Rollett, Alexander (1834-1903), Physiologe

Rollett Alexander, Physiologe. * Baden (NÖ), 14. 7. 1834; † Graz, 1. 10. 1903. Entstammte einer Ärztefamilie, Enkel des Folgenden; stud. 1852–57 Med. an der Univ. Wien. 1857 wurde er im Physiolog. Inst. Ass. E. W. v. Brückes (s. d.), 1858 Dr. med. 1863 o. Prof. der Physiol. und Histol. an der neuerrichteten medizin. Fak. der Univ. Graz. Hier richtete er auch das Physiolog. Inst. ein, dessen mustergültiger Neubau 1872 vollendet war. 1867/68, 1874/75, 1882/83, 1893/94 Dekan, 1872/73, 1883/84, 1894/95 und 1902/03 Rektor. 1873 gab R. die Histol. an V. Ebner-Rofenstein (s. d.) ab, da er sich nicht mehr in der Lage sah, dieses sich rasch entwickelnde Sonderfach im Rahmen der Physiol. zu pflegen. R., der seine Lehrjahre bei Brücke in engem Kontakt auch mit Ludwig, K. v. Rokitansky (s. d.), Skoda und dem Pflanzenphysiologen Unger verbracht hatte, arbeitete zunächst über Themen aus dem Gebiet der Physiol. der Muskeln, der Bindegewebe und der Optik. Es folgten grundlegende Arbeiten zur Physiol. und Histol. des Blutes und der quergestreiften Muskulatur, der Labdrüsen, der Magenschleimhaut und der Nervenenden in den Sehnen. Er erkannte als einer der ersten österr. Wissenschafter die Richtigkeit der Darwinschen Deszendenztheorie. R. war ein ausgezeichneter Lehrer, dessen Schule durch strenge Kritik der Methodik gekennzeichnet ist, sowie ein hervorragender Experimentator und Organisator. Zu seinen Schülern zählten u. a. Ebner-Rofenstein, Sečenov (Physiol. des Blutes und der Reflexe), Boldyrew (Ernährungslehre und Magenverdauung) und Spiro (Magenverdauung). R. wurde vielfach geehrt und ausgezeichnet, u. a. 1864 korr., 1871 w. Mitgl. der Akad. der Wiss. in Wien, 1882 korr. Mitgl. der Societas Medicorum Svecana und 1892 der Bayer. Akad. der Wiss. 1882 Reg.Rat, 1893 HR, ab 1894 Präs. der steiermärk. Ärztekammer. 1879–81 Gemeinderat der Stadt Graz, 1872, 1883, 1894 und 1902 Landtagsabg. (dt.nationalliberal), machte er sich um das Spitals-, Fürsorge- und Sanitätswesen in der Stmk. verdient. Seine älteste Tochter, Oktavia Aigner-R. (1877–1959), war die erste selbständig praktizierende Ärztin (ab 1907) in Graz.

