Schimek, Otto (1925-1944), Hilfsarbeiter und Soldat

Schimek Otto, Hilfsarbeiter und Soldat. * Wien, 5. 5. 1925; † Lipiny, Wojewodschaft Rzeszów (Polen), 14. 11. 1944 (hingerichtet). Sohn eines Schlossergehilfen, Jüngster von dreizehn Geschwistern bzw. Halbgeschwistern; begann nach dem Besuch der Hilfsschule eine Tischlerlehre, die er aber bald wieder abbrach, und war dann als Metallhilfsarbeiter tätig. Vom Oktober 1942 bis Jänner 1943 beim Reichsarbeitsdienst, wurde er einen Monat später zur Dt. Wehrmacht einberufen, tat bis Juli 1944 zumeist in Kroatien bei Ersatz- bzw. Reserveeinheiten Dienst und wurde dann dem GrenadierRgt. 1083 der 544. Inf.Div. zugeteilt. Mit letztgenanntem Truppenkörper kam er im Herbst 1944 in den Raum Dębica (Polen), wo er schließlich – schon bei seinen früheren Einheiten in disziplinären Schwierigkeiten – auf Grund eines Feldgerichtsurteiles wegen Fahnenflucht hingerichtet wurde. 1970 suchte eines seiner Familienmitglieder die letzte Ruhestätte und glaubte diese im Grab eines bis dahin als unbekannt geltenden deutschen Wehrmachtsangehörigen auf dem Ortsfriedhof von Machowa (Polen) gefunden zu haben. Erzählungen dem örtlichen Pfarrer gegenüber sowie eine später angebrachte Tafel begründeten das Todesurteil mit S.s Weigerung, im Rahmen eines Erschießungskommandos an der Tötung polnischer Zivilpersonen mitzuwirken. Diese Darstellung verbreitete sich vorerst in Polen und von dort aus auf internationaler Ebene. Immer mehr Menschen kamen nach Machowa an das Grab des nunmehr als Märtyrer verehrten S. Aufzeichnungen über angebliche Gebetserhörungen und Wunderheilungen entstanden, die polnischen Wehrdienstverweigerer erwählten S. zu ihrem Patron und pilgern seither jährlich zweimal, am Geburts- und Sterbetag, an sein Grab, und von kirchlicher Seite begann man mit Vorerhebungen für die Einleitung eines Kanonisierungsprozesses. Einer kritischen Prüfung hielt die Voraussetzung für diese Entwicklung allerdings nicht stand. Der Verlust des Gerichtsaktes erscheint in diesem Zusammenhang von geringer Bedeutung, beruft sich doch die Darstellung seitens der Familie auf eine die Tatsachen korrigierende aktenmäßige Version und stützt sich dabei in widersprüchlicher Weise auf die Aussage nicht namhaft zu machender Angehöriger der 544. Div. S.s Verurteilung auf der Grundlage eines Befehlsnotstandes schien für Kriegsverbrecherprozesse Bedeutung zu gewinnen, und so untersuchte die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen in Ludwigsburg diesen Fall. Es zeigte sich, daß die behauptete Erschießung einer Gruppe von Zivilpersonen auch seitens polnischer Stellen nicht belegt werden kann. Auch amtliche Zeugenaussagen stimmen darin überein, daß in der fraglichen Zeit keine Erschießungen von Zivilisten durch Wehrmachtseinheiten stattfanden, S. sich hingegen mehrmals unerlaubt von der Truppe entfernt hätte. Generell ließ sich seitens der genannten Stelle bisher kein auf einen Befehlsnotstand hin ergangenes Todesurteil nachweisen. Alle gegenteiligen Berichte im Zusammenhang mit S. lassen sich mittel- oder unmittelbar auf die Darstellung seitens der Familie zurückführen, und scheinen daher durch die unklare Quelle nicht geeignet, die entgegenstehenden Erkenntnisse zu widerlegen. Die österr. kirchliche Untersuchungsbehörde sah sich nach eingehenden zusätzlichen Erhebungen bewogen, den Fall nicht weiter zu verfolgen. Unabhängig von dieser Problematik erscheint auch nicht gesichert, ob es sich beim Grab in Machowa tatsächlich um jenes von S. handelt. Nach Aussage des noch lebenden ehemaligen Küsters der Einheit wurde S. von diesem auf dem neben der Kirche von Łeki Dolne liegenden Div.-Friedhof begraben. Für eine Verlegung von dort nach Machowa während des zu Ende gehenden Krieges aber gibt es keine Begründung und auch keinen eindeutigen Beleg. S. starb als Opfer des Kriege. Er war in die Kriegsmaschinerie geraten, der er, wohl auch bedingt durch seine geistigen Anlagen, nicht gewachsen war und deren Gesetzlichkeiten er nicht abzuschätzen vermochte. Er war, soweit das zu entscheiden ist, weder ein Aktivist des Widerstandes, noch ein Märtyrer seiner Überzeugung. Er wurde Held einer modernen Legende, die, unabhängig von der Realität erwachsen, neben dieser weiterbesteht.

