Lobkowitz, Georg Christian Fürst (1835-1908), Politiker

Lobkowitz Georg Christian, Fürst, Politiker. * Wien, 14. 5. 1835; † Prag, 21. 12. 1908. Aus der zweiten Linie des Geschlechtes, Enkel des Fürsten Anton (s. d.), Sohn des Hofkanzlers Fürst August Longin (1797–1842), der sich als Präs. der k. k. Hofkammer im Münz- und Bergwesen u. a. große Verdienste um die Pflege der Mineral., Geognosie und Montanistik erwarb und auf dessen Initiative die Gründung von Vorläufer-Institutionen der erst sieben Jahre nach seinem Tode gegründeten Geolog. Reichsanstalt zurückging; stud. 1852–56 an der Univ. Prag Jus (1905 Dr.h.c.) und trat nach dem Vorbild seines Vaters in den polit. Dienst. 1859 Bezirksaktuar, 1860 Bezirkskoär. Nach dem Beginn des zentralist. Regimes Schmerlings verließ er aber den Dienst und widmete sich nach einigen Auslandsreisen als Majoratsherr den Familiengütern der zweiten Lobkowitzer Linie. Als konsequenter Vertreter des Föderalismus stand er 1865 mit Heinrich Gf. Clam-Martinic (s. d.) und Karl Fürst Schwarzenberg nach der Annäherung der tschech. nationalen Politik und des staatsrechtlichen Programms des tschech. Adels an der Spitze des „historischen Adels“. L. nahm tatkräftig an den Verhandlungen der tschech. polit. Vertreter mit Gf. Potocki und noch intensiver an den Verhandlungen der tschech. Delegation 1871 mit Karl S. Gf. v. Hohenwart (s. d.) bei der Vereinbarung der Fundamentalartikel teil. 1865–67, 1870/71 Landtagsmitgl.; September 1871 zum Oberstlandmarschall ernannt, hatte er den Vorsitz im Landtag, der die Fundamentalartikel genehmigte. Infolge des Scheiterns des böhm. Ausgleiches, als der hist. Adel eine Wahlniederlage erlitt, wurde L. von der Gruppe der böhm. Städte in den Reichsrat gewählt, wo er aber erst 1879 gem. mit den anderen tschech. Abg. auftrat. 1881–83 Vizepräs. des Reichsrates, 1883 erbliches Mitgl. des Herrenhauses. Als sich der Eintritt der Tschechen in Taaffes Regierungsmehrheit in den Ergebnissen der Landtagswahlen 1883 auswirkte und die Tschechen zusammen mit dem konservativen Großgrundbesitz in diesem die Mehrheit erreichten, wurde L. am 4. 7. 1883 wieder zum Oberstlandmarschall ernannt. Er stand dann ein Vierteljh. an der Spitze der Landesselbstverwaltung (bis 10. 12. 1907) und hatte im Verlauf der Jahre einen bedeutenden Anteil an der zielbewußten Entfaltung der sozialen und kulturellen (Sanitäts- und Schulwesen) Landesinstitutionen. In seiner Tätigkeit beachtete er immer konsequent den Grundsatz der Gleichberechtigung beider Nationalitäten, was ihn in der Sprachenfrage selbstverständlich in Widerspruch zur Regierungspolitik, aber hauptsächlich zum polit. Programm der Dt. in Böhmen brachte und seine wiederholten Versuche um einen Nationalitätenausgleich im Lande erschwerte. In gleichem Sinne trat er auch im Herrenhaus auf, wo er besonders 1887 gegen die geplante administrative Teilung Böhmens protestierte. L. stand zum Unterschied von der jüngeren Generation des hist. Adels der tschech. Nationalbewegung sehr nahe, bekannte sich nach der Tradition seines Hauses zur tschech. Nationalität und übernahm die Aufgabe eines Vermittlers der Ziele der tschech. Politik am Hofe und bei der Regierung. Diese Tätigkeit fand in der tschech. Öffentlichkeit so großen Widerhall, daß sich L., auch nach der Vereitelung des Versuches um einen Nationalitätenausgleich 1890, an welchem er bei der Vereinbarung der sog. Punktationen aktiv teilnahm (die prakt. zum Verfall der alttschech. Partei führte), weiterhin ausnahmslos des Vertrauens aller Nachfolgeparteien erfreute. Vielfach geehrt und ausgezeichnet, u. a. seit Gründung der Böhm. Akad. (1890) deren Protektor-Stellvertreter, 1892 Ehrenmitgl., Dr.h.c. der Tschech. Univ. Prag und der Techn. Hochschule Prag, Ritter des Ordens vom Goldenen Vlies, Großkreuz des St.-Stephan-Ordens, Geh.Rat.

L.: N. Fr. Pr. vom 22. 12. 1908; Österr. Rundschau, Bd. 3, 1905, S. 188; Zlatá Praha 22, n. 30; Almanach české akademie 20, 1910; Almanach král. hlav. města Prahy 12, 1909; Jiří kníže z Lobkowicz a samospráva v království Českém (G. Fürst L. und die Selbstverwaltung im Königreich Böhmen), 1905; M. Navrátil, Čechové na říšské radĕ (Die Tschechen im Reichsrat), 1879–1900, 1903; ders., Nový český sněm (Der neue böhm. Landtag) 1901–07, 1902; ders., Almanach československých právníků (Almanach der tschechoslowak. Juristen), 1930; S. Hahn, Reichsraths-Almanach für die Session . . . (1873/74, 1879/80, 1885/86, 1891/92), 1873, 1879, 1885, 1891; O. Knauer, Österr. Männer des öff. Lebens von 1848 bis heute, 1960; Wer ist’s? 1908; Biograph. Jb., 1910; Masaryk 4; Otto 16, 28; Rieger 4; K. Mattuš, Paměti (Memoiren), 1921; A. Bráf, Pamětí (Memoiren), 1922.
(Kučera)  
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 5 (Lfg. 23, 1971), S. 259f.
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