Schlegel (von Gottleben), Friedrich (Karl Wilhelm Friedrich) (1772-1829), Philosoph, Literaturwissenschaftler, Staatstheoretiker und Schriftsteller

Schlegel (von Gottleben) Friedrich (Karl Wilhelm Friedrich), Philosoph, Literaturwissenschafter, Staatstheoretiker und Schriftsteller. * Hannover (Deutschland), 10. 3. 1772; † Dresden (Deutschland), 12. 1. 1829. Gatte der Vorigen. Aus einer protestant. Familie stammend, die eine Reihe bedeutender Pastoren, Juristen, Historiker, Schriftsteller und Literaturkritiker hervorgebracht hatte; stud. an den Univ. Göttingen (ab 1790) und Leipzig (1791–94) Jus und Philol., wobei er enge Beziehungen zu seinem Bruder August Wilhelm S. (1767–1845) und Novalis unterhielt. Im Jänner 1794 begann er in Dresden seine Arbeiten zur griech. und röm. Literatur, von denen 1797 „Die Griechen und Römer“ und 1798 die „Geschichte der Poesie der Griechen und Römer“ erschienen. S.s Zuwendung zu den Griechen bildete zugleich auch einen wichtigen Aspekt bei seiner Bestimmung der modernen Literatur. Sie beruhte ferner auf der Annahme, daß das Schöne einer grenzenlosen Vervollkommnung fähig sei. S. sah sich am Anfang einer dritten Blüteperiode der modernen europ. Literatur, deren erste von Dante, Boccaccio und Cervantes und deren zweite von Shakespeare repräsentiert wurde, während Goethe den Anfang einer neuen Stufe bildete. Von diesen Gedanken ist das Schrifttum der romant. Schule bestimmt, die sich 1796 um die Brüder S. in Jena zu bilden begann. Durch S.s Aufenthalt in Berlin wurden auch Tieck und Schleiermacher in diesen Kreis einbezogen, dessen wichtigstes Organ die von den Brüdern S. begründete und hrsg. Z. „Athenäum“ (3 Bde., 1798–1800) war. In Berlin hatte sich S. mit Dorothea Veit, geb. Mendelssohn (s. die Vorige), verbunden, die 1804 seine Frau wurde. 1799 veröff. er seinen aus der Beziehung zu Dorothea hervorgegangenen Roman „Lucinde“, der wegen seiner emanzipator. Tendenzen scharf angefeindet wurde, heute aber als ein wichtiges Werk aus der Literatur über die Gleichstellung der Frau anerkannt ist. 1800 habil. sich S. an der philosoph. Fak. der Univ. Jena, im Sommer 1802 begab er sich mit Dorothea nach Paris, wo er sich mit moderner Dichtung und Kunstgeschichte befaßte und die Z. „Europa“ (1803–05) hrsg., in der diese Themen Ausdruck fanden. Hier begann er auch sein Stud. des Sanskrit; das zu dem epochemachenden Werk „Über die Sprache und Weisheit der Indier“ (1808) führte. 1804–08 weilte S. mit längeren Unterbrechungen in Köln, wo er Vorlesungen über Phil., Literaturgeschichte, Universalgeschichte und Sprachtheorie hielt und ein umfassendes Stud. der europ. Geschichte seit dem Mittelalter aufnahm. Hier konvertierte er 1808 gem. mit seiner Frau zum Katholizismus. Bald darauf folgte er seinem Bruder nach Wien (August Wilhelm hielt hier 1807/08 seine bahnbrechenden Vorlesungen über die Geschichte der dramat. Kunst und Literatur), wo er für sein weiteres Leben blieb. Der Entschluß, nach Österr. zu gehen, war – neben materiell - beruflichen Überlegungen – deutlich durch die damalige polit. Lage in Europabestimmt, die S. in Österr. das Land der Freiheit und des „wahren Kaisertums“ erblicken ließ. Im Frühjahr 1809 als Hofsekretär in den österr. Staatsdienst aufgenommen, befand sich S. während des Feldzuges von 1809 im Stab des Erzh. Karl (s. d.) und gab die in einer Felddruckerei hergestellte Armeeztg. unter dem Titel „Oesterreichische Zeitung“ heraus, aus der 1810 der „Oesterreichische Beobachter“ (Jg. 1 unter S.s Red.), das führende Organ der Ära Metternich, hervorging. Während des Wr. Kongresses verfaßte S. im Auftrag Metternichs (s. d.) mehrere Verfassungsentwürfe für die dt. Bundesakte, 1815–18 hielt er sich als Legationsrat der österr. Gesandtschaft am Bundestag in Frankfurt auf, wo er sich hauptsächlich mit der Pressepolitik befaßte. 