Negrelli von Moldelbe, Alois (1799-1858), Techniker

Negrelli von Moldelbe Alois, Techniker. * Primör (Fiera di Primiero, Trentino), 23. 1. 1799; † Wien, 1. 10. 1858. Sohn eines wohlhabenden Bauern, der bei den Kämpfen von 1809 in französ. Gefangenschaft geriet; stud. in Feltre, dann in Venedig und an den Univ. Padua und Innsbruck. 1820 Ing. Ab 1819 war er im staatlichen Baudienst in Tirol mit Straßen- und Flußbauten sowie mit Vermessungsarbeiten beschäftigt, ab 1826 arbeitete er in Vorarlberg und führte dort die Verhh. bezügl. der Rheinregulierung. 1832–40 war N. in den Kantonen St. Gallen und Zürich als Wasserbau- und Straßen-Insp. tätig. Er baute dort viele Straßen und Brücken, u. a. in Zürich die Münsterbrücke über die Limmat, und begann mit der Projektierung und dem Bau des schweizer. Eisenbahnnetzes. Eine Stud.Reise nach England, Frankreich und Belgien informierte ihn über den damaligen Stand der Eisenbahntechnik. Seine dabei gesammelten und von ihm krit. beurteilten Beobachtungen legte er in einem Aufsatz nieder, der lange Zeit als Standardwerk des Eisenbahnwesens galt. Im Gegensatz zu seinen Zeitgenossen vertrat N. schon damals den Standpunkt, Dampflokomotiven könnten auch so gebaut werden, daß sie für Gebirgsbahnen geeignet seien. Unter diesem Gesichtspunkt plante er das Eisenbahnnetz der Schweiz und baute als dessen erste Strecke die 1847 eröffnete Linie Zürich–Baden. 1837 setzte er sich mit Nachdruck für den Bau der Eisenbahnstrecke Kufstein–Innsbruck ein und arbeitete ein Vorprojekt aus, das dann als Grundlage für den späteren Bahnbau diente. 1840 wurde er Gen.Insp. der K. Ferdinand-Nordbahn und begann seine neue Tätigkeit mit dem Bau der Eisenbahnstrecke Olmütz–Lundenburg, die er in kürzester Zeit fertigstellte. Anschließend bereits im Staatseisenbahndienst, baute er die Strecken Olmütz–Prag, Prag–Bodenbach und Brünn–Mähr.Trübau. Seiner Befürwortung als Leiter des Eisenbahnwesens im Min. für off. Arbeiten (1848) war es auch zu danken, daß die Semmeringbahn – allen Widerständen zum Trotz – nach den Plänen v. Ghegas (s. d.) gebaut wurde. 1849–55 war N. Vorstand der Baudion. des Lombardo-venetian. Königreiches für Wasser-, Straßen- und Eisenbahnbau in Verona, wo er sich hervorragende Verdienste um den Ausbau der Verkehrswege in Oberitalien erwarb. Gleichzeitig wurde er Präs. der internationalen Po-Schiffahrtskomm. und bald darauf auch der der internationalen Komm. für die Zentralbahnen Mittelitaliens. 1855 kehrte er als Min.Rat und Gen.Insp. der österr. Staatsbahnen nach Wien zurück. In allen Verkehrsfragen galt er weit über die Grenzen der damaligen Monarchie hinaus als erster Sachverständiger und wurde daher in vielen Ländern zu Rate gezogen und um Gutachten gebeten. Die bedeutendste Arbeit seines Lebens war der Entwurf des Suezkanals, der nach seinen Plänen, allerdings erst nach seinem Tode, ausgeführt wurde. Schon bei Gründung der Compagnie Maritime du Canal de Suez entwickelte er große Tatkraft, reiste nach Ägypten, ließ dort die notwendigen Vermessungen vornehmen und begann großzügig zu planen. Bei der ersten Sitzung der neu konstituierten Ges. im Juni 1856 wurde sein Vorschlag der schleusenlosen Ausführung und die von ihm empfohlene Trasse nach harten Kämpfen einstimmig angenommen. Mit diesem triumphalen Erfolg erreichte N. den Höhepunkt seines schaffensreichen Lebens. Er wurde Anfang 1857 vom ägypt. Vizekg. zum Gen.Insp. für den Kanalbau ernannt und leitete bis zu seinem Tod die Arbeiten allein. Vielfach geehrt und ausgezeichnet, u. a. Ehrenbürger von Prag und Olmütz, 1850 nob. Bei der prunkvollen Eröffnung des Kanals, 1869, wurde der Franzose Lesseps, der schon zu N.s Lebzeiten die polit. Führung in der Suez-Kanalges. errungen hatte und der den Bau nach N.s Plänen, ohne den wirklichen Schöpfer zu nennen, fortgeführt hatte, als Erbauer des Kanals gefeiert. Erst durch den Prozeß, den eine Tochter N.s 1888–1905 in Paris führte und bei dem Poincaré ihr Anwalt war. wurde die alleinige geistige Urheberschaft N.s am Suezkanal anerkannt. N.s Schwester, Josefine N., verehelichte de Zorzi (1790–1842), zeichnete sich in den Kämpfen von 1809 bes. aus.

