Nüll, Eduard van der (1812-1868), Architekt

Nüll Eduard van der, Architekt. * Wien, 9. 1. 1812; † Wien, 4. 4. 1868 (Selbstmord). Erhielt 1824–28 Ausbildung im Elementarzeichnen an der Akad. der bildenden Künste in Wien, stud. 1828–32 Bauwesen am Polytechn. Inst. in Wien. 1832–35 diente er bei der galiz. Landesbaudion. in Lemberg (theoret. und prakt. Dienstprüfung). 1835–38 absolv. v. d. N. das Architekturstud. bei Nobile (s. d.) an der Akad. der bildenden Künste in Wien (drei akad. Preise). 1839 erhielt er die Goldmedaille des Hofpreises und ein dreijähriges Reisestipendium gem. mit Sicardsburg. 1843 wirkte v. d. N. als Prof. für Ornamentik an der Manufakturzeichenschule, 1845–64 als Nachfolger L. Försters (s. d.) als Prof. für Architektur an der Akad. der bildenden Künste in Wien. Er war 1850 Gründungsmitgl. der k. k. Central-Comm. zur Erforschung und Erhaltung der Baudenkmale, Gutachter bei bedeutenden Konkurrenzen (1848 Pfarrkirche Altlerchenfeld, Wien, 1853 Maximilianswettbewerb, München, 1865 Domfassade, Florenz, 1867 Hofmus., Wien), Regierungsvertreter bei den Weltausst. in Paris 1855 und in Brüssel 1857, 1867 Mitgl. der Kunstsektion des Kultusmin. Ab 1860 ließ sich v. d. N. wegen der zunehmenden Arbeiten für die Wr. Stadterweiterung in der Lehrtätigkeit zuerst durch Hlávka (s. d.), später durch Rösner vertreten, 1864 wurde er wegen der Arbeiten am Opernhaus auf eigenen Wunsch in den dauernden Ruhestand versetzt. 1861 Oberbaurat. V. d. N. besaß eine fundierte bautechn. und eine vorzügliche, aber einseitige künstler. Ausbildung, die er durch auf seinen Reisen erworbene breite Stilkenntnis erweiterte. In 20jähriger Tätigkeit als Architekt und akad. Lehrer übte er, stets in Zusammenarbeit mit Sicardsburg, eine maximale Wirkung auf die Entfaltung der Baukunst in Österr. aus. Bei der Reorganisation des Architekturstud. an der Akad. der bildenden Künste in Wien spielten beide ab 1848 stets eine führende Rolle, wenn auch die erst 1868 genehmigten neuen Statuten der Akad. ihrer Auffassung in wesentlichen Punkten widersprachen. Obwohl v. d. N. und Sicardsburg durch die Forderung nach dem Stud. der bedeutendsten Baustile und deren hist. Untermauerung durch das neue Pflichtfach Kunstgeschichte den Stilpluralismus an der Akad. 1850 offiziell einführten, lag ihnen nichts ferner als die Aufspaltung der Baukunst in verschiedene Stilrichtungen, wie sie ab 1868 den Spezialschulen der Akad. zugrunde gelegt wurde. Sie vertraten die Idee des Gesamtkunstwerkes und waren überzeugt von der Notwendigkeit eines neuen Stils, der auf dem Zweck und der daraus folgenden Wahl der Konstruktion beruht und damit immer neue Charaktere erzeugt. V. d. N. und Sicardsburg konnten in ihren wenigen Bauten diese Ideen noch nicht voll verwirklichen, doch ist ihr Stil so weitgehend unbelastet von den Bindungen unmittelbarer Stilnachahmung, daß sich keiner ihrer Bauten als Ganzes stilhist. fixieren läßt. Ihr architekton. Werk wird heute zu den Hauptleistungen des sog. romant. Historismus gezählt.

W.: Schutzengelbrunnen, 1843–46, Sophienbad, 1845, Carl-Theater, 1847, Pfarrkirche Altlerchenfeld, 1848–61 (Wettbewerbsentwurf, Ausführung des Entwurfes von J. G. Müller, Ausstattung und Einrichtung nach v. d. N.s Entwürfen), Arsenal, 1849 ff. (Wettbewerbsentwurf, Ausführung des Kommandanturgebäudes und der Umfassungskasernen), Reithalle am Rennweg, 1850–52, Roberthof, 1855, Erzh. Karl-Denkmal, 1857–59, Hofoper, 1860–69, Prinz Eugen-Denkmal, 1861, Warenhaus Haas, 1866–68, Palais Larisch-Moennich, 1867/68, alle Wien; Mineralschwimmschule, 1846–48, Baden (NÖ). Fassaden zu fremden Bauten: Villa Wasserburger, 1842, Baden (NÖ); Haus Liebig, 1855–58, Graben, Haus Gerold, Dominikanerbastei, beide Wien. Projekte: Ständehaus, 1844, Pest; Theres. Milit.Akad., 1852/53, Wr. Neustadt; Univ., 1854, Wien; Plan für Wr. Stadterweiterung, 1858 (wurde der Ausführung zugrunde gelegt). Publ.: Andeutungen über die kunstgemäße Beziehung des Ornamentes zur rohen Form, in: Schmidls Österr. Bll., Jg. 2, 1845; Über das Konkurswesen mit nächster Beziehung auf den beabsichtigten Bau des Landhauses zu Pesth, gem. mit A. Sicard v. Sicardsburg, in: Allg. Bauztg. 10, 1845.
L.: N. Fr. Pr. vom 10. 6. 1907 und 9. 1. 1912; H. C. Hoffmann, Die Architekten E, v. d. N. und A. Sicard v. Sicardsburg, in: Das Wr. Opernhaus, 1972; Thieme–Becker; Groner; Wurzbach; Kosch, Das kath. Deutschland; ADB 51; Das k. k. Hofoperntheater in Wien . . ., 1891; L. Hevesi, Österr. Kunst im 19. Jh., Bd. 2, 1903; A. v. Wurm-Arnkreuz, Sieben Bücher über Stil und Mode in der Architektur, 1913; W. Wagner, Die Geschichte der Akad. der bildenden Künste in Wien, in: Veröff. der Akad. der bildenden Künste in Wien, NF, Bd. 1, 1967, s. Reg.
(R. Schachel)  
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 7 (Lfg. 32, 1976), S. 176f.
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