Maassen, Friedrich Bernhard (1823-1900), Kanonist

Maassen Friedrich Bernhard, Kanonist. * Wismar (Mecklenburg-Schwerin), 24. 9. 1823; † Innsbruck-Wilten, 9. 4. 1900. Nach hist. und rechtswiss. Stud. an den Univ. Jena, Berlin, Kiel und Rostock 1847 Advokat, dann Syndikus der Mecklenburg. Ritterschaft, 1851 Übertritt vom Protestantismus zur kath. Kirche, dem die Übersiedlung nach Bonn folgte, 1852–54 Informator des Fürsten v. Löwenstein-Wertheim-Freudenberg. Nachdem M. durch seine Veröff. die Aufmerksamkeit des österr. Unterrichtsmin. Gf. Leo Thun auf sich gelenkt hatte, berief ihn dieser am 8. 1. 1855 als ao. Prof. des Röm. Rechtes an die damals noch dt. Univ. Pest, am 8. 9. 1855 als ao. Prof. nach Innsbruck, 1857 o. Prof. 1860 o. Prof. des Röm. und Kirchenrechtes an der Univ. Graz, 1871 o. Prof. an der Univ. Wien, 1894 i. R. Als überzeugter Föderalist war M. zeitweise auch polit. tätig und nahm ab 1867 regen Anteil an der Bildung der kath.-konservativen Partei in der Stmk., die ihn auch in den Landtag entsandte. 1870 schloß sich M. der Bewegung gegen das Unfehlbarkeitsdogma an, trat jedoch 1882 vom Altkatholizismus ausdrücklich zurück. Noch in Innsbruck hatte sich M. – angeregt und ermuntert durch Savigny – die Erforschung der bis dahin vielfach noch ungenügend erhellten kanonist. Quellen- und Literaturgeschichte als Lebensaufgabe gestellt. Diesen Quellenforschungen widmete M. seine unermüdliche Lebensarbeit, viele Bibliotheks- und Archivreisen und zahlreiche, grundlegende Abhh. Von seiner Literatur des canonischen Rechts im Abendlande bis zum Ausgange des Mittelalters vermochte er jedoch nur den 1. (noch heute vielfach maßgebenden) Bd. (1870/71) fertigzustellen. M., damals der beste Kenner mittelalterlicher kanonist. Handschriften, wies als Bahnbrecher und Meister der kanonist. Quellenforschung auch mehrere seiner Schüler wie H. Singer, L. Wahrmund und A. v. Wretschko auf dieses schwierige Arbeitsgebiet und wurde so zum Begründer der älteren österr. Kanonistenschule, der auch R. v. Scherer angehörte. M. war ab 1872 korr., 1873 w. Mitgl. der Akad. der Wiss. in Wien, k. k. Hofrat, ab 1881 ständiges Mitgl. des österr. Reichsgerichtes, 1885 Herrenhausmitgl., 1882 korr., 1892 w. Mitgl. der Bayer. Akad. der Wiss., Dr. h.c. der Univ. Bologna und gehörte der Zentraldion. der Monumenta Germaniae Historica an.

W.: Der Primat des Bischofs von Rom und die alten Patriarchalkirchen, 1853; Civilist. Erörterungen l, 1854; Beitrr. zur Geschichte der jurist. Literatur des Mittelalters, in: Sbb. Wien, phil.-hist. Kl., Bd. 24, 1857; Kleine Beitrr. zur Kenntniß der Glossatorenzeit, in: Jb. des gemeinen dt. Rechts 2, 1858; Das Interdictum uti possidetis und die Decretale Licet causam, ebenda, 2, 1858; Zur Dogmengeschichte der Spolienklage, ebenda, 3, 1859; Paucapalea, in: Sbb. Wien, phil.-hist. Kl., Bd. 31. 1859; Über eine Lex Romana canonice compta, ebenda, Bd. 35, 1861; Zur Geschichte der Quellen des Kirchen- und des röm. Rechtes im Mittelalter, in: Münchner krit. Vierteljahrss. 5, 1863; Bobienser Excerpte des röm. Rechts, in: Sbb. Wien, phil.-hist. Kl., Bd. 46, 1864; Ein Capitulare Lothar’s I., ebenda, Bd. 46, 1864; Eine Mailänder Synode vom Jahre 863, ebenda, Bd. 49, 1865; Bibliotheca Latina juris canonici manuscripta, ebenda, Bd. 53, 54, 56, 1867; Personalunion, Zentralisation, Dualismus, 1868; Geschichte der Quellen und der Literatur des canon. Rechts im Abendlande bis zum Ausgang des Mittelalters 1, 1870, Neudruck, 1957; Eine Rede des Papstes Hadrian II. vom Jahre 869, in: Sbb. Wien, phil.-hist. Kl., Bd. 72, 1872; Neun Capitel über Freie Kirche und Gewissensfreiheit, 1876; Glossen des canon. Rechts aus dem karoling. Zeitalter, in: Sbb. Wien, phil.-hist. Kl., Bd. 84, 1876; Über eine Smlg. Gregor’s I. von Schreiben und Verordnungen der K. und Päpste, ebenda, Bd. 85, 1877; Ein Commentar des Florus v. Lyon zu einigen der sogenannten Sirmond’schen Constitutionen, ebenda, Bd. 92, 1879; Eine burgund. Synode vom Jahr 855, ebenda, Bd. 92, 1879; Über die Gründe des Kampfes zwischen dem heidn.-röm. Staat und dem Christentum, in: Feierl. Inauguration, 1882/83; Pseudoisidor-Stud. l, in: Sbb. Wien, phil.-hist. Kl., Bd. 108, 1885; etc. Hrsg.: Concilia aevi Merovingici, in: Monumenta Germaniae Historica, Leges 3/1, 1893.
L.: Grazer Volksbl. vom 1. 1. 1927 (Festbeilage); Hist. Jb. 21, 1900, S. 640 ff.; Almanach Wien, 1900; Jurist. Bll., Jg. 29, 1900, S. 185; Neues Archiv für ältere dt. Geschichtskde., Bd. 26, 1901, S. 254 f.; N. Grass, Die Kirchenrechtslehrer der Univ. Graz, in: Studia Gratiana 8, 1962, S. 228 ff.; Kosch, Das kath. Deutschland; Dictionnaire de droit canonique, hrsg. von R. Naz, Bd. 6, 1957; Dictionnaire d’archéol. chrétienne et de liturgie, Bd. 10/1, hrsg. von F. Cabrol und H. Leclercq, 1931; Buchberger; Enc. Catt.; Biograph. Jb., 1903; N. Grass, Österr. Kanonistenschulen, in: ZRG, kanonist. Abt., Bd. 41, 1955, S. 300 ff.; E. Landsberg, Geschichte der dt. Rechtswiss., Bd. 3/2, 1910, S. 580 f.; K. M. Stepan, Stückwerk im Spiegel, 1927.
(N. Grass)  
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 5 (Lfg. 24, 1971), S. 384f.
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