1819 war er mit dem Kaiser und Metternich in Italien. Diese Lebensperiode S.s ist in erster Linie durch hist, krit. und philosoph. Arbeiten bestimmt. Während der Zeit der Befreiungskriege gab S. die Z. „Deutsches Museum“ (1812–13) heraus, deren Aufgabe es war, das gesamte geistige Leben der Nation zu umfassen und ein Zentrum für alle intellektuellen Kräfte Deutschlands und Österr. zu werden. Als Resultat seiner hist. Stud. hatte S. 1810 in Wien seine Vorlesungen „Über die neuere Geschichte“ gehalten, die er 1811 veröff. Seine weitreichenden Arbeiten zur europ. Literaturgeschichte trug er 1812 in den berühmten Vorlesungen „Geschichte der alten und neuen Literatur“ vor (publ. 1814 in 2 Bde.), in denen seine Konzeption der Dichtkunst ihren umfassendsten Ausdruck fand, zugleich die erste Literaturgeschichte, die modernen Ansprüchen zu entsprechen vermag und große Gelehrsamkeit mit theoret. Reflexionen verbindet. 1820–23 gab er in prononciert kath. Geist, dem sich S., dem Kreis um K. M. Hofbauer (s. d.) angehörend und in späteren Jahren nicht frei von Neigungen zur Mystik, immer mehr zugewandt hatte, die Z. „Concordia“ (sie war einer der Gründe für das Zerwürfnis mit seinem Bruder) heraus, die als Organ für die Staatsphil, der sog. Spätromantik angesehen wird. S.s Konzeption der Phil. wurde in diesen Jahren meist in Gelegenheitsschriften behandelt, bis er gegen Ende seines Lebens mit drei großen Vorlesungszyklen hervortrat, die ebenfalls als gedruckte Werke erschienen. Jedes der drei Werke trägt einen Titel, der eines der vorherrschenden Themen der Phil. des 19. und 20. Jh. wurde: „Philosophie des Lebens“ (publ. 1828), „Philosophie der Geschichte“ (1829), „Philosophie der Sprache und des Wortes“ (1830). S. starb über der Ausarbeitung des letzten Vorlesungszyklus, den er in Dresden vortrug, demselben Ort, an dem er seine literar. Laufbahn begonnen hatte.

W.: Krit. F.-S. -Ausg., hrsg. von E. Behler u. a., 35 Bde., 1958ff.; Krit. Schriften und Fragmente. Stud.Ausg., 6 Bde., hrsg. von E. Behler und H. Eichner, 1988; usw.
L.: J. Foit, Die publizist. Tätigkeit F. S.s in Wien, phil. Diss. Wien, 1956; K. K. Polheim, Die Arabeske. Ansichten und Ideen aus F. S.s Poetik, 1966; F. S. und die Romantik ( = Z. für dt. Philol. 88), 1969, Sonderh.; E. Behler, F. S. in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, 2. Aufl. 1975 (mit Literaturverzeichnis); H. Dierkes, Literaturgeschichte als Kritik. Untersuchungen zu Theorie und Praxis von F. S.s frühromant. Literaturgeschichtsschreibung ( = Stud. zur dt. Literatur 63), 1980; W. Michel, Ästhet. Hermeneutik und frühromant. Kritik. F. S.s fragmentar. Entwürfe, Rezensionen, Charakteristiken und Kritiken (1795–1801), (1982); E. Behler, Die Z. der Brüder S. Ein Beitr. zur Geschichte der dt. Romantik, 1983; H. Frank, . . . die Disharmonie, die mit mir geboren ward . . . ( = Europ. Hochschulschriften, R. 1, Ser. 1, Bd. 1040), (1988), s. Reg.; C. Stern, „Ich möchte mir Flügel wünschen“ . . ., 1990, s. Reg.
(E. Behler)  
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 10 (Lfg. 47, 1991), S. 178f.
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