Schlesinger Ludwig (Lajos), Mathematiker. Geb. Tyrnau/Nagyszombat, Oberungarn (Trnava, Tschechoslowakei), 1. 11. 1864; gest. Gießen, Hessen (Deutschland), 16. 12. 1933. Entstammte einer jüd. Familie, Sohn eines Kaufmanns, protestant. getauft; stud. ab 1882 Mathematik an der Univ. Heidelberg, ab 1884 an der Univ. Berlin, wohin er seinem Lehrer Lazarus Fuchs gefolgt war, 1887 Dr. phil. (Berlin). 1889 an der Univ. Berlin für Mathematik habil., wurde er 1894 Tit. Preuß. Prof., 1897 ao. Prof. der Mathematik an der Univ. Bonn, aber noch im selben Jahr o. Prof. an der Univ. Klausenburg (Cluj-Napoca) mit einem zusätzlichen Lehrauftrag für theoret. Astronomie, 1897/98 Dekan; ließ sich 1910 beurlauben und wirkte an der Akad. für Handels- und Sozialwiss. in Frankfurt a. Main, kehrte 1911 als o. Prof. für Mathematik an der Univ. Budapest nach Ungarn zurück, kam jedoch nach knapp zwei Monaten als o. Prof. sowie Mitdir. des Mathemat. Kabinetts und des Mathemat. Seminars an die Univ. Gießen, fungierte 1914–24 als Vorsitzender des wiss. Prüfungsamts für Lehramtsprüfungen, 1918/19 als Dekan der philosoph. Fak., emer. 1930 vorzeitig aus gesundheitlichen Gründen und verlor 1933 aus rass. Gründen die Lehrbefugnis. In Gießen gestaltete er die mathemat. Bibl. aus und schuf dem Mathemat. Seminar ein noch immer erscheinendes Pubi.Organ, in dem u. a. fast alle in Gießen entstandenen Diss. veröff. wurden. 1918 hatte er Anteil an der Gründung der Gießener Hochschulges., deren Vorstand er durch viele Jahre angehörte. In seinen mehr als 100 wiss. Arbeiten befaßte er sich in Berlin und Klausenburg hauptsächlich mit Fragen der Funktionstheorie der linearen Differentialgleichungen und faßte die Ergebnisse in einem Hdb. und zwei Lehrbüchern zusammen. In Gießen rückte er mehr die seit 1899 nebenher gepflegte Beschäftigung mit der Geschichte seiner Disziplin in den Mittelpunkt seiner Forschungsarbeit und gab die Werke bedeutender Mathematiker wie Euler, Gauß usw. heraus. S. war mit einer Tochter seines Lehrers Fuchs verheiratet, deren Bruder, der Mathematiker und Flugtechniker Richard Fuchs (1873–1945), sein Mitarbeiter bei der Hrsg. der Werke seines Schwiegervaters war. Von seinen beiden Töchtern wurde Hildegard S. (1903–69) Physikerin, wandte sich aber nach ihrer Heirat mit dem Assyriologen Julius Lewy (1895–1983) – bis 1933 o. Prof. an der Univ. Gießen, dann emigriert und zuletzt Prof. für semit. Sprachen und Bibl. Geschichte am Hebrew Union College Cincinatti – ebenfalls der Assyriol. zu; sein Sohn, der klass. Philologe Eilhard S. (1909–68), emigrierte 1933 nach Argentinien, wirkte dort ab 1944 als o. Prof. für griech. Sprache und Kultur an der Univ. Tucumán, ab 1948 an der Univ. La Piata, ab 1960 an der Univ. Buenos Aires, kehrte 1966 als Hon.-Prof. der Univ. Mainz nach Europa zurück, kam jedoch schon zwei Jahre später bei einem Autounfall mit seiner gesamten Familie bei Limburg a. d. Lahn ums Leben. Eilhard S. war in erster Ehe mit der Gießener Altphilologin Grete Rosenberger (1910–55), einer Schülerin Karl Kalbfleischs, in zweiter Ehe mit Maria Marta Villegas, einer seiner argentin. Schülerinnen, die seine Mitarbeiterin wurde, verheiratet gewesen. S. wurde vielfach geehrt, u. a. 1902 korr. Mitgl. der Ung. Akad. der Wiss., 1909 der Leopoldin.-Carolin. Dt. Akad. der Naturforscher in Halle sowie der Mathemat. Ges. in Charkow (Ukraine) und des Circolo Matematico di Palermo.