Ofner, Julius (1845-1924), Jurist und Politiker

Ofner Julius, Jurist und Politiker. * Horschenz (Hořenice, Böhmen), 20. 8. 1845; † Wien, 26. 9. 1924. Stud. an den Univ. Prag (1863) und Wien (1865) Jus. 1869 Dr. jur., ab 1885 Hof- und Gerichtsadvokat in Wien. 1896 wurde er in den niederösterr. Landtag gewählt, in dem er mit Philippovich und Kronawetter (s. d.) eine kleine demokrat. Fraktion bildete. 1901–18 Reichsratsabg. als parteiloser „Sozialpolitiker“, 1919 Mitgl. der Nationalversmlg. Gem. mit Schreier gehörte er zu den Begründern der „Demokratischen Partei“, die bei den Wahlen eine vernichtende Niederlage erlitt. Ab 1919 ständiger Referent beim Verfassungsgerichtshof. Er war Vizepräs. der Wr. Rechtsanwaltskammer und der Jurist. Ges. und außerdem in zahlreichen sozialpolit. Ver. tätig. In seinen rechtsphilosoph. eth. Untersuchungen über das Verhältnis von Individuum und Ges. erblickte O. den Zweck des Rechts in der Sicherung der Entwicklung des Einzelnen, wodurch er zu einem Wortführer der sozialpolit. Richtung der 80er Jahre wurde. Er sah die Aufgabe der Jurisprudenz nicht nur in der Auslegung bestehenden Rechts, sondern auch in der Schaffung neuen Rechts aufgrund der konkreten gegenwärtigen Verhältnisse, fußend auf den Ergebnissen der Soziol., Ökonomie und Psychol. Er bekämpfte den Rechtspositivismus und übertriebenen Historismus und leistete durch Veröff. der Beratungsprotokolle zum Allg. Bürgerlichen Gesetzbuch einen wesentlichen Beitr. zur Geschichte des österr. Rechts. O. erwarb sich große Verdienste um die Entwicklung der österr. Gesetzgebung, insbes. im Arbeitsrecht (Handlungsgehilfen-, Güterbeamten- und Schauspielergesetze, Dienstpragmatik der Staatsbeamten, Verbot der Kinderarbeit, Sonntagsruhe im Bürodienst, Zulassung der Frauen zu bestimmten Berufen, Fürsorge für entlassene Sträflinge etc.), in der Fortbildung des Privatrechts (Novellierung des Allg. Bürgerlichen Gesetzbuches, Herabsetzung des Volljährigkeitsalters, Erbbaurecht, Automobilhaftpflicht, Frauen als Vormünder etc.) und im Strafrecht (die sog. Lex Ofner über die Herabsetzung der Schadensgrenze bei Eigentumsdelikten, die bedingte Verurteilung etc.).

W.: Beitrr. zur exakten Rechtswiss., 1883; Das Recht zu leben, 1884; Der Servitutenbegriff nach röm. und österr. Rechte, 1884; Das Recht auf Arbeit, 1885; Rechtstheorie und hist. Schule, 1888; Der Urentwurf und die Beratungsprotokolle zum ABGB, 1887–89; Der Grundgedanke des Weltrechts, 1889; Das Sachenrecht, in: Kompendium des österr. Rechts, 1893; Der Kampf um die Zivilehe, 1894; Das Recht des Andern, erläutert am Schutze des Dritten, 1902; Das österr. Gesetz über die Ges. m. b. H., gem. mit B. Thorsch, 1907; Die Revision des ABGB, 1907; Soziales Recht, 1917; Das soziale Rechtsdenken, 1923. Zahlreiche Abhh. in Jurist. Z. und Festschriften; etc. Recht und Ges., Vorträge und Aufsätze, hrsg. von W. Eckstein, 1931.
L.: N. Fr. Pr. vom 27. 9., Wr. Ztg. vom 30. 9. 1924; Jurist. Bll, Jg. 42, 1913, S. 101 f., Jg. 44, 1915, S. 390 f., Jg. 53, 1924, S. 173, Jg. 61, 1932, S. 25 ff.; Nachrichtenbl. der Rechtsanwaltschaft, 1954, S. 26; J. O. zum 70. Geburtstage, 1915; W. Eckstein, Einleitung, in: J. O., Recht und Ges., 1931, S. VII ff.; W. Kosch, Biograph. Staatshdb., Bd. 2, 1963; Wininger; Enc. Jud.; Jew. Enc.; Jüd. Lex.; Jaksch; Kosel; N. Österr. Biogr., Bd. 13, 1959, S. 104 ff.; F. Kübl, Die Wr. Rechtsanwaltskammer von 1850–1925, 1925, S. 73, 87; 100 Jahre österr. Rechtsanwaltskammer 1850–1950, 1950, s. Reg.; Mitt. D. Ströher, Wien.
(H. Knoepfmacher)  
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 7 (Lfg. 33, 1977), S. 217f.
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