L.: Za Wolność i Lud vom 31. 8. 1970; Tygodnik Powszechny vom 19. 9. 1971, 2. 7. 1972 (mit Bild), 4. 7. 1976 und 10. 10. 1982; Frankfurter Allg. Ztg. und Die Rheinpfalz vom 6. 7., AZ vom 7. 7. und 13. 7. 1972 (mit Bild); Trybuna Ludu vom 28. 10. 1974; Mappe der Menschlichkeit 27, 1977, H. 7/8 (mit Bild); Die Furchevom 1. 12. 1978, 15. und 22. 5., 12. und 19. 6. 1987; Bunte Österr. vom 16. 11. 1978 (mit Bildern); Kurier vom 26. 10. 1982 (mit Bildern); Ład vom 14. 7. 1985; Corriere della sera vom 28. 5. 1986; Rezeczpospolita vom 6. 1., Trybuna Ludu vom 7. und 9. 1., Observer vom 15. 2., Der Spiegel vom 4. 5., Profil vom 18. 5. 1987 (mit Bild); Nowiny vom 29. 1. 1990; St. Okecki, in: Wojskowy Przegląd Historyczny 7, 1972, S. 166ff.; miteinander. Welt und geistlicher Beruf 47, 1975, H. 11/12; Przewodnik Katolicki vom 28. 6. 1975 und 20. 6. 1982; Wr. Kirchenztg. vom 9. 3. 1975 (mit Bild), 3. 10. 1982 und 1. 6. 1986; Kirche und Leben (Münster) vom 9. 11. 1975 und 18. 7. 1976; Christ in der Gegenwart 28, 1976, S. 220; G. Napiórkowski, in: Rycerz Niepokalanej, 1982, S. 281f.; Kathpress vom 24. 9. 1982, 6. 5. und 18. 11. 1986; M. Pollack – Ch. Ransmayr, in: Trans Atlantik, 1983, H. 3, S. 28ff.; J. Pumberger, in: Kirche bunt. St. Pöltner Kirchenztg. vom 17. 4. 1988 (mit Bild); A. Eder, in: Limes 3, 1988, n. 9, S. 33ff. (mil Bild), n. 10, S. 16ff.; F. Vogl, Widerstand im Waffenrock ( = Materialien zur Arbeiterbewegung 7), 1977, S. 202ff. (mit Bild); L. Niekrasz, Spór o grenadiera S., 1984; F. Loidl, O. S. ( = Wr. Kath. Akad. Miscellanea, R. 3, 11), 1986; P.Bednarczyk – S. Sojka, O. S. Austriacki grenadier Wehrmachtu, 1990; Gelitten für Österr., o. J., S. 106 (mit Bild); Der Soldat O. S., Sendung des Jugendforums von Radio Vatikan, Nov. 1978, abgedruckt in: Lies. Mitt. der Militärseelsorge Österr., 1978, H. 6, S. 49ff.; A. Gass – J. Tuszewski, Der Fall O. S., Manuskript, o. J., Sender Freies Berlin (Funkerz., gesendet Ö 1, 23. 3. 1988); Mitt. A. Diem, Erzdiözese Wien, A. Fellner, ORF-Kirchenfunk, H.Müller, Österr. Schwarzes Kreuz, alle Wien, F. Gruber, Gen. Vikar a. D., Wien – Kirchschlag a. Wechsel, M. Pollack, Wien, P. R. Iblacker S. J., München (Deutschland), L. Niekrasz, Warszawa, E. Walewander, Kath. Univ. Lublin (Polen), damaliger Küster in der 544. Inf.Div., Deutschland; Dokumentationsarchiv des österr. Widerstandes, Wien; Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen, Ludwigsburg (Deutschland).
(F. Hillbrand-Grill)  
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 10 (Lfg. 47, 1991), S. 138f.
Bd. <==> | |<1  <=−10<=  S. 1 =>+10=>
Bd. <==> | |<1  <=−10<=  S. 1 =>+10=>