Niederle Lubor, Archäologe, Anthropologe, Ethnograph und Historiker. * Klattau (Klatovy, Böhmen), 20. 9. 1865; † Prag, 14. 6. 1944. Sohn des Vorigen; stud. ab 1885 klass. Philol. und Geschichte an der Tschech. Univ. Prag, wo Tyrš, J. Král (s. d.), J. Goll (s. d.) und T. G. Masaryk (s. d.) zu seinen bedeutendsten Lehrern gehörten. 1889 Dr. phil. Nach Stud. Reisen in verschiedene europ. Länder, wo für seine weitere Arbeit vor allem Ranke in München und Manouviers in Paris wichtig wurden, habil. er sich 1891 an der Tschech. Univ. Prag für Archäol. N., 1904 o. Prof. der Ethnographie und prähist. Archäol., baute im Rahmen der philosoph. Fak. an der Univ. Prag das Prähist. Inst., die erste archäolog. Forschungsstelle an einer Hochschule in den böhm. Ländern, auf und stand ihm bis 1929 vor. 1907/08 Dekan, 1927/28 Rektor. Am Beginn seiner wiss. Laufbahn widmete sich N. dem allg. Stud. der Vorgeschichte, sehr bald aber wandte er sich ausschließlich der slaw. Vorzeit zu. Er vertrat die Ansicht, daß die Lösung dieser Problematik nur durch die systemat. Zusammenarbeit der Disziplinen Geschichte, Archäol., Ethnographie, Sprachwiss., Rechtsgeschichte, Anthropol. und weiterer verwandter Wiss.Zweige möglich sei. 1898 gründete er die Jahresschrift „Věstník slovanských starožitností“ (Z. für slaw. Altertümer), ab 1901 „Věstník slovanské filologie a starožitností“ (Z. für slaw. Philol. und Altertümer), die Berr. über die neuen Ergebnisse der Slawenforschung brachte. In seinem Hauptwerk, „Slovanské starožitnosti“, faßte er alle Erkenntnisse zur polit. Geschichte, Geistesgeschichte und Geschichte der materiellen Kultur der alten Slawen zusammen. N.s Anteil an der Entwicklung der tschech. Archäol. war bedeutend. Von großer Wichtigkeit war auch seine organisator. Tätigkeit. Er war einer der Gründer des Ethnograph. Mus. in Prag (1895), und auf seine Anregung hin entstanden sowohl das Archäolog. Inst. (1919) als auch das Slaw. Inst. in Prag (1928), welche er einige Zeit selbst leitete. Er machte sich auch verdient um die Einrichtung des Hrdlička-Mus. des Menschen und um die Entstehung der Společnost československých prehistoriků (Ges. tschechoslowak. Prähistoriker). N.s Initiative ist es zu danken, daß 1892 die erste tschech. ethnograph. Z. „Český lid“ (Tschech. Volk), 1922 das archäolog. Jb. „Obzor prehistorický“ (Prähist. Rundschau) und 1929 die internationale Z. „Byzantinoslavica“ gegründet wurden. N.s Bücher „Národopisná mapa uherských Slováků“ und „Slovanský svět“ wurden 1919 als Unterlagen bei der Friedenskonferenz in Paris, an der N. als Sachverständiger teilnahm, verwendet. Vielfach geehrt und ausgezeichnet, u. a. Mitgl. der Tschech. Akad. der Wiss. und Künste.