Lohner, Ludwig (1858-1925), Industrieller

Lohner Ludwig, Industrieller. * Wien-Liesing, 15. 7. 1858; † Wien, 14. 7. 1925. Sohn des Vorigen, Enkel des Wagnermeisters Heinrich L. (s. d.); stud. Maschinenbau 1875–80 an der Techn. Hochschule Wien. Nach dem Tode seines Vaters wurde er 1892 Alleinerbe des Unternehmens, das sich 1850–90 zur größten Pferdewagenfabrik der österr.-ung. Monarchie entwickelt hatte, die auch einen bedeutenden Export nach dem Orient und nach Übersee betrieb. Er war der erste Österr., der die Entwicklung des Automobils in ihrer ganzen Bedeutung erfaßte und 1897 mit dem fabrikmäßigen Bau von Automobilen begann. Das Erstlingserzeugnis war ein Benzin-Automobil, das jedoch, da kein geeigneter Motor zur Verfügung stand, nicht den Erwartungen entsprach, weshalb er sich dem Bau der damals zukunftsweisenden Elektromobile zuwandte. Als er von der Idee des jungen F. Porsche erfuhr, den Antriebsmotor eines Elektromobils direkt in dessen Radnabe einzubauen (Innenpolmotor), engagierte er 1899 den Erfinder, der damit seine so erfolgreiche, der Konstruktion von Automobilen gewidmete Laufbahn einleiten sollte. Das von Akkumulatoren gespeiste Elektromobil, System Lohner-Porsche, war eine Sensation der Pariser Weltausst. 1900. Es folgten 1901 die „gemischten Elektromobile“ mit Benzin-elektr. Antrieb. 1906 wurden die Patente an die Österr. Daimler-Motoren Ges. in Wr. Neustadt verkauft, wobei Porsche gleichzeitig als techn. Dir. zu dieser Automobilfabrik hinüberwechselte. Am bekanntesten ist diese Ausführungsform an zahlreichen Feuerwehr-Elektromobilen, die nicht nur in Wien, sondern auch in vielen anderen europ. Städten in Verwendung standen und klaglos funktionierten. L. begann nun mit dem durch die Ausbreitung des Automobilismus aussichtsvoll gewordenen Karosseriebau, setzte jedoch auch den Bau von kompletten Automobilen mit den neu in sein Erzeugungsprogramm aufgenommenen gleislosen Oberleitungsomnibussen, Bauart Lohner-Stoll, fort. 1909 wandte er sich mit der Herstellung eines Doppeldecker-Rodelgleitfliegers dem Flugzeugbau zu, wobei ihm in seinem techn. Mitarbeiter und Betriebsleiter des Werkes Wien-Floridsdorf, K. Paulal, ein wertvoller Helfer zur Seite stand. 1910 konstruierte Paulal sein erstes Motorflugzeug, einen Doppeldecker mit einem 40-PS-Anzani-Motor. Die Erfolge L.s auf dem Gebiet des Flugzeugbaues veranlaßten die k. u. k. Heeresleitung, ihm den Bau von 36 Flugzeugen der Type „Etrich-Taube“, eines nach dem Erbauer I. Etrich († 1967) benannten Eindeckers, zu übertragen. Es folgte der „Lohner-Pfeilflieger“, ein sowohl als Land als auch als Wasserflugzeug gebauter Doppeldecker mit Motoren verschiedener Provenienz und Leistung bis zu 350 PS und vereinzelt sogar darüber. Zu Kriegsbeginn 1914 wurde die Floridsdorfer Fabriksanlage wesentlich vergrößert. 1916 erreichte die Zahl der von L. seit Arbeitsbeginn gebauten Fahrzeuge 30.000, die der Flugzeuge 500. Die Zahl der bis Kriegsende 1918 gebauten Flugzeuge betrug 685, unter denen 172 Wasserflugzeuge waren. 1917 erfolgte die Umwandlung der Fa. Jakob Lohner & Co. in die Firma Lohnerwerke Ges. m. b. H. als Familienges. Nach Kriegsende 1918 wurde mit dem Serienbau von Karosserien begonnen und die Aufnahme des Waggonbaues eingeleitet. L. war einer jener weitblickenden Männer, die für den österr. Automobilismus sehr viel leisteten, die ihm die ersten Wege ebneten und für seine weitere Entwicklung stets größtes Interesse bekundeten. Dieser Pionier des Automobilismus und der Aviatik war auch im Niederösterr. Gewerbever. sowie in anderen Körperschaften stets anregend und fördernd tätig. Der liberalen Partei angehörend, beteiligte er sich als Gemeinderat der Stadt Wien auch am öff. Leben. Er gehörte zu den Gründern des Österr. Industriellenverbandes (1892), des Österr. Automobil-Clubs (1898) und des Österr. Aero-Clubs (1901).

L.: Allg. Automobil-Ztg. (Wien) vom 1. 8. 1925; Auto-Touring vom 15. 12. 1958; Bll. für Techn. Geschichte, H. 12, 1950, S. 1 ff., H. 26, 1964, S. 135 ff.; J. Mentschl – G. Otruba, Österr. Industrielle und Bankiers, in: Österr. Reihe, Bd. 279/81, S. 175 ff.; Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Automobile, in: Neues Wr. Abendbl. vom 16. 1. 1897; Festschrift 30 Jahre Österr. Aero-Club 1901–31, 1931; J. Altmann, Aus der Ahnenreihe österr. Kraftwagen, in: Bll. für Techn. Geschichte, H. 5, 1938, S. 68 ff.; H. Seper, Damals, als die Pferde scheuten – Die Geschichte der österr. Kraftfahrt, 1968; Großind. Österr., Bd. 3, S. 157 f.; Mitt. Lohnerwerke Ges. m. b. H. und F. Hirt, beide Wien.
(Seper)  
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 5 (Lfg. 24, 1971), S. 299f.
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