Loschmidt, Johann Josef (1821-1895), Physiker

Loschmidt Johann Josef, Physiker. * Putschirn b. Karlsbad (Počerny, Böhmen), 15. 3. 1821; † Wien, 8. 7. 1895. Sohn eines Kleinhäuslers und Taglöhners; 1837 ging er nach Prag und absolv. dort die Humanitätsklassen des Gymn. und die beiden Jgg. der philosoph. Stud. Nur durch die Unterstützung F. Exners (s. d.) konnte er sich dem Stud. der Mathematik und der Naturwiss. widmen. Stark beeinflußt von der Phil., befaßte er sich mit der Anwendung der Mathematik auf philosoph. und psycholog. Probleme. 1841 kam er nach Wien, wo er bei Meissner Chemie, bei Ettingshausen (s. d.) Physik und bei Giskra (s. d.) Staatswiss. hörte. 1843 legte er die erste strenge Prüfung zur Erlangung des Doktorgrades ab. Da es aussichtslos schien, an einer Hochschule eine Lehrstelle zu erhalten, wandte er sich der prakt. Laufbahn zu. Er hörte daher 1845 bei Schrötter nochmals Chemie und arbeitete bis Ende 1846 in dessen Laboratorium. Mit seinem Freund und Kollegen Margulies gelang es ihm, ein Verfahren aufzufinden, um Chilesalpeter (Natriumnitrat) in den für die Schießpulvererzeugung verwendeten Kalisalpeter überzuführen. L. und Margulies entdeckten, daß sich bei Einhaltung bestimmter Temperatur- und Konzentrationsverhältnisse Pottasche und Chilesalpeterlösungen umsetzen und in einfacher Weise völlig reinen Kalisalpeter liefern. Sie errichteten 1847 in Atzgersdorf bei Wien eine Salpeterfabrik, welche sie wegen der ung. Revolution 1850 wieder aufgeben mußten. L. leitete dann eine Papierfabrik in Peggau (Stmk.), erfand ein neues Verfahren zur Herstellung von Oxalsäure aus Hadernabfällen und führte die Fabrikation von Salpeter und Aluminiumsulfat ein. Er arbeitete vorübergehend in Neuhaus (Böhmen), später in Brünn und unterrichtete ab 1856 in Wien an der Volks- und Unterrealschule in der Leopoldstadt (Jägerzeile). Neben seiner beruflichen Tätigkeit widmete er sich wiss. Arbeiten und wurde 1866 Priv.Doz. für Physik, 1868 Dr.phil.h.c. und ao. Prof., 1872–91 o. Prof. für Physik, 1867 korr., 1870 w. Mitgl. der Akad. der Wiss. in Wien. Seine bedeutendsten Arbeiten aus der physikal. Chemie, der Gastheorie und der theoret. Physik wurden in den Sbb. Wien publ. Von diesen sei besonders erwähnt die Abh. „Zur Größe der Luftmoleküle“. Sie enthält die Überlegungen, mit deren Hilfe L. erstmalig die Anzahl der Moleküle im Mol eines festen oder flüssigen Körpers berechnen konnte. Die Rechnungen der später nach ihm benannten L.schen Zahl L führten nur zu der Größenordnung von etwa 1022. Jetzt kennt man den Wert zufolge modernen Bestimmungsmethoden sehr genau, L = 6,025•1023mol–1.

W.: Zur Constitution des Äthers, 1862; Krystallbestimmungen einiger Oxalsäure-Verbindungen, in: Sbb. Wien, math.-nat. Kl., Bd. 51, Abt. 2, 1865; Beitrr. zur Kenntniss der Krystallformen organ. Verbindungen, ebenda, Bd. 51–52, Abt. 2, 1865–66; Zur Größe der Luftmolecüle, ebenda, Bd. 52, Abt. 2, 1866; Zur Theorie der Gase, ebenda, Bd. 54, Abt. 2, 1866; Theorie des Gleichgewichtes und der Bewegung eines Systems von Punkten, ebenda, Bd. 55, Abt. 2, 1867; Ableitung des Potentiales bewegter elektr. Massen aus dem Potentiale für den Ruhezustand, ebenda, Bd. 58, Abt. 2, 1868; Die Elektricitätsbewegung im galvan. Strome, ebenda, Bd. 58, Abt. 2, 1868; Der zweite Satz der mechan. Wärmetheorie, ebenda, Bd. 59, Abt. 2, 1869; Die Weltanschauung der modernen Naturwiss., in: Schriften des Ver. zur Verbreitung naturwiss. Kennnisse in Wien, Bd. 8, 1869; Experimental-Untersuchungen über die Diffusion von Gasen ohne poröse Scheidewände, in: Sbb. Wien, math.nat. Kl., Bd. 61–62, Abt. 2, 1870; Über den Zustand des Wärmegleichgewichtes eines Systems von Körpern mit Rücksicht auf die Schwerkraft, ebenda, Bd. 73, Abt. 2, 1876, Bd. 75–76, Abt. 2, 1877–78; Schwingungszahlen einer elast. Hohlkugel, ebenda, Bd. 93, Abt. 2, 1886; etc.
L.: Volksbote vom 21. 8. 1965; Feierl. Inauguration, 1891/92, 1895/96; Almanach Wien, 1896 (mit Werksverzeichnis); Techn. Hochschule, 1915/16; Die Naturwiss., Bd. 9, 1921, S. 177–180; Sudetendt. Almanach 4, o. J.; Zur Erinnerung an J. L., 1899; H. de Martin, J. J. L. – Leben, Leistung, Wertung, phil. Diss. Wien, 1949; H. Mache, Österr. große Physiker und ihre Spitzenleistungen, in: Schriften des Pädagog. Inst. der Stadt Wien, H. 13, 1936; Österr. Naturforscher und Techniker, 1950; Poggendorff 3–4; Sudetendt. Lebensbilder, hrsg. von E. Gierach, Bd. 1, 1926; N. Österr. Biographie, Bd. 3, 1926; Kosch, Das kath. Deutschland; ADB 52; Österr.-Lex., hrsg. von R. Bamberger und F. Maier-Bruck, Bd. 2, 1967; R. Meister, Geschichte der Akad. der Wiss. 1847–1947, in: Denkschriften Wien, Bd. 1, 1947.
(Seidl)  
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 5 (Lfg. 24, 1971), S. 326f.
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