Schoof, Heinrich (1865-1939), Chorleiter, Komponist und Musikredakteur

Schoof Heinrich, Chorleiter, Komponist und Musikredakteur. Geb. Wien, 23. 10. 1865; gest. ebenda, 18. 7. 1939. Sohn des Nadlermeisters Andreas S., der jedoch früh verstarb. Da S. schon als Kind musikal. Talent zeigte, ließ ihm seine Mutter privaten Klavier- und Violinunterricht erteilen; sein Lehrer war u. a. der Regenschori der Pfarrkirche in Wien-Hernals, Karl Griesbacher. 1880–84 stud. S. am Konservatorium der Ges. der Musikfreunde in Wien Posaune bei Ferdinand Schubert, 1882–83 war er Schüler der Harmonielehrekl. Anton Bruckners (s. d.), dessen Bewunderer er zeitlebens blieb. Nach dem Abschluß des Stud. wirkte er als Orchestermusiker u. a. im Stadttheater Klagenfurt, aber auch in St. Petersburg. Als Kapellmeister debüt. er am Mödlinger Sommertheater, gründete schließl. eine eigene Kapelle und übernahm die musikal. Leitung des Thalia-Theaters im Arbeiterheim Wien-Ottakring; die Hauptaufgabe seines Ensembles bestand allerdings in der musikal.-festl. Umrahmung zahlloser Arbeiterveranstaltungen und -kundgebungen. Schon frühzeitig konzentrierte sich S.s Wirken auf die Leitung von Arbeiterchören: u. a. ab 1898 ASB (Arbeiter-Sängerbund) „Karl Marx“ (späterer Name ASB „XIV-XV“) und ASB „Helios“ sowie ab 1902 Gesangssektion der Bäcker sowie Metallarbeitersängerbund. Ebenfalls 1898 wurde S. Chormeister des Klubchores der Zeitungssetzer, der sich 1903 mit dem Gesangsver. der Buchdrucker Wiens „Freie Typographia“ fusionierte und dessen Leitung S. zunächst gem. mit J. Scheu (s. d.), nach dessen Tod (1904) bis Ende 1932 als 1. Chormeister innehatte; 1928–29 war Anton v. Webern 2. Chormeister, was zu Konflikten mit der konservativen Gruppe um S. führte. Ausgehend von der Mitwirkung des „Helios“ und der „Freien Typographia“ bei der Schillerfeier der Wr. Arbeiterschaft (1905), wurden Arbeiterchöre bei der Auff. anspruchsvoller Orchesterwerke verstärkt eingesetzt und so die Entstehung der Arbeiter-Symphoniekonzerte unterstützt, die einen wesentl. Kulturfaktor der Zwischenkriegszeit darstellten. S. stand dieser Entwicklung zwar anfangs skept. gegenüber, der von ihm geleitete gemischte Chor der „Freien Typographia“ wirkte jedoch in der Ersten Republik bei zahlreichen repräsentativen Auff. v. a. von Beethovens Neunter Symphonie (erstmals 1921 unter Georg Szell), aber auch von Haydns „Die Schöpfung“ und „Die Jahreszeiten“, Mahlers Zweiter und Achter Symphonie usw. unter bedeutenden Dirigenten erfolgreich mit. S. richtete ferner 1904 im Rahmen des ASB „Helios“ einen der ersten Wr. Arbeiter-Kinderchöre ein. Im Verband der Arbeiter-Gesangsver. NÖ wirkte S. als Nachfolger Scheus 1904–09 als Bundeschormeister und 1908–34 als Gauchormeister für den Gau Wien des Reichsverbandes der Arbeiter-Gesangsver. Österr. Ferner war S. als Musikkritiker und Red. in der „Arbeiter-Sängerzeitung“ (1904–09) tätig sowie in der „Musikerzeitung“, dem publizist. Organ des gewerkschaftl. organisierten Wr. Musikerbundes, dessen Mitbegründer er 1889 gewesen war und dessen Vorstand er von 1894–1934 angehörte. Als Komponist schuf er einige Chorwerke, darunter „Zum Kampf“ (für Chor und Orchester) und das populäre Lied der Österr. Kinderfreunde „Wir sind jung und das ist schön“, die „zweite Hymne der österreichischen Arbeiterschaft“. Die letzten Massenkundgebungen der österr. Arbeiterbewegung in der Ersten Republik („Konzert der Fünftausend“ im Wr. Stadion 1932 und die „40 Jahr-Feier des ASB Alsergrund“ 1933) standen unter S.s künstler. Leitung. Die polit. Ereignisse von 1934 bedeuteten auch das unfreiwillige Ende seines offiziellen Wirkens; er verbrachte seine letzten Lebensjahre in Zurückgezogenheit und starb nach kurzer Krankheit. S. zählt neben Scheu, sei es als Chorleiter, sei es als Funktionär in zahlreichen Gremien, zu den führenden Persönlichkeiten der österr. Arbeitermusikbewegung. Er ging zwar von der Tradition der alten Arbeiter-Gesangsver. der Jh.Wende aus, war aber mehr und mehr bestrebt, der Arbeiterschaft bedeutende Werke der musikal. Weltliteratur zu erschließen, was aus ideolog. Gründen auch auf Kritik stieß. Der musikal. Avantgarde stand S. jedoch ablehnend gegenüber. In Anerkennung seiner großen volksbildner. Leistungen wurde ihm 1925 der Prof.Titel und das Bürgerrecht der Stadt Wien verliehen.

L.: Arbeiter-Ztg., 18. (mit Bild) und 19. 10. 1925; (Österr.) Arbeiter-Sängerztg. 6, 1907, n. 4, 24, 1925, n. 11 (mit Bild), 36, 1949, n. 9; Hdb. der Stadt Wien 73, 1959, S. 145; Rathaus-Korrespondenz, 21. 10. 1965; H. Kotlan-Werner, Kunst und Volk. D. J. Bach 1874–1947 (= Materialien zur Arbeiterbewegung 6), 1977, S. 52, 54, 56ff.; H. Brenner, Stimmt an das Lied …, (1986), s. Reg. (mit Bild); M. Permoser, Chorvereinigungen der Wr. Buchdruckerschaft in der zweiten Hälfte des 19. Jh. und in der Ersten Republik, phil. Diss. Wien, 1988, s. Reg.; J. W. Seidl, Musik und Austromarxismus. Zur Musikrezeption der österr. Arbeiterbewegung (= Wr. Musikwiss. Beitrr. 17), 1989, S. 90f., 120ff., 162; R. Fränkel, 80 Jahre Lied der Arbeit, o. J., S. 22, 30, 38, 56, 60 (Bild), 64.
(I. Fuchs – M. Permoser)  
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 11 (Lfg. 52, 1997), S. 137f.
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