W.: Über freie Enden quergestreifter Muskelfäden im Innern der Muskeln, in: Sbb. Wien, math.-nat. Kl. 21, 1856; Untersuchungen zur näheren Kenntniss des Baues der quergestreiften Muskelfaser, ebenda, 24, 1857; Untersuchungen über die Structur des Bindegewebes, ebenda, 30, 1858; Physiolog. Versuche über binoculäres Sehen . . ., ebenda, 42, 1861; Beitrr. zur Lehre vom Sehen der dritten Dimension, gem. mit O. Becker, ebenda, 43, Abt. 2, 1861; Versuche und Beobachtungen am Blute, ebenda, 46, Abt. 2, 1863; Zur Physiol. der Contrastfarben, ebenda, 55, Abt. 2, 1867; Ueber Zersetzungsbilder der rothen Blutkörperchen, in: Untersuchungen aus dem Inst. für Physiol. und Histol. in Graz 1, 1870; Über die verschiedene Erregbarkeit functionell verschiedener Nervmuskel-Apparate, 3 Tle., in: Sbb. Wien, math.-nat. Kl. 70–72, Abt. 3, 1875–76; Über die Bedeutung von Newton’s Construction der Farbenordnungen dünner Blättchen für die Spectraluntersuchung der Interferenzfarben, ebenda, 75, Abt. 3, 1877; Zur Kenntniss des Zuckungsverlaufes quergestreifter Muskeln, ebenda, 89, Abt. 3, 1884; Untersuchungen über den Bau der quergestreiften Muskelfasern, 2 Tle., in: Denkschriften Wien, math.-nat. Kl. 49, 51, 1885–86; Beitrr. zur Physiol. der Muskeln, ebenda, 53, 1887; Untersuchungen über Contraction und Doppelbrechung der quergestreiften Muskelfasern, ebenda, 58, 1891; Zur Kenntniss der physiolog. Verschiedenheit der quergestreiften Muskeln der Kalt- und Warmblüter, in: Archiv für die gesammte Physiol. des Menschen und der Thiere 71, 1898; Beitrr. zur Physiol. des Geruchs, des Geschmacks, der Hautsinne und der Sinne im Allg., ebenda, 74, 1899; Die Localisation psych. Vorgänge im Gehirne, ebenda, 79, 1900; etc. Hrsg.: Untersuchungen aus dem Inst. für Physiol. und Histol. in Graz, 1870.
L.: N. Fr. Pr. vom 1. (Abendausg.) und 2. 10. 1903; H. Bertha, 100 Jahre Medizin. Fak. der Univ. in Graz, in: Österr. Hochschulztg. vom 1. 12. 1963; F. Kraus, A. R. †, in: Dt. Medicin. Ws. 29, 1903, S. 910; V. v. Ebner, A. R. †, in: Wr. klin. Ws. 16, 1903, S. 1332 ff.; J. Fraydl, HR Prof. Dr. A. R., in: Mitt. des Ver. der Ärzte in Stmk. 40, 1903, S. 269 ff.; Almanach Wien 54, 1904, S. 329 ff.; R. Klemensiewicz, Nachruf für A. R., in: Mitt. des Naturwiss. Ver. für Stmk. 40, 1904, S. CXI ff. (mit Werksverzeichnis), auch selbständig; ders., A. R., in: Mitt. des Ver.der Ärzte in Stmk. 41, 1904, S. 1 ff. (mit Werksverzeichnis), auch selbständig; R. Aigner, Der Physiologe A. R. als Abg. im Grazer Gemeinderat und Steiermärk. Landtag, in: Hist. Jb. der Stadt Graz 4, 1971, S. 107 ff.; O. Zoth, Zur Erinnerung an A. R., in: Archiv für die gesammte Physiol. des Menschen und der Thiere 101, 1904, S. 103 ff. (mit Werksverzeichnis); Biograph. Jb. 8, 1905, S. 249 ff.; Hirsch; Kosch, Kath. Deutschland; Lesky, s. Reg.; Pagel; Poggendorff 3–4; Wurzbach; A. Czaschka, Physiol. und Physiologen an der Univ. Graz, geisteswiss. Diss. Graz, 1981, s. Reg.; Th. Kenner, A. R., in: Tradition und Herausforderung. 400 Jahre Univ. Graz, hrsg. von K. Freisitzer et al., 1985, S. 111 f., 247 ff.; Allg. Verw.A., Wien; UA Graz. — Oktavia Aigner-R.: R. Aigner, Dr. O. Aigner-R. . . ., in: Hist. Jb. der Stadt Graz 2, 1969, S. 141; ders., Die Grazer Ärztinnen aus der Zeit der Monarchie, in: Z. des Hist. Ver. für Stmk. 70, 1979, S. 47 ff.
(W. W. Swoboda)  
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 9 (Lfg. 43, 1986), S. 227f.
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