunächst als Maurer, später als techn. Angestellter beim Bau der Weltausstellungsbauten in Philadelphia tätig war. 1877 ließ sich L. als freischaffender Ing. in Pittsburgh nieder, wo bald danach schon sein erstes größeres Brückenprojekt, eine stählerne Fachwerkbogenbrücke über den Monongahela-Fluß ausgeführt wurde. 1890 übersiedelte er nach New York, trat in den öff. Dienst und brachte es in kurzer Zeit bis zum Leiter der städt. Brückenbauabt. Während seiner Amtsführung wurden u. a. die Brooklyn-Brücke verstärkt, die Williamsburg-Brücke fertiggestellt und zahlreiche andere beachtliche Verkehrsbauwerke New Yorks in Angriff genommen. L.s Tätigkeit als planender, ausführender und beratender Ing. einiger der größten amerikan. Eisenbahnges. trug wesentlich dazu bei, daß die in Europa entwickelten Berechnungsverfahren für stat. unbestimmte Tragwerke auch jenseits des Atlantiks rasch Verbreitung und Anwendung gefunden haben. Da man bis dahin zur Verbindung der stählernen Brückenkonstruktionen in Amerika fast ausschließlich Schrauben verwendet hatte, stellte die von L. als genietete Fachwerkbrücke über zwei Felder von je 236 m Stützweite reichende Ohio-Brücke bei Sciotoville eine techn. Pionierleistung dar, welche zu ihrer Zeit lediglich noch von L.s bedeutendstem Brückenbauwerk, der 1917 eröffneten Hellgate-Brücke über den East-River in New York übertroffen wurde. Diese war damals mit 300 m Spannweite die größte stählerne Bogenbrücke der Welt und eine allg. bewunderte Spitzenleistung schöpfer. Ingenieurgeistes. Die Erfüllung seines Wunschtraumes, als Krönung des beruflichen Schaffens eine Hängebrücke mit mehr als 1000 m Spannweite über den Hudson-River ausführen zu dürfen, ist L. leider versagt geblieben. Es war ihm lediglich vergönnt noch mitzuerleben, daß einer seiner fähigsten ehemaligen Mitarbeiter und Schüler dieses wegen finanzieller Schwierigkeiten immer wieder hinausgeschobene Bauvorhaben in den Jahren 1927–31 verwirklichen konnte. Überaus belesen und geistig vielseitig interessiert, beschäftigte sich L. u. a. auch mit volkswirtschaftlichen Problemen, mit Währungsfragen und philosoph. Stud. Er wurde durch zahlreiche Ehrendoktorate und Ehrenmitgliedschaften, darunter jener der American Society of Civil Engineers ausgezeichnet.

L.: Z. des Österr. Ing.- und Architektenver., Jg. 1926, H. 25/26, S. 255; Österr. Naturforscher; Der große Brockhaus, 16. Aufl., Bd. 7, 1955; Schöpfungen österr. Techniker, 1935, S. 63.
(Zesch)  
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 5 (Lfg. 23, 1971), S. 219f.
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