W.: Ausflug nach Frankreich, England und Belgien zur Beobachtung der dortigen Eisenbahnen, 1838; Über Gebirgsbahnen, 1842; Pachtbetrieb oder Regiebetrieb, 1842; Eisenbahnen mit Anwendung gewöhnlicher Dampfwagen als bewegende Kraft über Anhöhen und Wasserscheiden sind ausführbar, 1842; Projekt Suezkanal, in: Austria, H. 17, 1856; Ber. über die Durchstechung der Landenge von Suez, in: Mitt. der k. k. Geograph. Ges. in Wien, 1857; Antwort an Stephenson (Suez-Kanal), in: Schles. Ztg., 1858, n. 283 und Österr. Ztg. vom 26. 9. 1858; Stud. aus dem Entwurf für den Bau der Unterinntalbahn (1838) (Standort des Innsbrucker Bahnhofes), in: Veröff. aus dem Stadtarchiv Innsbruck, hrsg. von K. Schadelbauer, n. 9, 1955.
L.: Bothe für Tirol und Vorarlberg, 1858, S. 1037; Neue Tiroler Stimmen, 1894, n. 285; Rundschau für Technik und Wirtschaft, 1912, S. 279; Militär. Rundschau vom 13. 9. 1914; Bll. für Techn. Geschichte, H. 11, 1949, S. 36 ff.; Montfort, 1950, S. 135 ff.; Österr. Ing. Z., 1970, H. 5, S. 214 f.; A. N., Ritter v. Moldelbe, Gen. Insp. der österr. Eisenbahnen, 1914; A. Birk, A. N., Lebensgeschichte eines Ing., 2 Bde., 1914–25; N. v. Negrelli, Die Lüge von Suez, der Lebenskampf des dt. Ing. A. v. N., 1940; E. Mathys, Männer der Schiene, 1947, S. 157 ff.; E. Attlmayr, Tiroler Pioniere der Technik, in: Tiroler Wirtschaftsstud., F. 23, 1968, S. 58 ff.; C. Matschoß, Männer der Technik, 1925; Österr. Naturforscher, S. 172 ff.; Tyroler Ehrenkranz, hrsg. von A. Lanner, 1925, S. 236 f.; Genealog. Taschenbuch der adeligen Häuser Österr., 1906/07, S. 328 ff.; Wurzbach; N. Österr. Biogr., Bd. 10, 1957, S. 17 f.; Kosch, Das kath. Deutschland; Dizionario enciclopedico Italiano, Bd. 13, 1970; Enc. It.; G. Zwanowetz, Die Anfänge der Tiroler Eisenbahngeschichte, in: Tiroler Wirtschaftsstud., F. 12, 1962; E. Attlmayr, 100 Jahre Suezkanal, in: Dolomiten vom 17. 11. 1969; N.-Nachlaß, Techn. Mus. für Ind. und Gewerbe, Wien; Mitt. VA Wien.
(E. Attlmayr)  
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 7 (Lfg. 31, 1976), S. 56f.
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