Neumayer, Rudolf (1887–1977), Beamter und Politiker

Neumayer Rudolf, Beamter und Politiker. Geb. Wien, 18. 5. 1887; gest. ebd., 25. 8. 1977; röm.-kath. Sohn eines Volksschullehrers. – N. maturierte 1905 am Elisabeth-Gymnasium in Wien-Margareten und studierte danach Jus an der Universität Wien; 1911 Dr. jur. Während seines Studiums schloss er sich 1906 der Burschenschaft Vandalia, 1933 der Albia an. Ab 1912 bzw. ab 1919 war er bei der Wiener Stadtverwaltung tätig, unterbrochen durch Militärdienst im 1. Weltkrieg, zuletzt als Oberleutnant. N., Anhänger der Großdeutschen Partei, avancierte 1924 zum Vorstand der Magistratsabteilung 4 (Finanzangelegenheiten) und diente unter den sozialdemokratischen Finanzstadträten →Hugo Breitner und Robert Danneberg. Nach dem Bürgerkrieg im Februar 1934 und dem Verbot der Sozialdemokratischen Partei trat er der Vaterländischen Front bei, stieg in der Zeit des „Ständestaats“ zum Finanzreferenten der Stadt Wien auf und wurde Kommissär der Wiener Landeshypothekenanstalt sowie Finanz- und Wirtschaftsreferent im Länderrat. Nach dem Juliabkommen 1936 mit dem Deutschen Reich wurde N. im Rahmen der darauf folgenden Regierungsumbildung Finanzminister in der Regierung Schuschnigg und setzte die für den mäßigen Abbau der Arbeitslosigkeit verantwortliche Hartwährungspolitik im Sinne des Nationalbankpräsidenten Viktor Kienböck fort. Nach dem „Anschluss“ 1938 behielt er auch im Kabinett Seyß-Inquart die Leitung des Finanzministeriums und stimmte dem „Anschlussgesetz“ zu. Als kurzzeitiger Landesfinanzminister nahm er die Überleitung der österreichischen Finanzverwaltung in die deutsche vor. N., der nun als überzeugter Nationalsozialist auftrat, leitete von Juni 1938 bis Mai 1945 als Generaldirektor die Wiener Städtische Versicherung. Er wahrte deren Selbstständigkeit gegenüber der deutschen Versicherungswirtschaft und führte die Fusion dieses Instituts mit der Wiener Wechselseitigen und dem Anglo-Danubian-Lloyd herbei; dadurch wurde die Wiener Städtische erstmals zu einem Konzern. Ab 1943 war N. auch Leiter der Hauptstelle der Wirtschaftstreuhänder. 1945 in Wien verhaftet und 1946 als Hochverräter nach dem Kriegverbrechergesetz zu lebenslänglichem schwerem Kerker verurteilt, erreichte er schon Ende 1948 die Entlassung wegen „Haftunfähigkeit“ und 1957 sogar die Tilgung des Urteils. Danach konnte er eine neue Karriere im ÖVP-nahen Verein der Freunde des Wohnungseigentums, dem damals zweitgrößten Wohnbauträger Österreichs, starten. Die auch von N. mitzuverantwortenden Missstände in diesem Verein zwangen 1966 die Staatsanwaltschaft zum Einschreiten, wodurch dessen Niedergang eingeleitet wurde und N. dort in der Folge seine Funktionen verlor.

W.: Meine Beamtenlaufbahn, 1973, Manuskript, Archiv der Wiener Städtischen Versicherung, Wien. – Teilnachlass: Wienbibliothek, Wien.
L.: WZ, 28. 1. 1939, 2. 2. 1946; NDB; Gemeinschaft der Wohnungseigentümer-Informationen, 1967, H. 1–4, 1969, H. 1–7; G. Botz, Wien vom „Anschluß“ zum Krieg, 1978, S. 88; Versicherungsgeschichte Österreichs 3, red. W. Rohrbach, 1988; G. Enderle-Burcel, Christlich-ständisch-autoritär. Mandatare im Ständestaat 1934–1938, 1991, S. 167f. (m. B.); F. Staufer, Reg.Bd. zur Versicherungsgeschichte Österreichs 4, 1992; J. Mentschl, R. N., ein „guter Österreicher“, in: Historische Betriebsanalyse und Unternehmer, ed. H. Mathis, 1997, S. 101–118; W. Fritz, Für Kaiser und Republik. Österreichische Finanzminister seit 1848, 2003, S. 203–207; O. Binder, Dr. R. N. und die „Wiener Städtische“, in: Zwischenwelt 21, 2005, H. 3/4, S. 4–6 (m. B.); Wien, Geschichte einer Stadt 3, ed. P. Csendes – F. Opll, 2006, S. 355f.; Archiv der Wiener Städtischen Versicherung, KA, Landesgericht für Strafsachen, alle Wien.
(J. Mentschl)   
Zuletzt aktualisiert: 1.3.2011  
PUBLIKATION: ÖBL Online-Edition, Lfg. 1 (01.03.2011)