Scheicher Josef, Sozialpolitiker, Theologe und Schriftsteller. * St. Stephan ob Stainz (Stmk.), 18. 2. 1842; † Wien, 28. 3. 1924. Sohn eines Bergbauern; war 1863/64, nach Wanderjahren, im Noviziat des Jesuitenordens in St. Andrä i. L. (Kärnten), verließ aber das Kloster krankheitshalber. Stud. ab 1865 am Priesterseminar in St. Pölten Theol., nach der Priesterweihe (1869) war er in der Seelsorge in Waidhofen a. d. Ybbs (NÖ) tätig, wo er bis 1875 auch bereits polit. wirkte. S. stud. 1872–73 kath. Theol. an der Univ. Wien, 1875 Dr. theol. Ab 1879 bis zum Beginn seiner Tätigkeit als Abg. wirkte S. am St. Pöltner Priesterseminar als Prof. für Moraltheol. Er schrieb für mehrere kath. Ztg. und Z. und gründete kath. Kasinos und Volksver. 1875 übernahm S. die Red. des „St. Pöltner Boten“, der ab 1860 im Besitz der Diözese St. Pölten war und vor allem gegen den Liberalismus kämpfte. Unterstützt von Diözesanbischof Binder, gewann S. publizist. fast den gesamten österr. Klerus für die Ideen der christlichsozialen Bewegung, obwohl die meisten Bischöfe der konservativen Richtung angehörten. Im Geist S. Brunners (s. d.) kämpfte er gegen Josephinismus und Staatskirchentum und wurde gem. mit Lueger, Gessmann, Aloys Prinz v. u. z. Liechtenstein (alle s. d.) und Vogelsang zu einem der bedeutendsten polit. Agitatoren der christlichsozialen Bewegung.1891–98 gehörte S. – zunächst als einziger nichtliberaler Mandatar – dem St. Pöltner Gemeindeausschuß an. 1890–1919 niederösterr. Landtagsabg. bzw. Mitgl. der Provisor. Landesversmlg., 1894–1918 Reichsratsabg., dann Mitgl. der Provisor. Nationalversmlg. 1897–1909 war S. Mitgl. des niederösterr. Landesausschusses; zu seinen wichtigsten Agenden gehörten Gemeindeangelegenheiten, Gesundheitswesen und Straßenbau. Die von ihm organisierten Bürgermeistertage erwiesen sich als wirksamstes Mittel, die Bevölkerung für die Selbstverwaltung zu erziehen. S.s volkstümliche Beredsamkeit mit ihrer oft rustikal - humorist. Note und seine polit. und publizist. Tätigkeit weisen ihn nicht nur als bedeutenden Politiker, sondern auch als hervorragenden Theologen aus. Daß NÖ das Kernland der christlichsozialen Bewegung wurde, ist zum großen Tl. auf sein Wirken zurückzuführen. Als überzeugter Demokrat, österr. Patriot und Verkünder der sozialreformator. Lehren Vogelsangs hat er einen bleibenden Platz in der österr. Parteiengeschichte.